Erstes Album nach sechs Jahren: Die Prinzen sind zurück
"Das Leben ist Grausam" hieß das Debütalbum der Prinzen: Vor 30 Jahren startete die Band damit eine der wohl ungewöhnlichsten deutschen Pop- karrieren - alle Tiefen wandelten die Leipziger stets in neue Höhen um. Das neue, zwölfte Album "Krone der Schöpfung" unterstreicht das nun nach sechs Jahren Pause mit viel Schmackes, Herz und Weitblick.
Wer in den letzten drei Jahrzehnten in Leipzigs Kulturleben unterwegs war, ist irgendwann über Sebastian Krumbiegel gestolpert. Sei es bei Sinfonik im Gewandhaus oder Hardcore im Conne Island, bei Rammstein in der Arena oder als Überraschungsgast beim Geburtstagskonzert einer Lokallegende wie der Band Die Art: Der Sänger der Prinzen ist ein Musik-Gourmet aller Art - einer, der von eindrücklicher Vielfalt nie genug bekommt.
Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Musiker Einflüsse aus verschiedenen Richtungen verarbeiten - selten aber sind sie sich dabei ihres Selbst so bewusst wie Die Prinzen, die sich aus einem besonderen Kern entwickelt haben: dem Zusammenklang ihrer fünf geschulten Stimmen, deren Können sich nie an eine bestimmte Schule fesseln ließ. Vielleicht hat das mit der Wende zutun, die das Protoplasma der späteren Stars, eine pfiffig-freche, aber nie allzu übermütige A-Capella-Band namens Herzbuben, einfach hinüberspülte ins vereinte Deutschland, wo sie dem Westen ebenso seltsam knuffig erschien wie zuvor der DDR: Keiner Seite fiel die borstige Unangepasstheit direkt auf in den blitzsauberen Thomaner-Vokalsätzen.
Von Annette Humpe produziert, gelang der in Die Prinzen umbenannten Band, die neben Krumbiegel mit Tobias Künzel über einen zweiten Frontmann verfügt, dann aus dem Stand ein Klassikeralbum: "Das Leben ist grausam" (allein der Titel ist in seinem trefflichen Sarkasmus eine der wohl besten frühen Pop-Umschreibungen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung) schubste in Hits wie "Millionär", "Gabi und Klaus", "Mein Fahrrad" oder "Mann im Mond", schwere Themen federleicht auf Bühne.
Die erste Spezialität der Truppe verrät Sänger Krumbiegel mit der Antwort auf die Frage, ob Die Prinzen denn nun eine deutsche oder eine ostdeutsche Band seien - denn die Musiker scherten sich bereits in den Neunzigern nicht um ihr Ossi-Sein, biederten sich allerdings auch nie dem West-Mainstream an: "Wir sind eine Leipziger Band! Ich bin Leipziger mit Leib und Seele und finde, das ist die attraktivste, kulturvollste Stadt der Republik! Hier gibt es eine unglaubliche Wachheit und Weltoffenheit. Ost oder West - das war mir immer egal. Ja, die Unterschiede, denke ich, wird es noch lange geben. Aber es gibt auch Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland. Unsere DDR-Vergangenheit hat am Anfang vielleicht geholfen, da wir waren wir oft die Quoten-Ossis, so nach dem Motto: Na, geht doch, wenn die sich dort anstrengen. Aber am Ende ist es nicht wichtig, wo du herkommst. Sondern was du sagst."
Und zu sagen hatten Die Prinzen, das ist ihre zweite Spezialität, immer eine Menge - allerdings auf charmant eigene Art. Probleme ohne erhobenen Zeigefinger anzusprechen ist das erklärte Ziel vieler Künstler, schließlich will niemand als Schulmeister dastehen. Doch die Leipziger sind die wohl einzige Band, der das ganz ohne Flucht in die metaphysische Schwerverständlichkeit oder Sarkasmus gelingt: Hits wie "Schwein sein", "Bombe" oder "Deutschland" schafften es irgendwie naseweis leichtfüßig und dennoch frappierend drastisch, einer fremdenfeindlichen Ellenbogen- gesellschaft den Spiegel vorzuhalten: Das sprichwörtliche "Schwein" taucht als ferkelige Drecksau wie geprügeltes Sozialwesen seit 30 Jahren mit herzhafter Ambivalenz in Prinzen-Texten auf - so auch im neuen Platten-Titelsong "Krone der Schöpfung", mit dem die Leipziger all ihre Tugenden geschickt wie alte Hasen, aber hungrig wie Newcomer in einem neuen Hit zusammenbinden. Wie nebenbei blitzt da im Hörer auf, dass diese Pop-Sänger heute allgegenwärtige Themen schon auf dem Schirm hatten, als im Mainstream kein Mensch darüber sprach.
Da ist aber noch eine Spezialität der Leipziger, und zwar eine besondere Stehaufmännchen-Mentalität, die diese Band in der Branche ziemlich exklusiv hat. Denn der deutliche Knick, den Die Prinzen nach ihrem steilen Aufstieg über "Das Leben ist grausam" (1991), "Küssen verboten" (1992), "Alles nur geklaut" (1993) und "Schweine" (1995) mit dem von Stefan Raab produzierten "Alles mit'm Mund" im Jahr 1996 verdauen mussten, änderte nichts am künstlerischen Selbstverständnis und führte auch nicht zu wilden musikalischen Verbiegungen - weil ein freies Versuchsfeld populärer Zeit-Unterhaltung schon immer der Vorgarten des traditionellen Wesenskerns der Gruppe war, von dem aus sie ihre Reisen über den Tellerrand startete.
"Bis dahin war das wie ein Rausch, es ging von Platte zu Tour zu Platte immer heftig aufwärts, wir waren verwöhnt und garantiert mitunter abgedreht", sagt Sebastian Krumbiegel: "Du kommst erst zu dir, wenn die Plattenfirma plötzlich von ,Flop' spricht, weil du statt einer Million nur eine halbe verkauft hast. Denn eigentlich haben wir haben nie drüber nachgedacht, auf welchem Level wir gerade sind. Uns ging es immer um den Spaß an der Sache - und wenn der zwischendrin verloren ging, haben wir uns zurückgezogen, uns erstmal gegenseitig in Ruhe gelassen, Fehler besprochen und ihn uns zurückerobert, unseren Spaß."
Von Raab hat die Band vor allem gelernt, dass man nicht nur wissen sollte, was man kann, sondern auch, was man nicht kann: Der Produzent leuchtete die Leipziger im Sinne seiner Liebe für Funk aus und verbog sie damit. Krumbiegel: "Black Music ist einfach nicht unser Fach. Wir kommen aus einer im besten Sinn deutschen Tradition, von Johann Sebastian Bach und den Comedian Harmonists. Das mischt sich besser mit den Beatles als mit James Brown. Ja, man muss offen sein und immer mit dem Ohr an der Wand schlafen. Aber man darf keiner Mode nachlaufen." Der neue Song "Dürfen darf man alles" bringt daher bestens auf den Punkt, warum "Krone der Schöpfung" so rundheraus prickelt: Die Platte herzschlägt all die jahrzehntelange Einflussöffnung ebenso wie das feine Handwerk der nun elegant grau melierten Sänger. Nur so können die Prinzen in einigen Geburtstags-Neuversionen ihrer Großhits neben jungen Künstlern wie Mine, Deine Freunde, Die Doofen oder Jennifer Rostock bestehen. Highlight: Wie die Rapper Eko Fresh und Mo-Trip den "Millionär" aufnehmen und weitererzählen - besser kann man im dritten Karrierefrühling kaum Zeitlosigkeit beweisen. Entsprechend glaubwürdig und berühren daher auch die Auseinandersetzungen mit der eigenen Vergangenheit in Stücken wie "Das sind wir" oder "Geliebte Zukunft."
Wer also Ende 2019 erschrak, weil die Leipziger einen Deal mit Helene-Fischer-Manager Uwe Kanthak unterschrieben, kann mehr als aufatmen. "Ich war da zuerst auch ganz doll dagegen. Auch, als unsere neue Plattenfirma vorschlug, mit Fremdkomponisten zusammenzuarbeiten", sagt Krumbiegel: "Aber Uwe hat schnell verstanden, dass wir viel näher an den Hosen oder den Ärzten sind als am Schlagerkosmos. Und die Arbeit mit Außenstehenden war eine wahnsinnige Bereicherung. Klar, nach 30 Jahren denkst du, du weißt wo es langgeht und das du alles erlebt hast. Das ist aber ein Irrtum, weil Du deinen Tunnelblick hast. Sich einzugestehen, dass die Plattenfirma Recht hatte, das war ein wichtiger Schritt. Viele Bands sagen ja, wir lassen uns nicht reinreden, wir sind autark. Ich sage jetzt: Ich lass mir gern reinreden und mir auf die Sprünge helfen! Ich war lange nicht so froh mit einer Platte, ich bin echt Fan von dem, was wir gerade machen!"