
Während viele Länder innerhalb Europas an Atomstrom festhalten und die Zahl ihrer Atomkraftwerke sogar weiter ausbauen, ist das Thema in Deutschland seit vielen Jahren eines der wohl meist diskutierten. Spätestens durch die Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung schien der endgültige und planmäßige Abschied von Kernenergie hierzulande endgültig besiegelt. Dabei hatten die Befürworter eines schnellen Ausstiegs nach dem vereinbarten Fahrplan sozusagen die Rechnung ohne den Krieg in der Ukraine gemacht. Der massive Anstieg der Energiepreise führte schon vor Wochen dazu, dass sich zunehmend Experten zu Wort melden und längere Laufzeiten der Kraftwerke fordern. Ursprünglich sollten die Werke nur noch bis zum Jahresende bei der heimischen Stromerzeugung eine Rolle spielen. Wie lange genau ein Weiterbetrieb sinnvoll wäre, diesbezüglich gibt es unterschiedliche Positionen.
Abweichende Meinungen gibt es im Übrigen hinsichtlich der Umsetzung der Forderungen. Ganz so einfach, wie es sich mancher vorstellt, wäre eine Laufzeitverlängerung am Ende eben nicht. Dies wiederum könnte sich im Hinblick auf die nötigen Energiereserven für den kommenden Winter noch als Problem erweisen.
Die Politik sucht derzeit händeringend nach Lösungen, um bisher reduzierte Lieferungen von Gas und Öl aus Russland auszugleichen. Auch die Partnerschaft mit dem Emirat soll schnellstmöglich drohende Versorgungslücken schließen. Nun also kommen auch in stärkerem Maße Verlängerungen der AKW-Laufzeiten ins Gespräch. Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei die Überlegung ebenso sinnvoll wie wirksam. Diese Position vertritt unter anderem die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm. Die Professorin für Volkswirtschaftslehre gehört den sogenannten Wirtschaftsweisen an. Auch Clemens Fuest, amtierender Präsident des renommierten ifo-Instituts aus München, spricht sich für eine Verschiebung des Atomausstiegs aus. Ein weiterer Experte, der das Festhalten an den bisherigen Plänen zum aktuellen Zeitpunkt für falsch hält, ist Professor Lars Peter Feld. Feld war bis zum vergangenen Jahr ebenfalls Mitglied des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ und zuletzt Vorsitzender der Wirtschaftsweisen. Inzwischen gehört er zum engen Beraterkreis des Bundesfinanzministers Christian Lindner.
Für Feld ist klar: In der jetzigen schwierigen Situation sei eine Fortsetzung des Atomausstiegs der Bevölkerung ausgesprochen schwer zu vermitteln. Schlicht und ergreifend, weil dies zwangsläufig zu weiteren Preisanstiegen auf dem Energiemarkt (insbesondere für Gas und Öl, aber auch bei anderen Energieträgern) führen würde. Veronika Grimm sieht ihrerseits in längeren Laufzeiten für Atomenergie ein wichtiges Instrument, um eine schnellere Unabhängigkeit von Russland zu erreichen.
Wichtig ist den meisten Experten, dass der Vorschlag zur Laufzeitverlängerung keineswegs darauf abziele, den Ausstieg als solchen zurückzunehmen. Stattdessen gehe es um eine vorübergehende Überbrückung der zu erwartenden Engpässe. Es brauche jedoch Anreize für die deutsche Energiewirtschaft, damit Konzerne Kraftwerke wieder hochfahren. Für Betreiber ist eine Perspektive unverzichtbar. Oder anders formuliert: Das „kurzfristige“ Hochfahren muss sich rechnen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine zeitweise Rückkehr zu einem größeren Anteil von Atomenergie im deutschen Energie mit technischen Herausforderungen verbunden ist. Deutschland laufe die Zeit davon. Ifo-Präsident Fuest bezeichnet einen Verzicht auf den Weiterbetrieb von AKW derzeit gar für „fahrlässig“. Eine Verlängerung der Laufzeiten, so Fuest, würde Deutschland vor dem Hintergrund der momentanen Versorgungsrisiken mehr „Handlungsspielraum“ verschaffen. Wirtschaftswissenschaftlerin Grimm betont, ein „Streckenbetrieb“ im Zusammenhang mit Atomenergie würde bis zum Frühjahr 2022 Einsparungen im Gassektor ermöglichen.
Für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten spricht nach Auffassung vieler Energieexperten zudem, dass Erneuerbare Energien in Deutschland noch immer eine zu kleine Rolle spielten, während die Politik weiterhin mit großen Mühen am Ausstieg aus dem fossilen Brennstoff Kohle arbeitet. Das hohe Preisniveau auf dem Gasmarkt dürfte deutsche Unternehmen und Haushalte wenigstens mittelfristig belasten. Einig sind sich Experten in dem Punkt, dass es zügige politische Entscheidungen braucht. Die Wirtschaftsweise Grimm zeigt sich überzeugt davon, dass ein rasch beschlossener Streckbetrieb sowie ein baldiger Kauf neuer Brennstäbe der Politik zu mehr Zeit bezüglich einer Laufzeitverlängerung verhelfen würde. Genau diese Beschaffung von Brennstäben ist dieser Tage eines der Kernprobleme.
Dass der deutsche Branchenverband Kernenergie seinerseits eine „befristete Verlängerung“ der Laufzeiten befürwortet, ist wenig überraschend. Dort heißt es, man müsse derzeit auf alle „verfügbaren Quellen“ zurückgreifen, die einen Beitrag zur Überbrückung der Energiekrise leisten können. Auch hier heißt es, für einen Weiterbetrieb sei Eile geboten. Schließlich laufe Prozess für die Abschaltung der Anlagen bereits seit längerem. Je mehr Zeit sich die Politik lässt, desto schwieriger werde das Hochfahren der Kraftwerke. Auf Zuspruch stoßen die genannten Forderungen bei der FDP. So forderte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, die letzten drei AKW in Deutschland müssten länger betrieben werden, um einer Verschärfung der Lieferengpässe vorzubeugen.
Von derlei Vorschlägen will vor allem ein führender deutscher Politiker nichts wissen: Bundeskanzler Olaf Scholz. Der SPD-Politiker hält wenig von einem Weiterbetrieb über den Jahreswechsel hinaus. Neue Brennstäbe nehme bis zu 18 Monate in Anspruch, weshalb die Verlängerung keine adäquate Option sei. Dieser Einschätzung widerspricht der Verband Kernenergie. Die nötigen technischen Schritte samt der Anschaffung von Brennstäben sei durchaus schon im laufenden Jahr möglich. Als Alternativen zu russischen Uranlieferungen nennt der Verband unter anderem die Kanada und Australien. Neben der Materialfrage gehe es jedoch auch darum, möglichst schnell geeignetes Personal für die Kraftwerke zu finden. Gegenwind erhält der Bundeskanzler ebenfalls aus Bayern.
Ministerpräsident Markus Söder etwa bezeichnete Begründung des Kanzler-Vetos in dieser Sache gar als „fachlichen Blödsinn“. Auch in der Bevölkerung stieg der Anteil der Befürworter für Atomenergie in Umfragen zuletzt deutlich. Das letzte Wort bei diesem Thema jedenfalls dürfte noch nicht gesprochen sein.
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