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Panorama
"Störende" Patienten ermordet - Höchststrafe für Pfleger

Dem Angeklagten waren schwer kranke Patienten anvertraut - doch laut Urteil spritzte er ihnen überdosierte Beruhigungsmittel. Nun muss der Pfleger für sehr lange Zeit ins Gefängnis.

Aachen.

Um seine Ruhe zu haben, tötete er Patienten mit Medikamenten-Überdosen: Das Aachener Landgericht hat einen Krankenpfleger wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts hatte er Patienten auf einer Palliativstation tödliche Injektionen verabreicht - weil sie ihn störten.

Während seiner Nachtschichten in einer Klinik in Würselen verabreichte der 44-jährige Deutsche den schwer kranken Menschen laut Urteil eigenmächtig überhöhte Mengen an Beruhigungsmitteln, teils in Kombination mit Schmerzmitteln, und teilweise auch mehrfach. 

Dass die Patienten dadurch sterben könnten, habe er in Kauf genommen. Und mehr noch: Der Angeklagte sei der Meinung gewesen, er habe "einen guten Job gemacht", wenn er Patienten "ein friedliches Einschlafen ermöglicht" habe, sagte Richter Markus Vogt in der zweieinhalbstündigen Urteilsbegründung. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine Freilassung nach 15 Jahren in der Regel ausgeschlossen. 

Angeklagter hatte gesteigertes Bedürfnis nach Ordnung

Ausführlich beschrieb Vogt die kaum nachvollziehbaren Gedankengänge des Angeklagten, der sich an seinem Arbeitsplatz "verkannt und unterschätzt gefühlt" habe. "Der Angeklagte hatte ein gesteigertes Bedürfnis nach Ordnung." Er habe die Station stets ordentlich hinterlassen wollen - auch bezogen auf die Patienten. Deshalb habe er zum Beispiel mitten in der Nacht Ganzkörperwaschungen von Patienten vorgenommen. 

Neben Verunreinigungen hätten den Angeklagten auch Krankheitssymptome gestört. Hätten Patienten Atemnot, Unruhe oder Schmerzen gezeigt, habe er dies kaum ertragen können - allerdings nicht aus Mitgefühl für die Patienten, sondern weil dies sein eigenes Ordnungsempfinden gestört habe. Die nicht indizierten Medikamente habe der Angeklagte verabreicht, "um vier bis sechs Stunden Ruhe zu haben", in denen er seine Vorstellung von Ordnung umsetzen konnte, schilderte Vogt.

Medikamentengaben ließ er sich nachträglich genehmigen

Die Patienten fielen daraufhin in einen komatösen Zustand, aus dem sie - wenn überhaupt - erst am nächsten Nachmittag erwachten. Manchmal spritzte der Angeklagte ihnen in den folgenden Nächten dann erneut Überdosen. In der internen Klinik-Dokumentation trug er geringere Medikamentenmengen ein, als er tatsächlich verabreichte - und ließ sie sich nachträglich von Ärzten bestätigen.

Ursprünglich war der Pfleger wegen neun Morden und 34 Versuchen im Zeitraum zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 angeklagt. Die Schwierigkeit lag darin, in jedem Fall zweifelsfrei nachzuweisen, dass die Medikamentengaben des Angeklagten zum Tod des Patienten geführt haben - dies war in einigen Fällen nicht möglich, in einem anderen Fall dagegen ergaben sich zusätzliche Hinweise auf einen Mord. Am Ende sah die Kammer zehn vollendete Morde und 27 Mordversuche als bewiesen an.

Arbeitsumfeld begünstigte die Taten

Das Gericht betonte, dass die Rahmenbedingungen in der Klinik die Taten des Angeklagten begünstigt hätten. So habe niemand die mangelhafte Dokumentation und die deutlich erhöhten Bestellmengen von Medikamenten hinterfragt. Die Organisation der Station und die Haltung der dortigen Mitarbeiter hätten ein Klima geschaffen, das den Angeklagten in seinem Handeln bestärkte. "Wir haben die Hoffnung, dass dieses Verfahren auch eine gewisse Sensibilisierung der Öffentlichkeit und von Verantwortlichen bewirkt", sagte Vogt.

Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte Dokumentationsmängel in Kliniken. "Immer noch gibt es Krankenhäuser, die über keine lückenlose, standardisierte und elektronische Kontrolle der Medikamentenabgabe verfügen. Aber nur so können Fehlmedikationen und Überdosierungen schon im digitalen System identifiziert und verhindert werden", teilte Brysch mit. So hätten Serientäter ein "viel zu leichtes Spiel".

Patientenschützer kritisiert Dokumentationsmängel in Kliniken

Immer wieder sorgen ähnliche Fälle für Schlagzeilen. In Berlin läuft derzeit ein Prozess gegen einen Palliativmediziner, der mindestens 15 Patienten getötet haben soll. Als bislang größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt der Fall von Ex-Pfleger Niels Högel: Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft. 

Unterdessen wird gegen den 44-Jährigen auch nach seiner Verurteilung weiter ermittelt. Die Staatsanwaltschaften in Aachen und Köln prüfen zahlreiche Verdachtsfälle aus seinen früheren Berufsjahren. Eine Sprecherin aus Aachen kündigte bereits an, dass eine neue Anklage wahrscheinlich sei. (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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