Die Insel als Bollwerk: So (wenig?) Augenhöhe bietet die Kulturhauptstadt jungen Menschen
„C The Unseen“? An sich ist „Jugendkultur“ hoch relevant. Trotzdem muss sie im offiziellen Programm für 2025 vor allem ihren Kampf darum thematisieren, überhaupt als Kultur anerkannt zu werden. Ups!
Chemnitz.Geht es um junge Menschen, gibt sich die etablierte Kultur der „Großen“ oft verblüffend schnell inklusiv: Die sind dann - schwupps - einfach mit gemeint und dürfen sehr gern alles mit besuchen, was sich aus „klassischer“ Sicht natürlich generell an alle Menschen richtet. Ist halt genial - da kommt der Nachwuchs schon noch dahinter! Darüber hinaus kann man ja zur Not ein paar kleine Inseln schaffen, auf denen es dann auch mal anders, schief und laut werden darf - ausnahmsweise!
Das Programm der Kulturhauptstadt bricht aus diesem generell verbreiteten Habitus, geboren aus dem Bedürfnis der „Neukundengewinnung“, bisher nicht erkennbar aus. Ein ernsthaft aktive Beteiligung junger Menschen allen Alters unterhalb der gesetzlichen Volljährigkeit? Eine Suche nach gemeinsamer Augenhöhe in der Stadtgesellschaft? Oder ein fundiertes Interesse an deren besonderen Perspektiven? Sieht das Programm nicht eben ausdrücklich vor.
Bleiben also die Inseln, die, gekonnt eingeflochten, als Gegenbeispiel herhalten müssen. Davon gibt es aber immerhin ein paar - von denen man sich Öffnung und Breitenwirkung im Sinn eines gleichwürdigen Miteinanders der Generationen erhoffen könnte.
Die „Sächsische Nacht der Jugendkultur“ etwa, über die noch nichts Konkreteres bekannt ist außer, dass sie „junge Menschen aus ganz Europa“ zu einem Festival nach Chemnitz zusammenbringen soll. Bei dem Projekt der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen e.V. sollen „Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren in sächsischen Orten bis 40.000 Einwohner“ eigene Veranstaltungsideen umsetzen und vorstellen können. Wie wäre es denn, wenn auch das inklusiv gemeint sein könnte: Kann man das nicht einfach als Kultur im Gemeinsinn betrachten?
Der bekannte „Kosmos“ vom 13. bis 15. Juni in Chemnitz dürfte für junge Menschen daher eine der Kernveranstaltungen der Kulturhauptstadt werden: Bei dem bunten Demokratie-Festival, das aus dem berühmten „Wir sind mehr“ von 2018 entstand, hat das bisher beispielhaft funktioniert. Umso bitterer, dass der dicke Wermutstropfen unsichtbar hinter dem Programm klebt: Der „Kosmos“ wird 2025 von der Kulturhauptstadt GmbH ausgerichtet. Was bedeutet, dass er seit den Rathaus-Querelen um den einstigen Träger CWE immer noch keine feste organisatorische Wurzel in der Stadt hat und damit für 2026 in den Sternen steht. Im Ernst, Chemnitz?
Kein Wunder also, dass die „United Club Convention“ am 13. Juni im Chemnitzer Atomino etwas Bollwerkiges hat: Ziel ist, die Vernetzung von Clubkultur auf europäischer Ebene voranzutreiben. Mehrere Popup-Veranstaltungen sollen zudem clubrelevante Themen über das gesamte Jahr tragen und gängigen Klischees von Exzess und Eskapismus entgegenwirken. Eine Kulturhauptstadt, in der eine hoch relevante Kultur es sich zum Thema machen muss, immer noch darum kämpfen zu müssen, überhaupt zur Kultur gezählt zu werden? Es gibt Arbeit, Leute!
Dass man junge Menschen in ihren Weltsichtweisen auch sehr ernst nehmen kann, ohne das explizit so zu nennen, zeigt dagegen die Ausstellung „European Realities“ vom 27. April bis 10. August im Museum Gunzenhauser. Die Schau macht Parallelen auf zwischen dem Beginn der 2020er-Jahre (samt Populismus und dem Erstarken nationalistischer Tendenzen) zu den 1920er-Jahren. Die Kunstsammlungen Chemnitz bringen dazu erstmals die Realismusbewegungen der 1920er und 1930er Jahre als gesamteuropäisches Phänomen zusammen: Man zeigt, wie die Welt schon einmal aus den Fugen geriet!
Analog auch „Perspektiven - Filmfestival für Menschenrechte“, das an vier Tagen im November in Chemnitz Kino von Jugendlichen für Jugendliche zeigt. Der Fokus liegt auf Themen wie Umweltschutz, Menschenrechte, Migration und Mobbing.
Bereits im September thematisiert die queerfeministische Ausstellung „Out Of Order“ der Künstlerperson Jamie Mulcahy Fragen um die Suche nach dem eigenen Ich: Darf ich die Person sein, die ich selbst bestimme zu sein? Und darf ich es überall sein? Die Schau soll die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen widerspiegeln, die sich intensiv mit ihrer geschlechtlichen und sozialen Identität auseinandergesetzt haben. Sie thematisiert dabei Körperhass und Scham, dokumentiert aber auch die Suche nach den eigenen Grenzen - und Glück. Der Ort steht noch nicht fest.
Zwei Kreativ-Camps für junge Menschen bietet die Denkstatt Erzgebirge mit „Miriquidi - Kids In The Forest“ vom 2. bis 5. sowie vom 9. bis 11. Juli. Ausgehend vom aus DDR-Zeiten bekannten Construc-Holzbaukasten der Olbernhauer Vero-Spielzeugmacher hat diese ein modulares Kinder-Camp mit Zelten und Küche entwickelt, mit dem heimatlicher Kreativspaß im Grünen geboten werden soll. Der Ort ist noch offen.
Eine Mischung aus Sportschau und jugendlicher Eigenaktivität dürfte dagegen das Europäische Skateboard-Festival „BDTSK8“ werden. Es findet vom 22. bis 24. August im Chemnitzer Konkordiapark statt. Inwiefern das mitten in der Kulturhauptstadt passiert statt nur dabei? Man darf gespannt sein!
Auch der Room Hip-Hop-Spot in Chemnitz macht im KuHa-Jahr, was er immer macht - hat aber als offizieller Programmteil mit seinem „Room For Culture“ von Februar bis November die verdiente Chance, besser gesehen zu werden: Das Team lebt den ursprünglichen Hip-Hop-Geist von gegenseitigem Respekt, Anerkennung und Vernetzung seit vielen Jahren und ist dabei jungen Menschen gegenüber beispielhaft inklusiv. Mit Gästen aus aller Welt gibt es 2025 viele Workshops, Shows und Battles - auch an unerwarteten Orten der Stadt.
„Hallenkunst“ schließlich von Oktober bis November wird eine Ausstellung in der Markthalle Chemnitz mit Graffiti- oder Street-Art Künstlern aus Europa und den USA. Gezeigt wird Malerei, Fotografie, Illustration, Design, Musik und Mode. Parallel entstehen bereits Murals auf unterschiedlichen Flächen im öffentlichen Raum. Bleibt abzuwarten, inwiefern diese mehr sein dürfen als nur mainstream-kompatibles Jugend-Symbol.