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Panorama
Wie kam es zum Gletscherabbruch – und folgen weitere?

In den Schweizer Alpen wird ein Dorf von Geröll verschüttet. Wie konnte das geschehen? Und welche Rolle spielt der Klimawandel?

Blatten/Potsdam.

Durch einen Gletscherabbruch in der Schweiz ist das gesamte Dorf Blatten verschüttet worden. Das Gebiet wird seit Jahrzehnten beobachtet. Eine Spurenverfolgung. 

Wie ist es zum Gletscherabsturz gekommen?

Das Unglück war lange vorauszusehen. "Das Gebiet wird schon seit 30 Jahren überwacht, man wusste, dass das potenziell instabil ist", sagt Jens Turowski vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam

In der vergangenen Woche hätten sich am Berg Kleines Nesthorn innerhalb von ein bis zwei Tagen zunächst Gesteinsmassen um bis zu drei Meter verschoben, "das ist extrem schnell", sagt Turowski. Insgesamt seien dann drei Millionen Kubikmeter Gestein in mehreren Schüben auf den Birchgletscher gefallen. Das sei ein enormes Gewicht von neun Millionen Tonnen. 

"Dadurch wurde das Eis des Gletschers nach unten gedrückt und hat sich an der Gletscherschnauze aufgetürmt", erklärt der Geomorphologe. "Man kann sich das vorstellen, wie einen etwas weichen Butterklotz, der auf einer Schräge liegt: Wenn man oben draufdrückt, quillt er im unteren Teil raus."

Ein Teil des Gletschers ist daraufhin am Mittwoch abgebrochen und mit dem Großteil des Gesteins nach unten auf das Dorf gerutscht.

Was waren die konkreten Auslöser?

Solche Bergstürze passieren nicht plötzlich. "Das ist ein Prozess über Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende", erläutert Turowski. Zunächst gebe es etwa Verwitterungsprozesse und Risse im Gestein. Die konkreten Auslöser seien im Fall des Unglücks noch nicht klar.

Erstens könne der Permafrost geschmolzen sein. "Der wirkt wie ein Kleber. Wenn er wärmer wird und schmilzt, wird er mechanisch instabiler und wenn er sich auflöst, dann fällt diese Klebewirkung komplett weg." 

Zweitens könne Schmelzwasser vom Schnee in das Gestein eingedrungen sein. Dann könne sich Druck in Poren oder Rissen aufbauen und das Gestein auseinanderdrücken. Das Ereignis sei aber sicher nicht auf einen Auslöser allein zurückzuführen, sondern auf ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren.

Das Kleine Nesthorn zeigt Spuren der Felsen, die abbrachen.
Das Kleine Nesthorn zeigt Spuren der Felsen, die abbrachen. Bild: Alessandro della Valle/Keystone/dpa

Spielt der Klimawandel eine Rolle?

"Zunächst: Diese Ereignisse hat es schon immer gegeben und wird es immer geben, und wir können da nur sehr wenig dagegen tun. Man kann sich nur darauf vorbereiten", betont Turowski. "Mir ist auch keine Studie bekannt, die nachgewiesen hat, dass es eine statistische Häufung von solchen Großereignissen gibt, die man mit dem Klimawandel in Verbindung bringen kann."

"Man kann aber davon ausgehen, dass der Klimawandel eine Rolle spielt, vor allem bei den Auslösern", betont er. Bedeutend seien dabei etwa die Veränderung des Schnees, "wann er fällt, wann er schmilzt". Durch Temperaturänderungen werde auch der Permafrost beeinflusst. Zudem schmelzen die Gletscher. "Sie stützen die Talwände ab und stabilisieren das Gestein. Wenn die sich zurückziehen, fällt diese Stütze weg", sagt Turowski. "Ich würde fest davon ausgehen, dass der Klimawandel bei dem Gletscherabbruch irgendeine Rolle gespielt hat, er ist aber sicher nicht der einzige Auslöser."

Werden solche Ereignisse künftig häufiger vorkommen?

"In den Höhenlagen, wo die Bedingungen dafür günstig sind und durch den Klimawandel günstiger werden, kann man schon damit rechnen, dass es häufiger wird", sagt Turowski. "Ich kenne aber keine statistischen Nachweise dafür." Für alle anderen Massenbewegungen außer für solche Bergstürze, habe man aber schon gezeigt, dass sie in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden seien.

Das Wasser hat sich wegen des Schuttberges zu einem See gestaut.
Das Wasser hat sich wegen des Schuttberges zu einem See gestaut. Bild: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa

Lässt sich eine Flutwelle durch das aufgestaute Wasser verhindern? 

Die Lage sei komplex. Man könne eventuell einen Ablasskanal graben oder das Wasser abpumpen. "Die Fragen seien: Wo kommt man da überhaupt dran mit Maschinen? Wie schnell kann man arbeiten?", meint Turowski. Das Material sei weich und könne schweres Gerät nicht tragen. Zudem könnten weitere Sturzereignisse nicht ausgeschlossen werden. Einen Eingriff müsse man sich daher genau überlegen. "Die Entscheidung muss schnell getroffen werden. Ich beneide die Kollegen nicht." (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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