Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen
Panorama
Gewalt und Messer bei Kindern und Jugendlichen

Die Polizei wird nicht müde vor Messern zu warnen. Sie sind billig, leicht zu kaufen - und lebensgefährlich. Trotzdem gibt es schon Kinder, die ein Messer dabeihaben.

Berlin/Hannover/Remscheid.

In Berlin greift mutmaßlich ein 13-jähriger Grundschüler einen 12-Jährigen mit einem Messer an und verletzt ihn lebensgefährlich. In Remscheid (NRW) wehrt sich ein 11-jähriger Schüler gegen den wiederholten Angriff eines 13-jährigen Mitschülers mit einem Messer und verletzt ihn am Oberschenkel. 

Alle Beteiligten gelten noch als Kinder und sind nicht strafmündig - aber haben offenbar Erfahrungen mit Gewalt und manche setzen sogar Messer ein. Fragen und Antworten zum Thema: 

Steigt die Zahl der Gewalttaten von Jugendlichen und Kindern?

In den Kriminalstatistiken der Polizei zeigt sich ein entsprechender Trend. "Da sehen wir schon einen Anstieg, das gilt auch für den Vergleich zur Zeit vor Corona", sagt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Professor Thomas Bliesener.

Laut Bundeskriminalamt (BKA) nahm die registrierte Gewaltkriminalität vor allem bei Kindern, also den unter 14-Jährigen, zuletzt zu. Von allen Verdächtigen in diesem Bereich waren im vergangenen Jahr 7 Prozent Kinder und knapp 16 Prozent Jugendliche unter 18 Jahren. Laut Bundesinnenministerium bedeutete dies bei den Kindern einen Anstieg um rund 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei den Jugendlichen um knapp 4 Prozent.

Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel sagte schon vor Jahren, sie sei sehr besorgt über den Anstieg von Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen. Die Angriffe würden häufig untereinander geschehen."Das hat leider zugenommen."

Welche Gründe dafür sind bekannt?

Bliesener sieht verschiedene Ursachen. "Auf der verbalen Ebene gibt es eine gewisse Verrohung im Umgang miteinander, unterstützt durch soziale Medien", sagt er. Früher seien Konflikte mündlich ausgetragen worden. "Heute wird das ins Internet und die sozialen Medien verlagert und eskaliert dort viel schneller und stärker." Vor den öffentlichen Kränkungen könne man nicht fliehen. "Das wird man nicht so schnell los. Und dann werden manche dazu getrieben, sich körperlich zur Wehr zu setzen."

Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Marc Allroggen, Experte für aggressives Verhalten, verweist auf Gewalterfahrungen von Kindern, etwa wenn sie geschlagen werden. Die Fragen seien, wie wird in der Familie mit Emotionen wie Wut umgegangen, erlebt das Kind Gewalt, welche Formen von Gewalt werden in der jeweiligen Kultur wie geächtet? 

"Es geht auch darum, welche Vorbilder das Kind hat. Dazu gehören im weiteren Sinne auch mediale Netzwerke", so Allroggen. Smartphones wegen der problematischen Vorbilder zu verbieten, könne man diskutieren. Es werde das Problem allein aber nicht lösen. 

Gilt der Anstieg auch für Messer-Delikte junger Menschen?

Insgesamt registrierte die Polizei 2024 fast 30.000 Taten wie Angriffe und Bedrohungen, bei denen Messer eine Rolle spielten – allein bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen mit Messereinsatz meldete das BKA einen Anstieg um knapp 11 Prozent. Bei wie vielen dieser Delikte Kinder oder Jugendliche beteiligt waren, geht aus der Statistik nicht unmittelbar hervor.

Bliesener verwies auf jahrelange repräsentative Umfragen seines Instituts mit Neuntklässlern. Die Zahl der Schüler, die ein Messer dabeihaben, habe sich nicht erhöht. Aber die Begründung habe sich verändert. "Früher sagten viele, sie hätten es als Werkzeug dabei. Inzwischen sagen sie: zur Verteidigung. Dieser Anteil ist wirklich gestiegen", sagt Bliesener. "Ein Messer wird mehr und mehr tatsächlich auch als Waffe eingesteckt."

Bliesener betont: "Wenn ich mich bedroht fühle, greife ich nicht unbedingt zum Messer, wenn ich es als Werkzeug in der Tasche habe. Wenn ich es aber eigens als Waffe eingesteckt habe, dann liegt dieses Messer mental griffbereit."

Warum haben Jugendliche und Kinder überhaupt Messer dabei?

Zu dem Argument der Verteidigung kommen nach den Einschätzungen noch weitere Gründe. "Eine Rolle spielen Messer bei Jugendlichen und in entsprechenden Gruppen auch als eine Art Statussymbol", sagt Bliesinger. "Die Industrie bietet entsprechende Messer an, die sehr martialisch gestaltet sind."

Welche Rolle spielen Eltern und Herkunft?

Durch den massiven Einfluss der Internetportale und Chatgruppen seien viele Eltern überfordert, stellt Bliesener fest. "Gegen Kränkungen auf dieser Ebene vorzugehen, ist auch für Eltern viel schwieriger als früher." 

Zur Herkunft sagt er: "Es hat schon auch etwas mit Migration zu tun, mit den Konzepten von Ehre und Ehrgefühl in anderen Kulturen." Daraus resultiere eine Art innerer Verpflichtung, dass sich bei einer Bedrohung verteidigen zu müssen. "Um die Ehre wiederherzustellen. Dann ist der Druck bei Beleidigungen sehr viel stärker. Das trägt auch zum häufigeren Auftauchen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Kriminalstatistik bei."

Welche Gegenstrategien gibt es?

"Man muss Jugendlichen klarmachen, welch eine gefährliche Waffe ein Messer ist", so Bliesener. "Das ist nicht jedem bewusst. Dass auch kleine Schnitte im Halsbereich tödlich sein können, ist nicht jedem klar." "Man muss sicher an diesem falschen Verständnis des Ehrbegriffes arbeiten. Auch das Denken, dass man ein Messer zur Verteidigung braucht, muss geändert werden. Im Regelfall eskaliert die Lage eher und es wird für das Opfer viel gefährlicher."

Bliesener sieht auch Schulen in der Pflicht. "Prävention gegen Kriminalität sollte Bestandteil der Schule sein. Polizisten könnten in den Unterricht kommen oder Notärzte aus ihrem Alltag bei der Lebensrettung schwer verletzter Menschen berichten. Das kann sehr eindrücklich sein und präventive Wirkung haben." (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
Das könnte Sie auch interessieren
20.06.2025
2 min.
Feuerwehr-Chef: Gaffer sollten Führerschein verlieren können
An Unfallstellen mit dem Handy draufhalten und filmen - ein Ärgernis für die Retter. (Symbolbild)
Die Feuerwehr eilt zur Unfallstelle, hat alle Hände voll zu tun - und muss sich dann noch um aufdringliche Gaffer kümmern. Ein Unding, sagt der Chef des Feuerwehrverbands. Er schlägt mehr Härte vor.
20.06.2025
4 min.
Daniela und Moritz sind Jubiläums-"Topmodels"
Daniele aus Stuttgart ist die 20. Gewinnerin von "GNTM".
Schon seit 20 Jahren sucht Heidi Klum im Fernsehen Nachwuchsmodels. Beim Abschluss der Jubiläumsstaffel sind viele Ehemalige wieder dabei. Wer gewinnt, wird da fast schon zur Nebensache.
Rabea Gruber, dpa
19.06.2025
4 min.
Nach Abbruch der Annaberger Modenacht: Wie sicher ist die Kät?
Der Aufbau auf dem Kätplatz ist weitestgehend abgeschlossen. Ab Freitag kehrt der Trubel in die Kreisstadt zurück.
Ab Freitag werden zehn Tage lang wieder Hunderttausende Besucher auf dem größten Volksfest im Erzgebirge erwartet. Welche Vorkehrungen trifft die Stadt beim Thema Sicherheit?
Patrick Herrl
18.06.2025
4 min.
Abitur noch besser als 1,0: So kommt man am Gymnasium Rochlitz zur Traumnote
Lynelle Ullmann und Dominik Schmidt haben ihr Abitur mit 1,0 am Rochlitzer Johann-Mathesius-Gymnasium bestanden.
Bei Lynelle Ullmann aus Langenleuba-Oberhain und Dominik Schmidt aus Colditz vom Rochlitzer Gymnasium steht die 1,0 im Reifezeugnis. Beide haben bewiesen, dass es sogar noch besser geht. Und sie haben Tipps für das perfekte Abitur.
Falk Bernhardt
23.05.2025
6 min.
Angriff auf Mitschüler: Tatverdächtiger 13-Jähriger gefasst
Die Polizei steht vor einer Grundschule im Berliner Bezirk Spandau, während Schüler am Morgen zur Schule kommen.
Stundenlang suchen Polizisten nach einem 13-Jährigen, der einen Mitschüler an einer Berliner Schule angegriffen haben soll. Eltern und Polizei sind in Sorge. Nach mehr als 24 Stunden die Entwarnung.
Marion van der Kraats und Andreas Rabenstein, dpa
01.06.2025
2 min.
Messervorfälle sind an Sachsens Schulen "absolute Ausnahme"
In diesem Schuljahr gab es laut Kultusministerium bisher einen Vorfall mit einem Messer. (Symbolbild)
Ein Messerangriff an einer Berliner Grundschule sorgte für Schlagzeilen – doch in Sachsen ist die Lage laut Kultusministerium ruhig.
Mehr Artikel