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Ausnahmsweise mit Krawatte: Der sonst legere Lars Klingbeil setzt zur Feier einen stilistischen Akzent.
Ausnahmsweise mit Krawatte: Der sonst legere Lars Klingbeil setzt zur Feier einen stilistischen Akzent. Bild: Michael Kappeler/dpa
Deutschland
Klingbeil verdoppelt seine Macht in der SPD

Er hat die krachende Wahlniederlage mitzuverantworten und baut trotzdem seine Macht in der SPD aus. Lars Klingbeil hat neben dem Parteivorsitz nun einen zweiten zentralen Job.

Berlin.

Trotz der historischen Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl hat Parteichef Lars Klingbeil seine Machtposition bei den Sozialdemokraten deutlich ausgebaut. Die neue Bundestagsfraktion wählte den 47-jährigen Niedersachsen mit 85,6 Prozent zu ihrem neuen Vorsitzenden. Damit hat Klingbeil nun eine doppelte Führungsrolle und wird die Partei als neuer starker Mann der SPD in die Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung führen. 

Das Wahlergebnis ist für Klingbeil ein kleiner Dämpfer, der aber nicht überraschend kommt. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Rolf Mützenich war in seiner Amtszeit seit 2019 auf Ergebnisse zwischen 94,7 bis 97,7 Prozent gekommen. In der Partei gab es in den vergangenen Tagen Kritik daran, dass Klingbeil sofort nach dem desaströsen Wahlergebnis, das er als Parteichef und Wahlkampfmanager mitzuverantworten hat, nach dem nächsten Posten gegriffen hat. Juso-Chef Philipp Türmer bezeichnete ihn offen "Architekten des Misserfolgs".

Klingbeil nennt Ergebnis "ehrlich"

Vor diesem Hintergrund sprach Klingbeil nach der Wahl von einem "ehrlichen" Ergebnis. "Das hat man schon gemerkt, auch in den Debatten, dass der Sonntag noch ein bisschen in den Knochen steckt und das wird uns lange als Partei, als Fraktion, beschäftigen", sagte er. Jetzt sei man aber aufgestellt für herausfordernde nächste Wochen.

Klingbeil setzte zur Feier des Tages übrigens auch stilistisch ein Zeichen. Der sonst immer leger auftretende Fraktionschef erschien in der Fraktionssitzung ausnahmsweise mit Krawatte - in der Parteifarbe Rot. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte Klingbeils Wahlergebnis "sehr gut" und Verteidigungsminister Boris Pistorius wertete es als "richtig gut" und "ehrlich". 

Schlechtestes SPD-Wahlergebnis seit 138 Jahren

Die SPD war bei der Wahl von 25,7 auf 16,4 Prozent abgestürzt und ist nur noch drittstärkste Partei hinter Union und AfD. Es ist das mit Abstand schlechteste Ergebnis der ältesten Partei Deutschlands bei einer Bundestagswahl und sogar das schlechteste Ergebnis bei nationalen Parlamentswahlen seit 138 Jahren. Die Fraktion schrumpft von 207 auf 120 Abgeordnete.

Scholz hatte bereits nach den ersten Hochrechnungen angekündigt, dass er mit der Bildung der neuen Regierung nichts mehr zu tun haben werde. Auch Parteichefs sind in solchen Situationen schon zurückgetreten. Klingbeil machte aber das Gegenteil: Er trat die Flucht nach vorn an, beanspruchte den Fraktionsvorsitz und holte sich dafür noch am Wahlabend die Rückendeckung des Parteipräsidiums. Am nächsten Tag wurde er vom Fraktionsvorstand einstimmig nominiert und jetzt zwei Tage später von den SPD-Abgeordneten gewählt. 

Parteistratege wirft Klingbeil "Selbstermächtigung" vor

Das Vorgehen ist umstritten in der Partei. Der frühere Parteistratege Matthias Machnig monierte, die Parteivorsitzenden hätten in dieser Situation "Nachdenken und Selbstreflexion vor Aktionismus" stellen sollen. "Stattdessen hat Klingbeil das politische Vakuum in der Nacht zu seinen Gunsten genutzt. Das ist eine Art Selbstermächtigung oder gar Bonapartismus." Bonapartismus ist eine autoritäre Herrschaftsform, benannt nach dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte.

Klingbeil ist am Wahltag 47 Jahre alt geworden und hat eine steile Parteikarriere hingelegt. Seit 2009 gehört er dem Bundestag an, wurde 2017 Generalsekretär der Partei und 2021 nach der gewonnenen Bundestagswahl Parteichef zusammen mit der Co-Vorsitzenden Saskia Esken. Die Kombination von Partei- und Fraktionsvorsitz hat es bei der SPD zuletzt 2018/19 gegeben, als Andrea Nahles beide Posten hatte. Ihre Zeit an der Spitze nahm dann ein jähes Ende: Im Juni 2019 trat sie nach einem Desaster bei der Europawahl unter großem Druck der Fraktion zurück. 

Mützenich: Jüngere sollen "den Karren weiterziehen"

Der 65-jährige Mützenich hat die Fraktion nach Nahles fünf Jahre und fünf Monate geleitet. Er hatte seinen Rückzug vom Fraktionsvorsitz am Wahlabend damit begründet, dass nun "Jüngere den Karren weiterziehen und die Kräfte gebündelt werden" sollten.

Von seinem Nachfolger erwartet Mützenich, dass er die SPD "mit klarer Stärke, mit klarer Autorität, mit klarer Überzeugung" in die Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung führt. Das SPD-Team für die Sondierungsgespräche soll bis Donnerstag gebildet werden.

Es gilt als sicher, dass ihm beide Parteichefs angehören werden, also Klingbeil und seine Co-Vorsitzende Saskia Esken. Auch sie will ihren Führungsposten zunächst behalten. 

Klingbeil oder Pistorius: Wer wird Vizekanzler?

Offen ist, wie lange Klingbeil Fraktionsvorsitzender bleiben wird. Sollten Koalitionsverhandlungen erfolgreich enden und Union und SPD gemeinsam eine Regierung bilden, werden die Karten noch einmal neu gemischt. Klingbeil könnte dann Minister und Vizekanzler werden, um sich damit auch für die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Wahl zu positionieren. 

Für den Posten des stellvertretenden Regierungschefs gibt es aber einen Konkurrenten: Verteidigungsminister Pistorius, der in allen Umfragen die Rangliste der beliebtesten Politiker Deutschlands anführt. Auf ihn wird die SPD in der Regierung sicher nicht verzichten wollen. Weiteres Problem: Klingbeil und Pistorius sind im selben Fachgebiet Außen- und Sicherheitspolitik zu Hause. Dass die SPD sowohl das Außen- als auch das Verteidigungsministerium besetzen wird, gilt aber als ausgeschlossen. 

Vorstellbar ist dagegen, dass Klingbeil Partei- und Fraktionsvorsitzender bleibt und Pistorius Vizekanzler wird. Dann würde es aber zwei SPD-Machtzentren geben und die K-Frage bliebe völlig offen. Nach seiner Wahl wollte Klingbeil sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, ob er ein Regierungsamt anstrebt. Zunächst wolle man sich auf die anstehenden Gespräche mit der Union konzentrieren. "Diese Gespräche sollte jeder, der auf unserer Seite mitverhandelt, völlig frei von der Frage tun: Was wird aus einem persönlich." (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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