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In manchen Notsituationen müssen Ärzte entscheiden, wer zuerst behandelt wird. (Archivbild)
In manchen Notsituationen müssen Ärzte entscheiden, wer zuerst behandelt wird. (Archivbild) Bild: Daniel Karmann/dpa
Deutschland
Erfolg für Mediziner-Klagen: Karlsruhe kippt Triage-Regeln

Wie sollen Ärztinnen und Ärzte bei knappen Intensivbetten entscheiden? Vor drei Jahren stellte der Bund Regeln auf. Das Bundesverfassungsgericht sieht dort aber keine Regelungskompetenz.

Karlsruhe.

Wenn in Notlagen die medizinischen Ressourcen knapp sind, müssen Ärztinnen und Ärzte teils die schwierige Entscheidung treffen, wer zuerst behandelt wird. In der Corona-Pandemie stellte der Bundestag für diese sogenannte Triage im Infektionsschutzgesetz neue Regeln auf. Doch Intensiv- und Notfallmediziner sahen einen Konflikt mit ihrem Berufsethos.

Am Bundesverfassungsgericht konnten sich einige von ihnen nun erfolgreich gegen die gesetzlichen Vorgaben wehren. Der Erste Senat gab zwei entsprechenden Verfassungsbeschwerden statt und erklärte die angegriffenen Regelungen für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Sie schränkten die Ärztinnen und Ärzte demnach in ihrer Berufsfreiheit ein. Dem Bund fehle die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen.

Was heißt Triage?

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb "trier", das "sortieren" oder "aussuchen" bedeutet. Es beschreibt, dass Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Situationen entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie Menschen helfen. Das Konzept gibt es zum Beispiel bei großen Unglücken mit vielen Verletzten, um meist eine kurzfristige Notlage zu überbrücken. In der Corona-Krise war das Thema angesichts voller Intensivstationen grundsätzlich in den Fokus gerückt.

Noch zu Pandemie-Zeiten beschloss der Bundestag 2022 eine Neuregelung und kam damit einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach. Es hatte 2021 entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, Menschen vor Benachteiligung wegen einer Behinderung zu schützen – zuvor gab es dazu wissenschaftliche Empfehlungen. Das Gesetz legte fest, dass über eine Zuteilung "nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" zu entscheiden ist – ausdrücklich nicht nach Lebenserwartung oder Grad der Gebrechlichkeit.

Kritik der Ärztinnen und Ärzte

Eine der beiden Beschwerden gegen die Neuregelung war vom Ärzteverband Marburger Bund unterstützt und 2023 von 14 Intensiv- und Notfallmedizinern eingereicht worden. Sie richtete sich unter anderem gegen das im Gesetz geregelte Verbot einer nachträglichen Triage ("ex post") – also, dass die Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen wird, um einen Patienten mit besserer Prognose zu versorgen. 

Der Marburger Bund kritisierte, den Ärztinnen und Ärzten werde die Möglichkeit genommen, in einer Notlage die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten. Durch die Triage-Regelungen würden ihnen Entscheidungen aufgezwungen, "die ihrem beruflichen Selbstverständnis an sich widersprechen und sie in eklatante Gewissensnöte bringen", teilte der Verband 2023 zur Klage mit.

Grundgesetz schützt Berufsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung die im Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit. Diese gewährleiste, dass Ärztinnen und Ärzte frei von fachlichen Weisungen seien, und schütze – im Rahmen therapeutischer Verantwortung – auch ihre Entscheidung über das "Ob" und "Wie" einer Heilbehandlung.

Der Bund könne sich bei den Vorschriften nicht auf seine im Grundgesetz verankerte Kompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten stützen, erklärte das Gericht. Diese gelte nur für gewisse Maßnahmen, die sich auf die Eindämmung oder Vorbeugung von Krankheiten richteten. Die Triage-Regeln knüpften hingegen lediglich an die Auswirkungen einer Pandemie an, dienten aber nicht der Pandemiebekämpfung.

Ärzteverband begrüßt Rechtssicherheit

Im Pandemie-Fall sei nicht notwendigerweise eine gesamtstaatliche Verteilungsregelung erforderlich, so der Senat. Der Umstand, dass eine bundeseinheitliche Regelung zweckmäßiger sein könnte als eine Selbstkoordinierung der Länder, genüge für die Annahme einer Kompetenz nicht. Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes seien die Länder maßgeblich für diskriminierungssensible Verteilungsregeln verantwortlich.

Der Marburger Bund begrüßte den Beschluss als "für die gesamte Ärzteschaft höchst bedeutsame Entscheidung". Sie stärke die verfassungsrechtliche Stellung der Ärztinnen und Ärzte und gebe ihnen Rechtssicherheit auch für ihr Handeln in medizinischen Krisenlagen, sagte die erste Vorsitzende Susanne Johna. "Sie zeigt auch, dass das Bundesverfassungsgericht den ärztlichen Beruf als eigenverantwortliche Profession versteht, deren Freiheit und Ethik eine Grenze für staatliche Regulierung bilden."

Bund will mit Ländern Schlüsse ziehen

Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte, das Urteil kläre Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern – nicht aber, ob und wie in Extremsituationen medizinisch entschieden oder gehandelt werden solle. "Jetzt sind die Länder gefordert, diskriminierungssichere und zugleich praxistaugliche Regelungen zu schaffen, die Rechtssicherheit und ärztliches Ethos miteinander verbinden".

Auch nach der Entscheidung müsse festgestellt werden, dass der Berufsfreiheit der Ärzte Grenzen gesetzt werden, sagte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. "Die Verfassung verbietet weiterhin, dass Alter, Pflegebedürftigkeit und Behinderung allein für die Aufnahme und den Abbruch einer Behandlung maßgeblich sind."

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken betonte: "Wir brauchen rechtssichere Regelungen in solchen Ausnahmesituationen für Betroffene und für Ärztinnen und Ärzte". Die Schutzpflicht des Staates gegenüber der Bevölkerung gelte ohne jegliche Einschränkung auch für Menschen mit einer Behinderung, sagte die CDU-Politikerin in Berlin. "Dieser Pflicht werden und müssen wir gerecht werden." Die Bundesregierung werde zusammen mit den Ländern die notwendigen Schlüsse ziehen. (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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