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"Über Menschen" als Schauspiel in Zwickau: Wenn man den Nazi-Nachbarn plötzlich mag
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Darf man einen Nazi mögen? Diese Frage stellt sich dem Publikum in der Bühnenfassung des Buchs. Warum die Inszenierung von Jan Jochymski keine einfache Antwort gibt.
Ute Menzel ist auf den Hund gekommen. Nun ja, sie spielt eine Hündin namens Jochen in "Über Menschen". Das Stück von Juli Zeh in der Bühnenfassung von Jan Jochymski hatte gestern im Gewandhaus Zwickau Premiere und Ute Menzel begeisterte das Publikum. Denn sie bellte sich nicht durch das Stück, sondern lieferte sich mit Julia Hell als Dora schöne Wortduelle. Hündin Jochen punktete dabei mit banalem Witz: "Steht ein Dalmatiner an der Supermarktkasse und fragt die Kassiererin: Sammeln Sie Punkte?" oder auch sehr philosophischen Fragestellungen wie: "Passt der Mensch in das Gesamtkonzept der Existenz?"
Der sprechende Hund kommt in Juli Zehs Erfolgsroman nicht vor. Doch bei Regisseur Jochymski diente das Tier als Trick, um die Figur Doras nicht vor Publikum dauerdozieren zu lassen. Ihre innere Zwiesprache verteilte sich so auf zwei Rollen, was super funktionierte.
Auf der Flucht
Dora nämlich hat Berlin verlassen und irgendwo im Brandenburger Land ein Haus gekauft. Sie ist auf der Flucht vor ihrem nervigen Freund Robert, einem radikalen Umweltschützer, und der Unübersichtlichkeit ihres großstädtischen Lebens. Doch in Bracken, so das kleine Dorf, ist sie zunächst auf sich gestellt und rackert sich auf der Baustelle ab, wo sie merkwürdige Dinge wie altes Kinderspielzeug findet. Doch das sollte nicht ihr größtes Problem sein. Denn es stellt sich heraus, dass ihr Nachbar ein bekennender Nazi ist, der gern einmal das Horst-Wessel-Lied fröhlich anstimmt. Und klar, es kommt bald zur Konfrontation. Als er Jochen beim Wühlen in seinen Gartenkartoffeln erwischt, droht er Dora: "Ich mach ihn kaputt"! So schlimm kommt es dann doch nicht, im Gegenteil. Dora und Nazi Gote nähern sich langsam an. Kerstin Laube gelingt ein ansprechendes Bühnenbild als Baustelle mit viel Beton und einer Leinwand, auf der idyllische Landschaften in unterschiedlichen Jahreszeiten projiziert werden. Und da ist das einfache, aber gemütliche Heim Gotes.
Vor diesen Kulissen gestaltet sich ein unbestimmtes und schwer erklärliches Zusammenfinden zweier völlig gegensätzlicher Menschen, es steht im Mittelpunkt der Inszenierung. Hell und Stephan Schäfer als Gote liefern sich witzige Wortgefechte, zeigen sehr überzeugend Abneigung und Ablehnung, aber eben auch ein wachsendes Interesse und so etwas wie Sympathie füreinander. Julia Hell changiert glaubhaft zwischen Naivität, Frustration und Abgeklärtheit. Stephan Schäfer gibt seinen Nazi grobschlächtig, aber auch empathisch und sogar liebevoll. Er kümmert sich rührend um seine Tochter Franzi. Und als Zuschauerin oder Zuschauer fragt man sich da schon: Darf man einen Nazi als Mensch mögen? Kann und darf man Gotes Ansichten ignorieren? Soll man für ein gedeihliches Miteinander eigene Überzeugungen zurückstellen? Insofern spielt Schäfer sehr gekonnt und authentisch eine sehr unangenehme Figur, weil man sich mit solchen Fragen eigentlich lieber nicht auseinandersetzen möchte. Und das ist ja genau das Ziel von Juli Zeh und ihrem Roman: Menschen in ihren ideologischen Komfortzonen zu hinterfragen. Sie und auch Jan Jochymski machen es einem aber nicht leicht. Denn Gote ändert ja nicht seine Ansichten. Gerade, wenn man meint, sich mit ihm als Mensch versöhnt zu haben, schwärmt er wehmütig in einer Szene von Ausflügen mit seinem Vater in seiner Teenagerzeit.
Gote ist nicht das einzige Problem
Doch diese Wochenendtrips stellen sich als Randale vor Asylantenheimen und Ausländerunterkünften heraus, die Anfang der 90-Jahre das gerade vereinte Deutschland erschütterten. Und Dora hat es ja im neuen Zuhause nicht nur mit Gote zu tun, sondern auch mit anderen Dorfbewohnern, die sehr ambivalent auf das Publikum wirken. Tom und Steffen, ein schwules Paar, bewusst überzeichnet von Daniel Koch und Hanf Idris gegeben, machen sich zwar über besorgte Bürger lustig, greifen aber selbst zu rechten Slogans in ihrer Argumentation. Auf die etablierte Politik ist auch Sadie nicht gut zu sprechen. Claudia Lüftenegger spielt wunderbar die neue Freundin von Dora, ein wenig schnoddrig, aber nahbar und herzlich. Die alleinerziehende Mutter zweier Söhne arbeitet sich in Nachtschichten in einer Gießerei ab. Doch das Geld reicht kaum für ein neues Mountainbike zum Geburtstag für einen ihrer Söhne. Ganz abgesehen davon, dass das Leben im ländlichen Bracken eben alles andere als idyllisch ist. Es gibt keinen Bäcker, keine Ärzte, keinen Supermarkt, keine Apotheke mehr, der öffentliche Nahverkehr ist ausgedünnt. Und das Haus, in dem Dora nun wohnt, war einmal ein Kindergarten. Kein einfaches Leben also mit sehr beschränkten Möglichkeiten in einer Welt, die von Pandemien, Klimawandel und ungewissen Perspektiven durchsetzt ist.
"Über Menschen" Jan Jochymski ist ein sehr unterhaltendes, launiges Stück. Doch hinter der Oberfläche aus Humor, komödiantischen, teilweise grotesken Elementen erweist es sich tiefschürfend, nachdenklich machend. Das Zwickauer Publikum bedankte sich dafür und für die großartige Ensembleleistung mit langem Applaus, stehend. Ein Zuspruch, den das Theater Plauen-Zwickau gerade in Zwickau momentan gut gebrauchen kann.
Nächste Vorstellungen von "Über Menschen" am 7. Oktober im Gewandhaus Zwickau und am 14. Oktober im Vogtlandtheater Plauen (Premiere).

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