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Wird "Im Westen nichts Neues" der nächste oscar-gekrönte deutsche Film?

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Was Edward Bergers Remarque-Verfilmung so besonders macht und warum er deshalb am Sonntag gute Chancen auf mehrere Academy Awards hat.

Literaturverfilmung.

Naiv und voller Euphorie ziehen Paul, Albert und Frantz in den Krieg. Doch was die jungen Männer an der Westfront dann erleben müssen, ist das pure Grauen. "Im Westen nichts Neues" gilt als Klassiker und immer noch genrebildend. Gemeint ist die US-Erstverfilmung, die 1930 in die Kinos kam und zwei Oscars erhielt. Auch damals war der Film, der als Ton- und Stummfilmversion aufgeführt wurde, keineswegs der erste Kriegsfilm. Doch die Hollywood-Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque galt als so radikal pazifistisch wie bis dahin keine zweite.

Viele gute Genre-Beispiele

Es ist nicht schwer, jede Menge gute und beeindruckende Beispiele des Genres zu benennen. Aber es gab immer wieder Produktionen, die aus der Masse herausragten. Erinnert sei nur an "Ich war 19" (DDR 1969) von Konrad Wolf. Der Film erzählt sehr nüchtern vom jungen Deutschen Gregor Hecker, der im April 1945 als Leutnant der Roten Armee nach Deutschland zurückkehrt und unmittelbar vor Ende des Zweiten Weltkriegs die letzten noch kämpfenden Wehrmachtssoldaten zur Kapitulation überreden soll.

In "Apocalypse Now" (USA 1979) von Francis Ford Coppola soll Captain Benjamin Willard als Angehöriger einer Spezialeinheit einen verrückt gewordenen Colonel im kambodschanischen Dschungel töten. "Apocalypse Now" ist ein verfilmter Fiebertraum, der die psychischen Aspekte des Vietnam-Krieges beleuchtete.

Bis heute gilt der Spielfilm "Geh und sieh" (Sowjetunion 1985) von Elem Klimow als ein Meisterwerk. Im Film schließt sich Teenager Fljora während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg weißrussischen Partisanen an und erlebt den unfassbaren Terror, den deutsche Truppen ins Land bringen. Klimow verzichtete dabei auf jede Heroisierung und jeglichen Pathos.

Mit den US-Filmen "Platoon" (1986) von Oliver Stone, "Der Soldat James Ryan" (1998) von Steven Spielberg oder " The Hurt Locker" (2008) von Kathryn Bigelow gab es weitere Filme, die sich auf ganz eigene Weise mit Krieg auseinandergesetzt haben und mit Oscars ausgezeichnet wurden. Zuletzt beeindruckte Sam Mendes mit seinem Werk "1917" über zwei britische Meldegänger an der Westfront. Die 2020 mit drei Oscars prämierte Produktion war ein sogenannter One-Cut-Film, der so geschnitten und gedreht wurde als laufe die Handlung in Echtzeit ab.

In Deutschland verhaltenes Echo

Und was ist nun das Besondere von "Im Westen nichts Neues", Jahrgang 2022? Die mittlerweile dritte Verfilmung des Remarque-Romans wurde für neun Oscars nominiert, unter anderem in der Königsdisziplin "Bester Film". Aber ausgerechnet in Deutschland war das Echo in den Feuilletons keineswegs euphorisch. Im Gegenteil: "Kein Buch ist so gut, dass man daraus nicht einen schlechten Film machen könnte", hieß es in der Süddeutschen Zeitung. Der Kritiker der "Bild"-Zeitung schrieb: "Schockte die Erstverfilmung von 1930 ebenso wie die Adaption von 1979 im Sinne von Remarque noch durch die monströse Banalität des Tötens, ist bei der Netflix-Produktion nur noch die Banalität übrig geblieben". In der "FAZ" wurde die mangelnde Werktreue beklagt. "Ich mag einfach nicht sehen, wie jemand mit beiden Händen seine Gedärme einzusammeln versucht. Wie Männer von Panzern überrollt werden oder einander mit bloßen Händen im Schlamm ertränken. Welche Mimik einer hat, der gerade an Senfgas erstickt", begründete im "Spiegel" ein Kritiker sein Ausschalten des Films bereits nach zwölf Minuten.

Komponierte Bilder wie von Otto Dix

Es gibt sie in der Tat, verstörende Szenen in Edward Bergers Film, doch vermeidet der Regisseur jeden Exzess. Statt Blut und Eingeweide ist dieser Film vielmehr eine Orgie aus Schlamm, Dreck und Hunger, die im krassen Widerspruch zu den Kameraeinstellungen stehen. Fast jedes Bild wirkt hier komponiert, als hätten Werke von Otto Dix Pate gestanden. Gleichwohl ändert das nichts an der apokalyptischen Endzeitstimmung des Films. Zudem zeigen sich erschreckende Parallelen zum derzeitigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine: ein grausamer Stellungskrieg mit wenig Bewegung an der Front und vor allem mit jungen Männern, die unausgebildet sinn- und skrupellos "verheizt" werden. Was den Film auch ausmacht sind die schauspielerischen Leistungen von Daniel Brühl, Albrecht Schuch, Edin Hasanovic und Devid Striesow, vor allem aber von Felix Kammerer als Paul, der kaum begreifen kann, was um ihn herum geschieht und der sich bis zum bitteren Ende zur seelenlosen Kampfmaschine entwickelt. Ein Held ist dieser Paul in keiner Minute des Films. "Man kann keine Heldenreise erzählen, ich empfinde für das, was wir in diesen Kriegen in die Welt getragen haben, nichts anderes als Gram, Scham und Schuld", betonte Edward Berger unlängst im Gespräch mit der "Freien Presse" die besondere deutsche Perspektive des Films. Gerade dieses Anliegen wird offenbar im Ausland mehr geschätzt als hierzulande.

Oscar-Jury ist heute breiter aufgestellt

Die Chancen sind also groß, dass der in Tschechien mithilfe der berühmten Barrandov-Studios gedrehte Film am Ende sogar mit mehr als einem Academy Award am Sonntag in Los Angeles nach Hause geht. Dafür spricht neben der Qualität des Films nach Meinung von Experten allein die Tatsache, dass die Oscar-Jury heute viel breiter und internationaler als noch vor Jahren aufgestellt ist. Auch die Preisflut bei den britischen Bafta-Awards und der Einfluss von Netflix als großer Player im internationalen Filmgeschäft werden dem Werk nützen. 

 

 

Der verbrannte Bestseller

Als der Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque im Januar 1929 nach Vorabdruck im November 1928 in der liberal-bürgerlichen "Vossischen Zeitung" in Buchform erschien, war das der Beginn einer Erfolgsgeschichte. In den ersten elf Wochen setzte der Propyläen-Verlag 450.000 Exemplare ab. Noch 1929 wurde das Buch in 26 Sprachen übersetzt.

Die Literaturkritik nahm das Werk zwiespältig auf. Stefan Zweig titulierte es als "vollkommenes Kunstwerk und unzweifelhafte Wahrheit zugleich", derweil die "Neue Leipziger Zeitung" bemängelte, hier werde der Krieg "wie ein Naturereignis, nicht wie ein Menschenwerk" beschrieben. Die KPD-Zeitung "Rote Fahne" verriss das Buch als "Kameradschaftslegende zur Beschönigung des Kriegs".

Die Nazis zettelten als Reaktion auf das Buch eine Rufmordkampagne gegen Remarque an, die in der Behauptung gipfelte, er sei gar nicht im Krieg gewesen. Viele Exemplare des Romans fielen den berüchtigten Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 zum Opfer.

Das Buch Erich Maria Remarque: "Im Westen nichts Neues". Kiepenheuer & Witsch. 336 Seiten. 10 Euro.

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