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Das Schießen lernte Uwe Böhnhardt beim V-Mann

Im NSU-Prozess sagte gestern der Ex-Chef der Thüringer Neonazi-Szene aus. Der später enttarnte V-Mann Tino Brandt soll die Szene radikalisiert und finanziert haben.

München.

Das Schießen lernte der mutmaßliche Terrorist Uwe Böhnhardt bereits vor seinem Abtauchen in den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Zusammen mit Jenaer Kameraden und mit Tino Brandt, dem Gründer der in den 90er-Jahren größten Thüringischen Neonazi-Organisation "Thüringer Heimatschutz" (THS), wurde er 1997 in Kahla bei Jena gesehen, wo die Gruppe in einem Garten mit einem Gewehr herum schoss. Gartennachbarn hatten sich bei der Polizei beschwert und anhand von Fotos Böhnhardt, Brandt und zwei weitere Neonazis identifiziert.

Das Grundstück, auf dem die Schießübungen stattfanden, war von Tino Brandt gepachtet worden. Mit Bildern des Grundstücks und der einschuss-zerlöcherten Gartenhütte nahm Opferanwältin Seda Basay im NSU-Prozess gestern einen ausweichenden Zeugen in die Zange: Eben jenen Tino Brandt, der gerade zuvor behauptet hatte, er sei nur politisch tätig gewesen. Mit Wehrsport habe er nichts zu tun gehabt. In Thüringen habe er nie Schießübungen veranstaltet. Nicht in Thüringen - die Einschränkung war bedeutsam. Immerhin ist fotografisch dokumentiert, dass der Mann, der in den 90er-Jahren nicht nur Neonazis in einem Dachverband einte, sondern zugleich der bestbezahlte V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes war, dass dieser Mann in die USA und nach Südafrika flog, um an Schießtrainings teilzunehmen. Gestern blieb Brandt dabei, beim Schießen in seinem Garten, sei er nicht dabei gewesen. Warum die Nachbarn anderes behauptet hätten, könne er nicht erklären.

Kay D., über Jahre V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, hatte seinerzeit anderes über Brandt ausgesagt, wie Anwältin Basay gestern ausführte: Brandt habe D. zu Schießübungen in Thüringen eingeladen, für ihn sei Brandt der "Master of Disaster" (Meister der Katastrophe - d. Red.) gewesen. Brandt habe wohl vorgehabt, "einen militärischen Arm" der Szene aufzubauen. "Sie werden in Thüringen keinen finden, der sagt, dass ich mit Waffen rumgelaufen bin", widersprach der Zeuge gestern. Allerdings deckt sich Kay D.'s Schilderung mit Beschreibungen, die andere Prozesszeugen und Angeklagte vom Chef des Heimatschutzes abgegeben hatten. Der Angeklagte Carsten S. hatte zum Prozessstart beschrieben, er habe zu Brandt aufgeschaut, dessen Radikalität wegen. Und der Vater des toten Uwe Mundlos sieht den später als V-Mann enttarnten Brandt als einen der Verführer, die erst für die Radikalisierung seines Sohnes sorgten.

Im Prozess kam gestern sogar die Frage auf, ob der gesamte Thüringer Heimatschutz, in den das Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vor dem Abtauchen ebenfalls eingebunden war, vielleicht nur auf Anraten des Verfassungsschutzes gegründet worden sei. Wissen wollte das Jacob Hösel, Verteidiger des Angeklagten Carsten S., der dem Trio die Waffe für die Ceska-Mordserie an neun ausländischen Kleinunternehmern geliefert haben soll. Der Heimatschutz als verlängerter Arm des Geheimdienstes in die Szene, dieser Hypothese widersprach Brandt rigoros. Allerdings räumte er ein, dass er im Laufe der Jahre mehr Geld vom Verfassungsschutz bekommen habe, als er mit seinem Job beim Szene-Verlag "Nation und Europa" in Coburg verdiente. "Sie haben also zwei Gehälter bezogen?" fragte Anwalt Herbert Hedrich, der den Zwickauer Angeklagten André E. verteidigt. "Wenn man das so sehen möchten", entgegnete Brandt. Er sah es anders. Seine Antwort dokumentiert, dass er den Geheimdienst zwar nicht als Initiator, aber sehr wohl als Finanzier seiner Neonazi-Organisation sieht: "Das Geld vom Landesamt ist für politische Aktivitäten draufgegangen. Ich war ja jedes Wochenende unterwegs." Propaganda-Aufkleber und Plakate habe er gekauft, Beiträge für säumige Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten (JN) habe er entrichtet. Zwar hätte es den THS nach Brandts gestrigem Urteil wohl auch ohne das Landesamt für Verfassungsschutz gegeben, "aber mit Sicherheit hätte er nicht die bundesweite Bedeutung bekommen, ohne das Geld des Landesamtes".

An eines wollte sich der Zeuge, der derzeit wegen anderer Delikte selbst in U-Haft sitzt, aber nicht mehr erinnern: Dass er auch für das bereits flüchtige NSU-Trio einmal 500 Euro gespendet haben soll.

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