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Diskriminierend und "eine Form von Alltagsrassismus" - der Begriff "biodeutsch" ist von einer Jury zum "Unwort des Jahres" 2024 gewählt worden.
Diskriminierend und "eine Form von Alltagsrassismus" - der Begriff "biodeutsch" ist von einer Jury zum "Unwort des Jahres" 2024 gewählt worden. Bild: Christian Lademann/dpa
Panorama

"Biodeutsch" zum Unwort gekürt - Jury sieht Alltagsrassismus

Erst wurde er satirisch verwendet, nun diskriminierend und rassistisch - der Begriff "biodeutsch" ist "Unwort des Jahres". Aus Jury-Sicht unterteilt er in "echte" Deutsche und Deutsche zweiter Klasse.

Marburg.

Der Begriff "biodeutsch" ist zum "Unwort des Jahres" 2024 gekürt worden. Der Ausdruck sei im vergangenen Jahr verstärkt im öffentlichen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch sowie vor allem in den sozialen Medien verwendet worden, "um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren", begründete die Jury der sprachkritischen "Unwort"-Aktion ihre Entscheidung in Marburg. Die mit dem wörtlichen Gebrauch von "biodeutsch" einhergehende Unterteilung "in angeblich "echte" Deutsche und in Deutsche zweiter Klasse ist eine Form von Alltagsrassismus".

Etabliert habe das Wort "biodeutsch" ursprünglich der Kabarettist und Cartoonist Muhsin Omurca als "ironische Fremdbezeichnung", sagte die Jury-Sprecherin und Sprachwissenschaftlerin der Marburger Philipps-Universität, Constanze Spieß. Seit mehreren Jahren aber werde der Ausdruck sehr gedankenlos und wörtlich gemeint genutzt. "Dabei wird "Deutschsein" naturbezogen begründet, um eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiographie vorzunehmen." 

Die Verwendung des Ausdrucks gehe quer durch die Gesellschaft, sagte Spieß - mal tauche er eher beiläufig etwa in Medienberichten auf, mal nutzten ihn Politikerinnen und Politiker unterschiedlichen Spektrums. "Unter anderem hat ihn auf dem CSU-Parteitag Friedrich Merz (CDU) verwendet im Oktober 2024." In der biologistischen Deutungsweise werde das Wort zudem in rechten Kreisen verwendet, um "die Homogenität des vermeintlich deutschen Volkes zu begründen", so Spieß. 

Constanze Spieß, Sprecherin der Unwort-Jury, verkündet die Entscheidung.
Constanze Spieß, Sprecherin der Unwort-Jury, verkündet die Entscheidung. Bild: Christian Lademann/dpa

"Heizungsverbot" auf Platz zwei 

Auf Platz zwei setzte die Jury den Begriff "Heizungsverbot". Bei dem im Zusammenhang mit dem Gebäudeenergiegesetz verwendeten Ausdruck handele es sich um eine irreführende Bezeichnung, die verwendet worden sei, um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren.

Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion "Unwort des Jahres" besteht aus vier Sprachwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, einer Journalistin sowie jährlich wechselnden Mitgliedern. 

In diesem Jahr beteiligten sich die Publizistin und Politologin Saba-Nur Cheema sowie Meron Mendel, Publizist, Historiker und Pädagoge sowie Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Sie kürten den Ausdruck "importierter Antisemitismus" zu ihrem persönlichen Unwort. Er suggeriere, dass Judenhass vor allem mit dem Zuzug von Migrantinnen und Migranten zu einem Problem geworden sei, hieß es in der Begründung. Der Ausdruck werde vor allem in rechten Kreisen verwendet, um Musliminnen und Muslime sowie Menschen mit Migrationsbiographie auszugrenzen "und vom eigenen Antisemitismus abzulenken", erklärte die Jury.

Karikaturist Omurca: Habe erreicht, was ich erreichen wollte

Kabarettist Omurca reagierte überrascht auf die Wahl von "biodeutsch" zum "Unwort des Jahres" 2024. Er habe nicht damit gerechnet, dass der Begriff "so eine Karriere machen würde", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist für mich mein eigenes persönliches Denkmal."

Das Wort sei als eine Pointe gedacht gewesen und wie alle Kunstwerke "offen für verschiedene Interpretationen". Offensichtlich seien Angehörige rechter Kreise auch "in einer Art Identitätskrise" und hätten deshalb nach einem Begriff für sich gesucht, so der Kabarettist. "Sie hören ein Wort "Biodeutscher": Hey, das bin ich! Sie können sich damit identifizieren." Was sie dabei aber übersähen, sei, dass das Wort von einem Türken stamme. "Unglaublich. Was für eine Ironie", sagte Omurca. 

Nun habe der Begriff als Kunstwerk seinen Weg gefunden. "Wenn die einen das Wort als Witz sehen: super. Wenn die anderen aber das sich als Identifikationsmerkmal annehmen: Ist auch okay." Er habe das erreicht, was er erreichen wollte, sagte der Kabarettist. "Aber via Satire eben."

2023 war "Remigration" das "Unwort des Jahres"

Das "Unwort des Jahres" wird nach verschiedenen Kriterien aus Vorschlägen ausgewählt, die Bürgerinnen und Bürger jeweils bis zum 31. Dezember eines Jahres einsenden können. Insgesamt gab es dieses Mal 3.172 Einsendungen, das waren erneut deutlich mehr als im vorangegangenen Jahr. Die Vorschläge enthielten 655 verschiedene Ausdrücke, von denen rund 80 den Kriterien der Jury entsprachen.

Als "Unwort des Jahres" kommen nach Angaben der Verantwortlichen Begriffe und Formulierungen infrage, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind. Wie häufig ein Begriff vorgeschlagen wurde, ist nicht entscheidend für die Kür zum "Unwort des Jahres". 

Für 2023 war "Remigration" zum "Unwort des Jahres" bestimmt worden. Wenn Rechtsextremisten den Begriff Remigration verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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