Markus Meckel war 1989 der Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und saß mit am Runden Tisch. Nach der ersten freien Wahl in der DDR verhandelte der frühere Pfarrer als Außenminister die Deutsche Einheit mit. Seine Bilanz nach 30 Jahren ist mahnend und ernüchternd zugleich.
"Es bleibt festzuhalten: die DDR ist nicht untergegangen, sondern das kommunistische Regime. Sie wurde in der Friedlichen Revolution zu einer Demokratie", sagt Markus Meckel. Die neugewählte DDR-Regierung hatte wichtige Aufgaben zu bewältigen: Sie hatte die Transformation zu einer Demokratie und Marktwirtschaft zu gestalten, die Länder zu konstituieren, mit der Aufarbeitung der Vergangenheit zu beginnen und - das stand im Zentrum - die Verhandlungen zur Einheit zu führen. "In den wenigen Monaten haben wir viel geschafft", betont der ehemalige Pfarrer, der nach der Wende 131 Tage lang Außenminister der DDR war.
"Leider haben wir auch 30 Jahre nach der Einheit immer noch keine gemeinsame Erzählung in Ost und West gefunden, die den Realitäten entspricht." Man müsse deutlich machen, dass eine Revolution im Osten die Diktatur und die SED hinweggefegt und der Runde Tisch zu freien Wahlen in der DDR geführt hatte. "Die Deutsche Einheit ist das Ergebnis zweier gleichermaßen legitimierter deutscher Regierungen, von denen die eine immer wieder vergessen wird. Es hat ja noch eine demokratische DDR gegeben. Eine demokratische DDR-Regierung hat schließlich in demokratischer Selbstbestimmung den Beitritt beschlossen, weil es die Bevölkerung so wollte", sagt Meckel und wirbt um historische Genauigkeit.
Die Ostdeutschen seien selbstbewusst und aufrecht in die deutsche Einheit gegangen. "Ich kritisiere heute einerseits ein gewisses Maß an ostdeutschem Jammertum, andererseits die Dominanz und Überheblichkeit des Westens", sagt Meckel. "Oft wird so getan, als ob die Einheit das Werk der Bundesregierung war. War es aber nicht."
Ja, die Verhandlungen seien damals vom Westen und dessen Interessen dominiert gewesen, aber Markus Meckel vermisste als Teil der DDR-Regierung auch die Unterstützung der Ostdeutschen: "Die Verhandlungen, die wir ja für sie geführt hatten, wurden als Verzögerung einer schnellen Einheit gesehen. Dadurch haben sie die eigenen Leute geschwächt und damit die Wahrnehmung der Ost-Interessen. Wir standen nicht nur unter dem Druck der Bundesregierung in Bonn, sondern auch unter dem der eigenen Leute." Dass müsse man denen mal deutlich sagen, die sich heute so lautstark darüber beschweren, damals und heute zu kurz gekommen zu sein.
Die deutsche Geschichte nach 1945 war eine geteilte, aber immer eine aufeinander bezogene. Bundesrepublik und DDR können laut Meckel nicht ohne den jeweils anderen Staat verstanden werden: Für viele im Westen gab es nur die westliche deutsche Geschichte, die der DDR wurde als eine Sondergeschichte gesehen, die nur für Betroffene und Historiker interessant war.
"Aber beide Staaten können nur mit dem ständigen Bezug aufeinander verstanden werden. Bei der DDR war es mit dem Mauerbau eindeutig. Im Westen waren es unter anderem die rund zwei Millionen Menschen, die aus der SBZ/DDR kamen. Die westdeutsche Innenpolitik ist doch gar nicht verständlich ohne Blick auf die DDR: Das wird oft vergessen. Das 20. Jahrhundert war eine geteilte deutsche Nachkriegsgeschichte."
1990 wurden nach Meckels Meinung viele Fehler gemacht, wie zum Beispiel die Eigentumsrückgabe vor Entschädigung oder die Altschuldenregelung. In den 90er-Jahren führte das zu vielfältigen Investitionshindernissen. Über lange Zeit galt die Entwicklung im Osten nur als eine der Angleichung der Lebensverhältnisse an den Westen. Meckel: "Dass man gemeinsam fit werden muss für die Zukunft, wird erst seit etwa zehn Jahren diskutiert. Klimaschutz, Europas Zukunft oder der Umgang mit Migration - diese Fragen sind zu spät angepackt worden, Gerade der Osten hatte diese konservative Grundhaltung bestärkt."
Als protestantischer Pfarrer organisierte Meckel im Revolutionsherbst 1989 zusammen mit Martin Gutzeit die konspirative Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). 1990 war er für vier Monate Außenminister der Republik. Nach der deutsch-deutschen Vereinigung saß er bis 2009 für die SPD im Bundestag. 2016 scheiterte er als Reform-Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge am rückwärtsgewandten Mainstream. Über sein bewegtes Leben schrieb Meckel jetzt eine Bilanz. Das Buch mit dem Titel "Zu wandeln die Zeiten. Erinnerungen", erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig, ist eine ungeschönte politische und persönliche Autobiografie.
Die Gründung der SDP, die dann später in SPD umbenannt wurde, sei eine klare Entscheidung Ende der 1980er-Jahre gewesen, sagt er. Der Pfarrer wollte keine christliche Partei gründen - aus theologischen Gründen. "Jede christliche Partei ist in der ständigen Gefahr, den christlichen Glauben für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen. Wir wollten uns damals lieber in die Tradition der SPD stellen, in der aus Untertanen selbstständige Bürger werden, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir konnten so auch die SED infrage stellen, indem wir quasi die eine Hand aus dem Parteiabzeichen herausnahmen."
Meckel ist heute noch enttäuscht, dass die SPD bei den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 das Nachsehen hatte. "Damals setzten die DDR-Bürger ihre Hoffnungen auf die unionsgeführte Bundesregierung. Es sollte ja alles schnell gehen. Die früheren Blockparteien hatten ihre Büros noch, ihre Zeitungen und gute Finanzen. Das alles hatten wir nicht." Hinzu kam, dass die SPD sich lange Zeit auch "als Westpartei dargestellt hat und so im Osten schwer Fuß fassen" konnte. Er nennt das eine gewissermaßen selbstgemachte Tragödie.
Als Außenminister war Meckel vor allem mit den Gesprächen zum "Zwei-plus-Vier-Vertrag" befasst. Das Verhältnis zu seinem westdeutschen Amtskollegen Hans-Dietrich Genscher beschreibt er nüchtern: "Er bot mir anfangs eine enge Zusammenarbeit an. Daran war ich sehr interessiert und ging davon aus, dass dem eine intensive gegenseitige Information und Absprache folgen würde. Das sollte sich jedoch als nicht realistisch erweisen."
Meckel merkte schnell, dass er als DDR-Außenminister auf Zeit keine Macht hatte und sein Wort in diplomatischen Kreisen nicht viel zählte. Man habe nicht gewollt, dass mit einer nun demokratischen DDR noch ein Akteur auf das diplomatische Spielfeld trat. Er eckte aber auch mit so manchen seiner Positionen an. Helmut Kohl zum Beispiel hatte er damit verärgert, dass er schon sehr früh die Anerkennung der polnischen Westgrenze gefordert hatte. Auch seine Meinung, dass ein vereintes Deutschland nicht nur den Besitz von Atomwaffen, sondern auch deren Stationierung ablehnen müsse, kam nicht gut an.Den "Zwei-plus-Vier"-Vertrag vom 12. September 1990 hält Meckel aber auch heute noch für den besten Vertrag der deutschen Einheit. Er selbst fehlte bei der Unterzeichnung in Moskau. Seine Partei, die SPD, hatte drei Wochen zuvor ihre Minister und Staatssekretäre aus der Regierung abgezogen, nachdem der DDR-Regierungschef Lothar de Maizière den SPD-Finanzminister Walter Romberg entlassen hatte. De Maizière amtierte in Moskau selbst als Außenminister.