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Freiluftleben

Skandinavien gilt als Europas letzte Bastion für Wildcamper. In Deutschland bekommt das Draußen-sein auch immer mehr Fans. Dennoch hat es das kostenlose Abenteuer hier schwer.

Schon die 2011 verstorbene Lyrikerin Eva Strittmatter wusste: "Die guten Dinge des Lebens sind alle kostenlos: Die Luft, das Wasser, die Liebe." Und wundert sich in dem "Werte" genannten Gedicht darüber, warum uns das Leben so teuer erscheint. Dabei weiß jeder, der gelegentlich wandern geht, der Tage am See verbringt, der schon mal die raufasertapezierte Schlafzimmerdecke gegen den Sternenhimmel getauscht hat, was sie meint. Es ist so einfach, dass man es im Alltag manchmal vergisst. Das Wochenende vor dem Fernseher verbringt oder mit dem Haushalt. Dabei hat es seine eigene Faszination, und sei es nur für zwei Tage, auszusteigen. Auf Küche, Klo und Komfort zu verzichten.

Was man dafür bekommt, lässt sich in Geld nicht aufwiegen. Ein Picknick mit Blick auf tiefe Täler nach einem schweißtreibenden Aufstieg. Das kalte Bachwasser, das einem die Füße kühlt nach einem langen Wandertag. Zu sehen, was man im Hotelzimmer verpassen würde: Wie nach der Dämmerung die Dunkelheit heraufzieht, wie die Sterne außerhalb der Städte leuchten. Warum haben wir das nicht jedes Wochenende gemacht?

Das Wandern ist in Deutschland kein Ausnahmephänomen: Bei einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums von 2010 gaben 56 Prozent an, zumindest selten wandern zu gehen, 15 Prozent regelmäßig. Überwiegend hat Wandern das Image, gesund, billig, abwechslungsreich und erholsam zu sein. Zelten wiederum steht vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, aber auch Familien hoch im Kurs. Wandern ist aufgrund seiner Beliebtheit auch ein relevanter Wirtschaftsfaktor: Wanderer geben Geld für Ausrüstung aus, für wetterfeste Jacken, Tages-Rucksäcke, Wanderschuhe, Schlafsäcke, Zelte. Die Gesamtkosten bleiben jedoch überschaubar: "Im Durchschnitt gibt jeder Wanderer pro Jahr zirka 92 Euro für wanderspezifische Ausrüstungsgegenstände aus", fasst der Bericht zusammen. Und Geld spielt schließlich auch im Urlaub eine Rolle: In einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Stiftung für Zukunftsfragen gaben 79 Prozent der befragten Deutschen an, für ihr Urlaubsglück sei das Preis-Leistungsverhältnis sehr wichtig. Auf Platz zwei folgt neben der Gastfreundschaft mit 73 Prozent: die schöne Natur. Was liegt da näher, als kostenlos so viel Zeit wie möglich im Freien zu verbringen?

Die Norweger haben das Prinzip so verinnerlicht, dass sie ein Wort dafür haben: Friluftsliv. Das "Freiluftleben" hat im Norden Tradition, und es wird auch den Gästen in Skandinavien einfach gemacht. Schließlich erlaubt in verschiedener Form das Jedermannsrecht allen, "die Natur als Aufenthaltsort frei zu nutzen", wie es die Königlich Norwegische Botschaft erklärt. Dazu gehört, bis zu zwei Tage in der Wildnis zelten zu dürfen, auf allen fahrbaren Gewässern Boot zu fahren, zu schwimmen, Beeren zu pflücken, Pilze zu suchen und Feuer zu machen (außer zwischen April und September im Wald). Besonders die Finnen machen es Einwohnern und Touristen einfach. Wer dort in den Nationalparks unterwegs ist, findet nicht nur Holzunterstände zum Übernachten, sondern auch Feuerstellen nebst Holzstapel, Kompostiertoiletten, manchmal Trinkwasserpumpen und Kochhütten. Und trifft beispielsweise auf Urlauber aus Deutschland, die sich fragen: Warum geht das nicht bei uns?

Ein so weit gehendes Recht hat Deutschland nämlich nicht geschaffen. Bundesnaturschutzgesetz und Bundeswaldgesetz räumen lediglich ein Betretungsrecht ein. Somit darf sich jeder "zum Zweck der Erholung" in der freien Landschaft auf Straßen, Wegen und ungenutzten Grundstücken sowie im Wald bewegen - auf eigene Gefahr. Erholung wird dabei als Natur- und Freizeiterleben und sportliche Betätigung definiert, solange sie natur- und landschaftsverträglich ist. Wo betreten erlaubt ist, dürfen für den eigenen Bedarf aber auch Früchte, Pilze und Kräuter geerntet werden. Die Bundesländer können jedoch den Zutritt zum Wald aus wichtigen Gründen, etwa zur Vermeidung von Schäden, einschränken.

Manche kommen allerdings den Liebhabern von Outdooraktivitäten entgegen. So dürfen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Wanderer, Reiter, Boot- und Radfahrer für eine Nacht ein Zelt in freier Naturaufstellen. In Sachsen ist das nicht erlaubt. Wer dabei erwischt wird, handelt ordnungswidrig - und das kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

Für Übernachtungen direkt im Wald stehen in Sachsen zwar vereinzelt Forsthütten zum Mieten bereit, Waldbesitzer können zudem das Zelten oder Übernachten im Wohnmobil erlauben. "Aber das machen wir im Staatswald grundsätzlich nicht", sagt Klaus Kühling, Sprecher des Staatsbetriebs Sachsenforst. Schließlich gebe es im Wald keine Toiletten. Auch würden Tiere beunruhigt, zudem seien die Jäger nicht darauf vorbereitet, nachts auf schlafende Wanderer zu treffen.

Angesichts dieser Einschränkungen kommt es einem Meilenstein gleich, dass sich Schleswig-Holstein auf einen Pilotversuch einlässt. Die Stiftung Naturschutz hat im August eine Fläche zum Wildcampen frei gegeben, vier weitere sollen 2015 folgen. Nach zwei Jahren wird der Test ausgewertet. Wer den Platz im Eidertal bei Kiel nutzen will, soll sich an Regeln halten, wovon aber, wie die Stiftung schreibt, "die meisten dem Naturliebhaber nicht fremd sein dürften": nur eine Nacht, nur für Wanderer oder Radfahrer, kein offenes Feuer, Müll mitnehmen, Exkremente vergraben. Umweltminister Robert Habeck war der erste, der eine Nacht hier verbrachte. "Naturschutz wird von den Menschen häufig als Eingrenzung, als ordnungspolitische Maßnahme wahrgenommen. Das möchten wir mit dem Projekt 'Wildes Schleswig-Holstein' ändern. Wir wollen, dass die Menschen ihre Freiheit ernst nehmen und die Plätze in der freien Natur nutzen", zitiert ihn die Stiftung.

Die Natur frei nutzen zu dürfen, wenn man sich an Regeln hält, die selbstverständlich sein sollten: Dieser Grundgedanke könnte uns das zurückgeben, was ganz früher, vor Eigentumsgrenzen und Naturverschmutzung, normal gewesen sein muss. Sein, wo man sein möchte, schlafen, wo man müde wird, und selbst erleben, wie Tag und Nacht draußen sind. Für ein Draußen-Abenteuer ist es nie zu spät.


Das Problem mit dem Boofen

Der raue Fels ist noch warm von der Sonne. Unter den Steinen liegt der Strand. Weicher Sand lädt zum Ausstrecken ein. Müde vom Klettern im Sandstein direkt in den Schlafsack kriechen, während auf dem Gaskocher die Suppe heiß wird: Es ist eine gute Idee, nach einem langen Tag in der Natur auch die Nacht draußen zu verbringen.

Über 100 Jahre ist es her, dass Kletterer im Elbsandsteingebirge angefangen haben, in den sogenannten Boofen zu übernachten, weiß Hanspeter Mayr, Pressesprecher der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz. Und das zunächst aus ganz praktischen Gründen: "Da auch samstags gearbeitet wurde, konnten sie erst abends die Felsen erreichen, eine Boofe aufsuchen und hatten dadurch sonntags Zeit zum Klettern", erzählt er. Der Duft von Freiheit und Abenteuer lockte vor dem Ende der DDR immer mehr Menschen an, und nicht alle kamen, um die Sandsteinfelsen auch zu besteigen. Nach der Wende ließ das Interesse am Boofen nach, sagt Mayr, doch nun nimmt es wieder zu. Was als Ausnahme für kleine Gruppen von Kletterern begann, lockt mittlerweile vor allem am Wochenende dutzende Abenteurer an. Auch Pfadfindergruppen, Gruppenreiseveranstalter und Schulklassen nutzen die Boofen für kostenlose Übernachtungen. Und das geht nicht problemlos, denn Infrastruktur fehlt zwischen Felsen und Wäldern naturgemäß. "Entsprechend gibt es in oder bei jeder Boofe eine Kloaken-Ecke und ringsherum abgehackte Bäume, die in illegalen Feuern verheizt werden", verdeutlicht Mayr. Immer mehr Menschen bedeuteten eine erhebliche Belastung, auch für die Wildtiere. Damit Übernachten im Naturschutzgebiet funktioniere, müsse die Dosis stimmen. Doch aktuell "bereitet uns die Entwicklung des Boofens echte Sorgen", sagt der Nationalparksprecher.

Dazu muss man wissen, dass es verboten ist, im Nationalpark im Freien zu übernachten. "In Anerkennung der Tradition aus dem sächsischen Klettersport ist es ausschließlich an 58 gekennzeichneten Freiübernachtungsstellen möglich, im Freien zu übernachten, wenn dies im Zusammenhang mit der Ausübung des Felskletterns geschieht", erklärt Mayr die Ausnahmeregelung. Nur eine grobe Karte kündet von der Lage der Boofen, die früher unter den Kletterern mündlich weitergegeben wurde - ebenso wie der Verhaltenskodex für das Übernachten in der Natur. Für jene wollten Nationalparkverwaltung und Sächsischer Bergsteigerbund mit einer Vereinbarung die Tradition erhalten. Das war 2001. "Inzwischen sind wir von GPS und Internet eingeholt worden", sagt Mayr. Auf Schildern an den Waldeingängen würden sie auf die Regeln im Naturschutzgebiet hinweisen, doch Verstöße gegen diese festzustellen, gehöre mittlerweile zur Hauptaufgabe der Ranger an den Wochenenden. Wer außerhalb der offiziellen Boofen übernachtet oder gar Feuer macht, begeht eine Ordnungswidrigkeit.

Pläne, das Boofen zu verbieten, hegt die Nationalparkverwaltung indes nicht, sagt Mayr. "Wir wollen gerne, dass die bisherige Kulanzregelung weiter funktioniert." Hoffnung macht dafür das Beispiel einer ihm bekannten Sportgruppe, die nicht nur keine Spuren hinterlassen will. Sie räumt auch den Dreck anderer auf. Damit jeder, der eine Boofe erreicht, das Gefühl bekommt, der Erste an diesem besonderen Ort zu sein. Und nichts als weichen Sand oder Waldboden vorfindet.


Abenteuer vor der Haustür

Europäischer Fernwanderweg E3

Strecke: Klingenthal bis Altenberg

Länge: insgesamt 218,5 Kilometer

Dauer: 12 Etappen

Höhenmeter: 5463 Meter

Höhepunkte: Aussichten unter anderem von Scheibenberg, Pöhlberg

Alternative: Auf dem mittleren Teil der Strecke, etwa zwischen Eibenstock und Olbernhau, kann man auch dem südlicher gelegenen Kammweg folgen, der vom thüringischen Blankenberg nach Altenberg führt und in 17 Etappen empfohlen wird.

 

Malerweg

Strecke: Rundwanderung ab Pirna durch die Sächsische Schweiz

Länge: 112 Kilometer

Dauer: 8 Etappen

Höhenmeter: 3557 Meter

Höhepunkte: Die zahlreichen Gipfel, Schluchten und Höhlen, aber auch malerischen Orte entlang des Weges. Mit dem Robert-Sterl-Haus liegt auch ein Kunstmuseum auf der Route. Mit den zu überwindenden Leitern und Treppen ist der Weg nicht ganz einfach, aber sehr abwechslungsreich.

 

Anton-Günther-Weg

Strecke: grenzüberschreitende Rundwanderung ab Oberwiesenthal oder Johanngeorgenstadt

Länge: 70 Kilometer

Dauer: 4 Etappen

Höhenmeter: 1200 Höhenmeter

Höhepunkte: Besteigung von Fichtelberg und Keilberg, Besuch des Grabs des Mundartsängers Anton Günther.

 

Service

www.wanderbares-deutschland.de

www.pure-wanderlust.de

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