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Schuldgefühle – aber auch Schuld? Prozess nach Zugunglück

Ein Zug entgleist, fünf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Drei Jahre später sitzen zwei Bahnmitarbeiter auf der Anklagebank. War es eine Verkettung unglücklicher Umstände - oder Schlamperei?

München.

Mehrmals fließen Tränen. Die beiden Männer im Trachtenjanker sind sichtlich angefasst, während der Prozess zu einem der schlimmsten Zugunglücke der vergangenen Jahre beginnt: Im Juni 2022 entgleiste bei Garmisch-Partenkirchen ein Regionalzug. Drei der Waggons kamen von der Strecke ab, rutschten den Bahndamm hinunter und blieben auf dem Dach liegen. Fünf Menschen starben teils gleich an der Unfallstelle, Dutzende wurden verletzt, darunter viele Kinder und Jugendliche.

Ursache des Zugunglücks waren laut verschiedener Gutachten marode Betonschwellen. Wegen chemischer Reaktionen im Inneren des Stahlbetonkerns waren die Schwellen nicht mehr tragfähig genug. Die Staatsanwaltschaft München ist aber überzeugt, dass die beiden Angeklagten das Unglück mit verursacht haben und wirft ihnen fahrlässige Tötung vor.

Dass es auf der Strecke ein Problem gibt, war bekannt

Denn es gab bereits vorher Hinweise darauf, dass die Gleise an dieser Stelle problematisch sein könnten. Am Abend vor dem tragischen Unglück erhielt der damalige Fahrdienstleiter einen Funkspruch, in dem von Unregelmäßigkeiten am Gleis die Rede war. Da sei ein "Schlenker" drin, der Zug "hüpfe". Der Angeklagte sagte, er gebe das weiter – das geschah aber nicht.

Als der Zug entgleist, sind viele Kinder und Jugendliche an Bord. (Archivbild)
Als der Zug entgleist, sind viele Kinder und Jugendliche an Bord. (Archivbild) Bild: Angelika Warmuth/dpa

Die Staatsanwaltschaft zeigte sich überzeugt davon, dass er die Strecke bis zu einer Entwarnung hätte sperren müssen. Indem er diese Vorgaben aber missachtete, löste er die Entgleisung aus, so die Staatsanwaltschaft.

"Ich habe solche Schuldgefühle", sagte der Mann nun im Prozess. Er habe die Meldung nicht so verstanden, dass eine sofortige Reaktion nötig gewesen wäre, verteidigte sich der damalige Fahrdienstleiter. Es sei keines der üblichen Schlagwörter gefallen. Die spätere Weitergabe habe er dann versäumt, "ich kann Ihnen nicht sagen, warum", sagte der Mann unter Tränen.

Die Verteidigung deutete allerdings an, dass es für den Unfall gar nicht entscheidend gewesen sein könnte, dass der Mann die Meldung nicht weitergegeben habe. Denn vor dem Unfall seien noch 28 Züge an der Stelle gefahren – ohne Probleme.

"Jeden Tag denke ich an den Unfall"

Dem zweiten Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft ebenfalls fahrlässige Tötung vor. Er habe als Bezirksleiter Fahrbahn nicht dafür gesorgt, dass die beschädigten Gleisschwellen rechtzeitig ausgetauscht würden. Ein Langsamfahrgebot oder eine Sperrung der Strecke sei ebenfalls nicht angeordnet worden. Der rechtzeitige Austausch hätte das Todesgeschehen aber sicher verhindert, so die Staatsanwältin.

Der Mann erklärte, er hätte der Sache mehr auf den Grund gehen können und auch müssen. "Jeden Morgen, jeden Tag, denke ich an den Unfall", sagt er. "Es tut mir sehr leid, dass ich das Unglück nicht habe verhindern können."

Gleichzeitig betonte er, er sei nicht davon ausgegangen, dass die Schwellen so stark geschädigt gewesen seien. Er glaube auch nicht, dass es ihm und seinen Kollegen möglich gewesen wäre, allein durch das Anschauen der Gleise den Schaden zu erkennen. "Das hätte man nur erkennen können, wenn man die Gleise vom Schotter befreit hätte."

Aufarbeitung für Bahn heikel

Beide Angeklagten arbeiteten vor dem Unglück bereits seit Jahrzehnten bei der Bahn. Für die Bahn ist die Sache extrem heikel. Zwar heißt es in einem internen Bericht, dass der Unfall die "unmittelbare Folge" des regel- und pflichtwidrigen Verhaltens des Personals vor Ort gewesen sei. Allerdings habe die damals zuständige Bahn-Tochter DB Netz nicht ausreichend auf die Erkenntnisse zu schadhaften Betonschwellen reagiert und den Unfall dadurch ermöglicht. Die Probleme an älteren Schwellen waren bekannt. Der Unfall sei vermeidbar gewesen, hieß es. Die Deutsche Bahn kündigte daher im Spätsommer an, juristisch gegen die damaligen Vorstandsmitglieder vorzugehen.

Außerdem will sie verschiedene Maßnahmen ergreifen, damit sich so ein Unglück nicht wiederholt. Zum einen sollen alle potenziell risikobehafteten Bahnschwellen ausgetauscht werden. Ein Großteil davon, nämlich zwei Millionen Betonschwellen, sei bereits ersetzt worden. Ferner werden Schulungen durchgeführt.

Ursprünglich wurde gegen drei Bahnmitarbeiter Anklage erhoben – ein Verfahren wurde jedoch eingestellt. Für den Prozess sind 19 Termine bis zum 15. Januar 2026 festgesetzt. (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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