Blog "Leser-Obmann": Von wegen zu viel Alkohol

Es gibt Gespräche mit Lesern, bei denen der Anrufer und ich eine Weile aneinander vorbeireden, weil ein Missverständnis vorliegt und ich nicht sofort begreife, was er eigentlich von mir will, worüber er spricht oder was ich für tun kann. Meistens klärt sich die Sache schnell auf, weil ich gezielt nachfragen kann und meistens nur wissen muss, auf welchen Artikel in der Zeitung er sich bezieht und ob er mir das Datum nennen kann, wann er in der "Freien Presse" zu lesen war. Bei dieser Unterhaltung aber hat es heute etwas länger gedauert:

"Beim Suff kommt es vor allem darauf, dass die Beine genügend Freiheit haben", meinte der Mann in der Leitung und erklärte mir, dass dieser Aspekt bei den Berichten in den vergangenen Wochen zu wenig berücksichtig worden sei. Nun denn, ich hatte nicht Hauch einer Ahnung, wovon hier die Rede war, weshalb ich fragte: "Wann haben wir dann zum letzten Mal darüber berichtet und wissen Sie noch die Seite, auf der einer der Artikel stand?" Der Leser schien zu überlegen, denn einige Sekunden lang hörte ich nichts, dann aber sagte er: "Das mag jetzt ungefähr fünf oder sechs Wochen her sein, dass ich zum letzten Mal etwas über den Suff gelesen habe, aber nach der Seite dürfen Sie mich nicht fragen." Diese Situation kenne ich, und auch diesmal bat ich den Anrufer, sich ein wenig zu gedulden, weil ich die Archivsuche bemühen wollte, um den Bericht zu finden. Ich beschränkte den Suchzeitraum auf die vergangenen zwei Monate ein, bekam insgesamt fünf Treffer, wobei der Artikel ganz oben in der Liste die Überschrift "Das erste Bier nach mehr als 100 Jahren" hatte. Ich las dem Mann die Zeile vor, seine Reaktion war diese: "Wollen Sie mich ver...?" An dieser Stelle war ich nun soweit verunsichert, dass ich schon zu meiner Formel "Vielen Dank für den Hinweis, ich gebe ich gern an die Kollegen in der Redaktion weiter" greifen und das Gespräch beenden wollte. Doch ich entschied mich anders, einen zweiten Versuch wollte ich noch wagen: "Haben Sie vielleicht irgend ein Wort in der Überschrift oder in der Unterzeile, das mir helfen könnte, den Bericht zu finden?" Offenbar selbst nicht mehr ganz so zufrieden mit dem Verlauf der Unterhaltung sagte der Leser mit einem entsprechenden Unterstimme: "Es ging wohl darum, dass vor allem Machos auf den Suff stehen." Ich vergewisserte mich, dass ich tatsächlich das Wort "Macho" gehört hatte, und gab es in die Suchmaske des Archivs ein mit dem Zusatz, dass ich nur Berichte mit exakt diesem Wort aufgelistet haben möchte. Das Ergebnis war dieses, am Ende war dann alles klar: Der erste Bericht hatte die Überschrift "Was wurde aus den sechs Kindern Luthers?", und "Onkel Max" beschrieb hier kirchenhistorische Zusammenhänge. "„Ich auch, wir alle – Neue Debatte über Sexismus" war der zweite Artikel überschrieben, in dem das Wort "Macho" auftauchte; hier spricht die Überschrift für sich selbst, was den Inhalt des Textes betrifft. Der dritte Treffer innerhalb der Liste der von der Archivsuche angezeigten war dann dieser: "Sind SUV-Fahrer rücksichtslose Machos?" Schlagartig wurde mir bewusst, dass es dem Leser nicht um die nötige Beinfreiheit beim übermäßigen Alkoholgenuss ging. Welche Auswirkungen diese Erkenntnis für meine Gesichtszüge in diesem Moment hatte, möchte ich lieber für mich behalten.

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