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Sachsens NSU-Ausschuss: Woher kamen die anderen Waffen?

Beate Zschäpe, Angeklagte im NSU-Prozess, könnte nach einem Urteil in Sachsens Ausschuss zum Terror-Netzwerk zitiert werden, um dort offene Fragen klären zu helfen.

Dresden.

Während im Münchner Prozess zum Terror des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU) gestern der Weg der Serien-Mordwaffe Ceska 83 nachvollzogen wurde, will in Sachsen der Untersuchungsausschuss zum Terror-Netzwerk dem Rest des NSU-Waffenarsenals nachgehen. Der Verkaufsweg der Mordwaffe aus der Schweiz über die Jenaer Neonazi-Boutique "Madley" bis zum NSU-Trio ist weitgehend belegt, argumentiert die Bundesanwaltschaft.

Doch woher stammen all die anderen Waffen, über die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe verfügten? Das fragt die stellvertretende Ausschussvorsitzende Kerstin Köditz, Rechtsextremismus-Expertin der Linken im Landtag, die in dieser Woche Halbzeitbilanz zur Ausschussarbeit zog. 20 Schusswaffen fand man beim Trio, acht im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach, zwölf in der von Zschäpe angezündeten Zwickauer Wohnung.

Köditz erwägt, nach Abschluss des Terror-Prozesses Zschäpe selbst als Zeugin in den Ausschuss zu laden. Immerhin habe diese vormals betont, manche Dinge, die sie als Angeklagte vor Gericht nicht erörtern werde, eventuell einem parlamentarischen Ausschuss zu offenbaren. "Solange die Behörden Geheimniskrämerei betreiben, ist das vielleicht die einzige Chance, Licht ins Dunkel zu werfen", sagt Köditz.

In Bezug auf manche Waffen ist es schwer, ohne Hilfe die Herkunft zu ergründen. Etwa bei der Pistole vom Typ Bruni, die bei einigen Ceska-Morden als Zweitwaffe eingesetzt wurde. Es handelte sich zunächst um eine frei zu erwerbende Schreckschusspistole. Sie wurde erst zu einer scharfen Waffe umgebaut. Die beiden Heckler-und-Koch-P2000-Pistolen aus dem Wohnmobil stammen, anhand ihrer Nummern belegbar, von dem Heilbronner Polizisten-Mordopfer Michèle Kiesewetter und deren Kollegen.

Die beiden Tatwaffen des Überfalls auf den Streifenwagen stellen die Ermittler bisher vor Rätsel. Die 22-jährige Beamtin Kiesewetter starb an einem Kopfschuss aus einer polnischen Pistole vom Typ Radom Vis. Ihr Kollege überlebte knapp einen Kopfschuss aus einer russischen Tokarew TT 33, Kaliber 7,62 Millimeter. Beide Fabrikate sind Beutewaffen aus dem Zweiten Weltkrieg, also Pistolen, die nach Einmarsch der Wehrmacht in Polen und Russland auch von Deutschen genutzt wurden. Die Nummer der Radom (H1836) bezeichnet eine Serie, die während des Kriegs unter Regie der Wehrmacht hergestellt und an Einheiten der SS ausgegeben wurde. Zur Tokarew bat das BKA Interpol Moskau um Hilfe. Die Pistole wurde zwischen 1933 und 1942 hergestellt. Der Typ gehörte zur Ausrüstung der russischen Armee und wurde später von deutschen Soldaten genutzt. Doch nützt Wissen über Ursprünge noch nicht dabei, den Weg zum Trio zu beschreiben.

Lediglich eine Spur ins verzweigte sächsische NSU-Helfernetz gibt es. 2006 wurde bei dem Rechtsextremisten Jörg W. nahe Dresden bei einer Razzia eine Patrone vom Typ Tokarew, Kaliber 7,62 Millimeter, gefunden, identisch mit der ein Jahr später beim Heilbronn-Überfall genutzten Munition. Jörg W. behauptete, die Patrone einzeln gefunden zu haben. Außer schießuntauglichen, frei zu erwerbenden Deko-Waffen habe er nie Waffen besessen, versicherte er. Allerdings verfügte Jörg W. über Kontakte zu ostsächsischen Rechtsextremisten, die 2003 sehr wohl scharfe Pumpguns und Handfeuerwaffen in der Szene feilboten. Die Waffenschieber wurden erwischt und verurteilt.

Jörg W. ist nicht irgendein Rechtsextremist. Er war fest ins Blood-&-Honour-Netzwerk eingebunden und beschaffte dem Chemnitzer NSU-Helfer Thomas S. jene anderthalb Kilogramm TNT, um die Mundlos vor Abtauchen des Trios gebeten hatte. Die Rohrbomben, die das Trio in Zschäpes Garage in Jena mit dem Militärsprengstoff bastelte und die bei einer Razzia im Januar 1998 entdeckt wurden, lieferten erst den Grund fürs Untertauchen.

Die Größe und Verzweigtheit des Netzwerks der Helfer gehört laut Köditz ebenso zu den vom Ausschuss noch auszuleuchtenden Bereichen. Die Zahl der Helfer aus Sachsen liege im hohen zweistelligen Bereich, glaubt Köditz. Einige Namen hat Zschäpe im Prozess genannt. Andere reden offen über ihre Hilfe, allerdings nur dann, wenn ihnen nur längst verjährte Unterstützerdienste nachweisbar sind.

Das "Blood-&-Honour"-Netzwerk half dem NSU-Kerntrio beim Abtauchen in Chemnitz. Im Jahr 2000 wurde Blood & Honour verboten. Exakt zeitgleich begann die NSU-Mordserie. "Kurioserweise war der sächsische Teil des Blood-&-Honour-Netzes vom Verbot nicht betroffen. Er hatte sich zuvor abgespalten", betont Köditz und stellt angesichts jüngster Erkenntnisse eine bohrende Frage: "Geschah die Abspaltung operativ, weil man ums drohende Verbot wusste und die Nähe des sächsischen Netzes zum NSU verschleiern wollte?" Vielleicht habe sich der damalige Deutschland-Chef von Blood & Honour, der einst Berliner Rechtsextremist Stephan L., genannt "Pinocchio", offiziell seiner NSU-Nähe entledigen wollen, als er vom drohenden Verbot Wind bekam. Immerhin arbeitete er, wie erst jetzt herauskam, als V-Mann des Bundesverfassungsschutzes. Kontakt nach Sachsen hielt "Pinocchio" auch nach dem Verbot. Im Oktober 2001 wurde er in Chemnitz festgenommen - bei einem Neonazi-Konzert in der Gartengaststätte "Sommerlust". 217 Konzertbesucher wurden identifiziert. Doch rund 50 Besucher durchbrachen, mit Zaunslatten bewaffnet, einen gesetzten Polizeikordon. Sie entkamen unerkannt.

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