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Stoßgebete leider nicht erhört
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Heute ist beziehungsweise war ein besonderer Montag für mich; die Erklärung gibt es später dann. Dies aber vorneweg: Am ersten Tag der Woche ist die Anzahl der Leser, die mich zwischen zehn und zwölf anrufen, im Vergleich zu den anderen Tagen immer deutlich geringer. Führe ich von Dienstag bis Donnerstag durchschnittlich etwa zehn Gespräche, so sind es montags für gewöhnlich drei oder vier; selten mehr, aber ich habe trotz umfangreicher Suche nach einem Grund dafür noch keinen gefunden. Aber die Woche vor dem letzten Wochenende im Oktober hat es sowieso in sich, weil ich seit Jahren immer eine geballte Ladung an Stoßgebeten zu den für dieses Ressort zuständigen Himmelsbewohnern schicke in der Hoffnung, dass dieser Kelch an mir vorüber geht; für die Verwendung dieser aus der christlichen Religion entnommenen Redewendung möchte ich um Verständnis beziehungsweise um Nachsicht bitten, aber sie ist meiner Ansicht nach so unverfänglich in unseren Sprachgebrauch aufgenommen worden, dass ich mich ihrer an dieser Stelle einmal bedienen darf, ohne dafür gerügt zu werden (siehe auch Blogeintrag "Nicht ganz, aber fast wie der Papst").
Besonders war dieser Montag, weil heute bis etwa gegen 11.50 Uhr kein einziges Mal mein Telefon geklingelt hat und ich mich deshalb in Ruhe mit der Produktion der am Mittwoch erscheinenden Seite "Leserforum" beschäftigen konnte. Doch dann passierte das, was mich innerhalb von nur neun Minuten derart mental beschäftigte, dass ich anschließend, was ich in solchen Situationen immer mache, das Haus verließ und einmal den Stadthallenpark umrundete, bevor ich meine Arbeit wieder aufgenommen habe. Diese drei Gespräche waren für meine emotionale Aufladung verantwortlich:
"Da haben Sie es doch mal schwarz auf weiß", meinte eine Leserin um 11.51 Uhr und verwies auf die Nachricht mit der Überschrift "Viele Kinder haben Schlafprobleme" auf der Seite "Kind & Kegel" und fügte noch hinzu: "Das ist und bleibt Unsinn und gehört endlich abgeschafft." Nachdem ich mir die Meldung auf den Monitor geholt hatte, war mir klar, dass all meine Gebete nicht erhört worden waren und meine Kollegen in der Redaktion sich nun doch entschlossen hatten, den Finger in eine meiner seit Jahren nicht heilenden Wunden zu legen und die am Wochenende anstehende Umstellung der Uhren von der Sommer- auf die Normalzeit zum Thema zu machen. Denn in der Nachricht heißt es unter anderem: "Jeweils ein Drittel der unter Zwölfjährigen hat durch die Umstellung der Uhren Probleme, abends einzuschlafen oder morgens aufzustehen." Also werde ich ausharren und durchhalten angesichts der Tatsache, dass dies mit Sicherheit nicht der einzige Anruf wegen der Zeitumstellung sein wird.
Vier Minuten später klingelt es erneut, eine Frau war in der Leitung: "Kurt Biedenkopf sollte wieder Ministerpräsident von Sachsen werden, denn offenbar weiß er ganz genau, wie es besser geht", meinte sie und gab mir zur Antwort, nachdem ich sie gefragte hatte, ob sie das ernst oder ironisch meinte: "Junger Mann, klinge ich so, als würde ich Spaß machen?" Weil diese Anrede zu denen gehört, die mir (bei allem Respekt) tatsächlich etwas auf die Nerven gehen, habe ich nur noch dies gesagt: "Okay, schreiben Sie das auf, ich veröffentliche das dann als Leserbrief." Die Unterhaltung dauerte 50 Sekunden.
Um 11.58 Uhr dann fragte mich ein Anrufer: "Ich habe in der vergangenen Woche den Artikel über die Preiserhöhungen bei der Bahn gelesen und auch den Hinweise auf die Sparpreise. Nun habe ich versucht, für den Tag vor Heiligabend einen solchen Sparpreis zu buchen. Und? Es gibt keine, können Sie mir das mal erklären? Warum schreiben Sie so etwas in der Zeitung, wenn es dann doch nicht stimmt?" Nun kenne ich mich etwas mit der Preispolitik der Deutschen Bahn AG aus und weiß, dass zwei Grundprinzipen beim Verkauf von Fahrkarten gelten. Erstens: Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Zweitens: Wer zu spät bucht, den bestraft die Preisangabe. Deshalb habe ich dem Mann gesagt: "Das dürfte ein klarer Fall von Marktwirtschaft beziehungsweise Angebot und Nachfrage sein, was bedeutet: Der Konzern wird nicht darauf verzichten, dort Geld zu verdienen, wo er es auf diese Weise möglich machen kann." Die Unterhaltung war dann bald zu Ende, weil der Leser meinte, dass er nun tief enttäuscht sei, weil ich offenbar auf Seiten der Bahn stehe und diese "Abzocke" auch noch verteidige würde.
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