Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen
Chefredakteur Torsten Kleditzsch (l.) begrüßte die Teilnehmer zum Bürgerdialog. Mit derartigen Formaten hat die „Freie Presse“ seit 2018 oft die gesellschaftliche Verständigung gefördert und bereichert.
Chefredakteur Torsten Kleditzsch (l.) begrüßte die Teilnehmer zum Bürgerdialog. Mit derartigen Formaten hat die „Freie Presse“ seit 2018 oft die gesellschaftliche Verständigung gefördert und bereichert. Bild: Ulf Dahl
Sachsen
Kulturhauptstadt Chemnitz: „Freie Presse“ und Lokalzeitungsinitiative bringen 40 Top-Journalisten mit Bürgern ins Gespräch

Vierzig Chefredakteure von Lokalzeitungen aus ganz Deutschland sind im offenen Gespräch auf mehr als 100 Chemnitzerinnen und Chemnitzer getroffen. Es kam zu lebhaften Diskussionen. Was haben sie sich gesagt?

Chemnitz.

Tief im Westen erscheinen im Landkreis Grafschaft Bentheim, im Emsland und den grenznahen Niederlanden die „Grafschafter Nachrichten“. Am Donnerstagabend berichten sie online über ihren Landrat, die Einreisekontrollen an der Grenze und „Bauer sucht Frau“. Der Digital-Chefredakteur der „Nachrichten“ aber steht vor der Chemnitzer Stadthalle in der Nachmittagssonne und diskutiert mit Bürgerinnen und Bürgern – neunzig Minuten lang. „Es waren neun Gesprächspartner bei uns, die ganze Bandbreite an Meinungen: Vom begeisterten Zeitungsleser bis zum früheren NVA-Soldat, der grundsätzlich allem misstraut und dagegen ist.“

Steffen Burkert, so heißt der Mann aus Nordhorn, hatte nicht die weiteste Anreise zum Lokaljournalismusforum der Bundeszentrale für politische Bildung. Medienschaffende kamen auch aus Dänemark, der Schweiz und Österreich. Seit drei Jahrzehnten ist das Forum Lokaljournalismus ein wichtiger Treffpunkt der Branche. Es dient den Lokalmedien zum Austausch, zur Vernetzung und Verbreitung von Ideen. Im Kulturhauptstadtjahr machte die Karawane nun zum ersten Mal in Chemnitz Station. Und die „Freie Presse“ holte die Macher aus den Tagungsräumen im Carlowitz Congress Centrum der Stadthalle heraus – zum Bürgergespräch.

„Es ist nicht so, dass wir solche Foren bei uns nicht auch machen würden“, sagte Steffen Burkert hinterher. „Aber das war schon eine sehr spannende Sache hier.“

Tanja Ochs von der „Heilbronner Stimme“ wiederum zeigte sich beeindruckt vom respektvollen Auftreten auch solcher Diskutanten, die mit Ärger und Kritik gekommen waren. An 18 Stehtischen mit Blick in den Stadthallenpark trafen jeweils eine knappe Handvoll Interessenten auf zwei oder drei der Medienleute. Alle halbe Stunde ertönte eine Glocke, und die Gäste wechselten den Tisch. Eigentlich solle es um Medien, Macht und Meinung gehen. Und ging am Ende doch auch um Gott und die Welt.

Anlässlich des dreitägigen Lokaljournalistenforums der Bundeszentrale für politische Bildung in Chemnitz hatte die „Freie Presse“ am frühen Donnerstagabend Bürgerinnen und Bürger eingeladen, mit Journalisten aus ganz Deutschland über Meinung, Macht und Medien ins Gespräch zu kommen.
Anlässlich des dreitägigen Lokaljournalistenforums der Bundeszentrale für politische Bildung in Chemnitz hatte die „Freie Presse“ am frühen Donnerstagabend Bürgerinnen und Bürger eingeladen, mit Journalisten aus ganz Deutschland über Meinung, Macht und Medien ins Gespräch zu kommen. Bild: Ulf Dahl

Bei Thomas Schwarz von der „Allgäuer Zeitung“ beschrieb ein älterer Herr, dass und wie er als dreijähriges Kind die Chemnitzer Bombennächte miterlebt hatte. Dann wünschte er sich Frieden und einen Beitrag dazu auch von den Berichterstattern. Am Tisch bei Tanja Ochs und Steffen Burkert stand Chemnitz zunächst im Mittelpunkt, als der Künstler Steffen Volmer den Auswärtigen erklärte, warum er die Stadt liebte und dennoch an ihr litt, und das schon seit Jahrzehnten. Online- und Zeitungsleser der „Freien Presse“, die zur Stadthalle gekommen waren, zollten Lob und übten Kritik am Heimatmedium, querbeet. Ein Grüppchen älterer Damen und Herren verließ die Veranstaltung vorzeitig, weil es sich in seiner Meinung über den Russland-Ukraine-Konflikt und die mediale Berichterstattung darüber partout nicht ins Recht gesetzt sah.

Das Thema kam an vielen Tischen auf, häufig mit der Vorrede: „Die lokale Berichterstattung finden wir gut, aber die Weltpolitik...“ Tatsächlich sehen sich Lokalmedien häufig in der Situation, für gewisse andere Medien mit verhaftet zu werden, sagte Henry Lohmar von der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“. Das bestätigte Benjamin Piel vom „Weser-Kurier“, ein Vordenker des Lokaljournalismus. „Dabei sind die Lokalmedien selbst vor Ort, erreichbar von den Menschen. Und was sie veröffentlichen, kann leicht überprüft werden“, sagte Piel.

Vielleicht sind es die Umstände, die alles so schwierig machen. Am Anfang des Lokaljournalismus, im Jahrhundert der Industrialisierung, schrieben engagierte Bürger für Blättchen ohne Standards, aber mit viel Herzblut. Später kamen die Verlage mit ihren fest angestellten Redakteuren, schufen Ausbildungswege und ein klares Berufsbild. In älteren Krimis oder im Western wurden Journalisten noch vor wenigen Jahrzehnten als Männer mit Hut und Whiskyglas gezeigt, die gelegentlich im Kugelhagel enden. Heute sagt Dieter Schreier von der Initiative Tageszeitung e.V., ein erfahrener Zeitungsmann, dass Journalisten vielleicht besser wussten, wie die Menschen tickten, als sie noch mehr in der Kneipe waren. Der Verlust an Zeitungstiteln, wirtschaftliche Konzentration und neue digitale Konkurrenz haben zur Arbeitsverdichtung in den Redaktionen geführt. Lokalreporterinnen und -reporter arbeiten längst multimedial, schreiben Artikel, posten online, machen Fotos, drehen Videos, nehmen Podcasts auf.

Um den Menschen wieder näherzukommen, schicken die „Nürnberger Nachrichten“ ein Reportermobil durchs Land, stellen die „Aachener Nachrichten“ Leserforen zu aktuellen Themen in ihrem neuen Verlagshaus im Gewerbegebiet jede Woche auf die Beine, macht der Waiblinger Zeitungsverlag zeitweise „Pop-up-Redaktionen“ in einer alten Metzgerei oder in einem leerstehenden Blumenladen auf. Über solche Konzepte wurde im Fachforum der Medienleute diskutiert.

„Der andere könnte recht haben“. Unter diesem Motto kam es zum kritischen, aber respektvollen Meinungsaustausch zwischen Chemnitzer Bürgern und Journalisten aus ganz Deutschland.
„Der andere könnte recht haben“. Unter diesem Motto kam es zum kritischen, aber respektvollen Meinungsaustausch zwischen Chemnitzer Bürgern und Journalisten aus ganz Deutschland. Bild: Ulf Dahl

Im Bürgerdialog an der Chemnitzer Stadthalle zeigte sich ein Trend, den Henry Lohmar von der „Märkischen“ so formulierte: „Wir beginnen ein Gespräch über irgendein Thema und landen am Ende bei der AfD.“ Bei der AfD und beim russischen Krieg. Ob im Osten oder Westen, Norden oder Süden – die Chefredakteure sind sich völlig einig, dass es zu einer objektiven, das heißt faktenbasierten Berichterstattung keine Alternative gibt.

Von Populisten und Extremisten wird das unterlaufen, indem sie unklar formulierte, unterschiedlich zu verstehende Argumente zu langen Argumentationen aneinanderkleben, wie die Kieler Forscherin Paula Diehl erklärte. Der Hang zur Emotionalisierung, zur Ungeduld, zur übertriebenen Vereinfachung in den digitalen Medien sorgt dort zwar für Aufmerksamkeit, schadet aber der Glaubwürdigkeit des Journalismus und damit der öffentlichen Debatte. Ein Dilemma. Steffen Burkert fand es allerdings „schön zu sehen, wie viele Besucher sich wirklich damit beschäftigt haben, wie Medien funktionieren.“ Nicht wenige forderten direkt im Gespräch von den Medienleuten seriöse, tiefgründige, ernsthafte Berichterstattung ein.

Am Ende, nach der letzten Glocke, gab es Beifall für die Diskutanten. Nadine Wustmann, 25, aus Chemnitz, fand es „total spannend“, Medienleute so hautnah erleben zu können: „Das sollte es öfters geben!“ Cornelia Debus, 19, aus Chemnitz, sagte: „Anfangs hatte ich Probleme mit dem Ablauf, aber nach dem ersten Wechsel kam ich viel besser ins Gespräch. Allerdings hätte ich nach jeder Gesprächsrunde ein kurzes Fazit erwartet.“

Die Regionaljournalisten waren im Anschluss an den Bürgerdialog noch im Newsroom der „Freien Presse“ – Ostdeutschlands größtem regionalen Medienhaus – zu Gast. Die Tagung mit den Fachvorträgen im Carlowitz Congress Center endet am Freitag. (ros)

© Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG
Genießen Sie Ihren geschenkten Artikel!
Das könnte Sie auch interessieren
23.05.2025
2 min.
Chemnitz spricht: Muss Journalismus neutral sein?
Das gab es noch nie – Chemnitz 2025 macht‘s möglich: Die „Freie Presse“ lädt zum Bürgerdialog im Stadthallenpark mit Journalisten aus ganz Deutschland ein. Anmeldungen sind ab sofort möglich.
Jana Klameth und Torsten Kleditzsch
03.06.2025
4 min.
Was die Kulturhauptstadt im Juni neben Groß-Events noch zu bieten hat
Ausschnitt aus dem Videoclip zu „Innenlandschaften" von Klaus Pobitzer, der im Garagenhof Ahornstraße gezeigt wird.
Der Juni ist bisher der vollgepackteste Monat im Kulturhauptstadtjahr. Neben Höhepunkten wie Kosmos und Makers United macht die „Freie Presse“ hier auf kleinere, aber feine Veranstaltungen aufmerksam.
Jana Peters, Jens Kassner
16:32 Uhr
4 min.
Mahnen, erinnern, bauen: Vier Jahre nach der Ahrtalflut
So sah es damals kurz nach der Flut im Ahrtal aus. (Archivbild)
Menschen wurden vom Wasser mitgerissen, der Schlamm stand bis zur Decke. Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat Spuren hinterlassen. Die sind auch vier Jahre später noch zu spüren – und zu sehen.
14.07.2025
3 min.
Reiseunternehmer im Erzgebirge stemmt Millioneninvestition
Die Brüder René (rechts) und Rico Lang führen gemeinsam mit ihren Frauen Stephanie und Nicole das Busreiseunternehmen.
Luxus auf Fernreisen will das Busreise-Unternehmen Lang in Aue bieten. Dafür soll der Fuhrpark bis 2028 komplett erneuert werden. Jetzt wurde der erste Schritt dahin gemacht.
Heike Mann
11.07.2025
4 min.
Von Bier bis Piña Colada: So teuer ist das Schlemmen am Sachsenring
Diese Fans aus Freiberg würden sich wünschen, dass das Bier etwas günstiger wäre. Trotzdem war es für sie – wie für die meisten Besucher – bei den Getränken die erste Wahl.
Beim Moto-GP sind am Wochenende Rennfahrer und Besucher aus der ganzen Welt zu Gast. Wie international ist das kulinarische Angebot? Und was kostet der Spaß?
Cristina Zehrfeld
16:30 Uhr
4 min.
Kita-Betreuung in Glauchau: Mehrkosten für Eltern sollen gedeckelt werden
Für die Kita-Betreuung müssen die Glauchauer Eltern jährlich mehr Geld bezahlen.
Von Jahr zu Jahr steigen in Glauchau die Elternbeiträge für die Kita-Betreuung an. Und jedes Jahr debattieren die Stadträte teils heftig. Das soll sich mit der künftigen Regelung ändern.
Stefan Stolp
Mehr Artikel