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Kritik: Im Bett mit ...

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Zurzeit kann ich mich nicht des Verdachts erwehren, dass die Menschen in unserem Land von einer Art politischen Lähmung befallen sind, weil die vermutlich noch weitere Wochen andauernden Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierungskoalition zur Folge haben, dass die Bürger sich auf eine Weise ausgegrenzt fühlen, die sie dazu veranlasst, lieber zu schweigen und zu warten, bis man zu konkreten Entscheidungen gekommen ist, über die man sich dann auslassen kann. Was ich eigentlich sagen möchte: Die Zahl der bei mir eingehenden Lesermeinungen ist im Jahresvergleich auf einen beispiellosen Tiefststand gesunken. Ob ich deswegen weniger Arbeit habe? Nur ein bisschen, gebe ich zu, denn der Leser, die mich anrufen, gibt es nach wie vor reichlich, weshalb an dieser Stelle auch wieder meine Randnotizen zum Wochenausklang zu lesen sind:

Episode 1: Ein Leser fragte mich, ob er mir seine Meinung zu dem Artikel "Wenn die Gesundheitsministerin den Ärzte-Chef liebt" sagen dürfe, was ich ihm natürlich zugestand: "Das erinnert mich stark unseren ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck", meinte der Mann in der Leitung und fügte, weil ich natürlich wissen wollte, wie ich das zu verstehen habe, noch hinzu: "Der lebte auch mit einer Frau zusammen und war nicht verheiratet." Nun fand ich diese Gemeinsamkeit wenig aussagekräftig als Grundlage für eine Meinung, weshalb ich den Anrufer bat, es mir noch weiter erklären, was er auch tat: "Das ist eine Frage von Moral und Anstand", meinte er. Nun denn, das Gespräch war damit dann auch bald an seinem Ende angelangt, nachdem noch dies wissen wollte: "Stört es Sie, dass die beiden gelegentlich oder sogar häufig in einem Bett schlafen?" Seine Antwort: "Genau das."

Episode 2: "Wollen Sie ihre Leser für dumm verkaufen?", fragte eine Anruferin und listete drei Dinge auf, um offenbar ihrer Frage mehr Nachdruck zu verleihen: "Ein Hund, ein drittes Geschlecht und Nacktaufnahmen." Zunächst war mir nicht klar, was die Frau in der Leitung damit zum Ausdruck bringen wollte, doch dann, weil ich mich an den Bericht "Verfassungsgericht: Bürger haben Recht auf drittes Geschlecht" erinnerte und mir die Titelseite der gestrigen Ausgabe auf den Bildschirm holte, begriff ich sofort, was die Lesern meinte: Über dem Aufmacher zu der neuen Rechtslage, dass die Geburtenregister künftig den Intersexuellen die Möglichkeit eines eigenen Eintrags einräumen müssen, war auf dem Foto zur Nachricht "Leipzig sucht den besten Hund der Welt" ein Dackel zu sehen, während das Bild zu dem Artikel "Schicken Sie uns Ihr Nacktfoto ..." unten auf der Titelseite einen unbekleideten Mann zeigte, der sich selbst fotografiert. Ich vermutete, dass es der Frau in der Leitung um die Gewichtung dieser drei Themen beziehungsweise um deren journalistische Relevanz für die erste Seite einer Tageszeitung ging, doch damit lag voll daneben. "Und kein einziges Wort und schon gar kein Bild aus Anlass des Jahrestages des Mauerfalls", sagte die Anruferin, während ihr vorletzten Worte diese waren: "Sie sollten sich schämen, junger Mann."

Episode 3: Etwa eine Viertelstunde lang habe ich heute einem Leser zugehört, der mir allgemein und ganz konkret erklärt hat, was ihm an der aktuellen politischen Lage in unserem Land stört und was als eine Art von Schlussfolgerungen daraus seine Forderungen an die Politik sind. "Dann dürften Sie die momentanen Verhandlungen über die Bildung einer Jamaika-Koalition wohl sehr genau verfolgen und gespannt sein, welche Regierung mit welchen Zielen am Ende dabei rauskommt", sagte ich mit der Absicht, meine Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass es Menschen wie ihn gibt, die sich so intensiv mit solchen wichtigen Themen beschäftigen, sich dazu mehr oder weniger öffentlich äußern und Stellung beziehen und auf diese Weise einen Beitrag leisten, dass man in Deutschland tatsächlich von einer lebendigen Demokratie sprechen kann. Seine Reaktion darauf kam mir vor wie eine kalte Dusche: "Ich gegen schon seit Jahrzehnten zu keiner Wahl mehr und werde erst dann wieder meine Stimme abgeben, wenn es eine Partei gibt, die all das, was ich für wichtig halte, in ihrem Programm stehen hat." 

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