"Bananenrepublik" Sachsen: Was der Untersuchungsausschuss zur Kürzung der AfD-Liste für die Landtagswahl 2019 weiß

Am 5. Juli 2019 wurde die Kandidatenliste der AfD zur damaligen Landtagswahl um 43 auf 18 Plätze gekürzt. Manche in der Partei gehen bis heute von einem perfiden Plan der Konkurrenz aus. Deckt sich das mit Resultaten im Untersuchungsausschuss?

5. Juli 2019: Referatsleiter Thomas Wolf, Landeswahlleiterin Carolin Schreck und ihr Vize Robert Kluger in der Sitzung des Landeswahlausschusses zur Zulassung der Landeslisten für die Landtagswahl 2019.
Heute vor vier Jahren fällte der Landeswahlausschuss um Landeswahlleiterin Carolin Schreck (hinten Mitte) eine Entscheidung, deren Hintergründe bis heute den aktuell einzigen Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags beschäftigen.
Kerstin Köditz - Linken-Obfrau im Untersuchungsausschuss

Von Tino Moritz

Die Entscheidung in Kamenz war nur wenige Stunden alt, als Referatsleiter Burkhard Kurths am 5. Juli 2019 um 17.41 Uhr seine Mail verschickte. Darin schrieb er seinem Vorgesetzten im sächsischen Innenministerium, Abteilungsleiter Thomas Rechentin, zunächst auf, was der wohl eh schon wusste: dass nämlich die Landtagswahl erst nach der Abstimmung am 1. September 2019 per rechtzeitig eingelegtem Einspruch angefochten werden könne. Dann aber widmete sich Kurths den "Auswirkungen" der soeben vom Landeswahlausschuss beschlossenen AfD-Listenkürzung. Diese könnte womöglich zu einem "Solidarisierungseffekt mit der AfD" führen und sich "somit gerade für die CDU noch erheblich nachteilig auswirken, da sie dann noch mehr Direktmandate verlieren könnte als bisher schon prognostiziert".

Rechnen mit der "Wahlkreisprognose"

Kurz zuvor hatte in Kamenz der Landeswahlausschuss - also die damalige Landeswahlleiterin Carolin Schreck und sechs von Parteien entsandte Mitglieder - die Landesliste der AfD nur mit 18 statt 61 Kandidaten zugelassen. Minimiert schienen damit plötzlich die Wahlchancen ausgerechnet jener Partei, die in Umfragen gleichauf mit der CDU lag und ihr schon bei der Bundestagswahl 2017 den Rang als stärkste politische Kraft abgelaufen hatte.

Es dürfte als skurril durchgehen, dass Kurths sich in seiner Mail auf eine damals tatsächlich kursierende ominöse "Wahlkreisprognose" stützte. Danach waren 27 AfD-Siege zu erwarten, deren Anzahl sich durch eine Erststimmenkampagne laut Kurths beispielsweise auf 37 erhöhen könnte. Mindestens heikel aber mutet es an, wenn sich ein Referatsleiter dienstlich mit den Chancen der CDU-Direktkandidaten auseinandersetzt - zu denen auch sein damaliger Minister Roland Wöller zählte, noch dazu in einem eben wegen der AfD als wacklig geltenden Wahlkreis. Wer will, könnte der Kurths-Mail eine Motivation für die CDU entnehmen, die Listenkürzung schnellstmöglich abzuwenden.

Umstrittenes Gerichtsurteil

Tatsächlich ließ Sachsens Verfassungsgerichtshof noch vor der Landtagswahl 2019 auf Antrag der AfD auch noch die Listenplätze 19 bis 30 zu - ein Urteil, das Grünen-Rechtspolitiker Valentin Lippmann damals von "Sachsens Salomon" sprechen ließ und bis heute in der Rechtsliteratur umstritten ist. Die 27,5 Prozent für die AfD am 1. September 2019 hätten zu 39 von 120 Landtagsmandaten gereicht. Durch die von den Leipziger Verfassungsrichtern abgemilderte Listenkürzung zogen immerhin 38 Abgeordnete ein, das 120. Mandat wurde nicht vergeben. Hätte die Kamenzer Entscheidung Bestand gehabt, wären bei gleichbleibendem Wahlausgang nur 27 Sitze an die AfD gegangen: an die 18 auf der Liste Verbliebenen und 9 Wahlkreissieger auf den damals gestrichenen Plätzen.

Teile der AfD-Fraktion halten bis heute an der These fest, dass das "vereinigte Altparteienkartell" konzertiert gegen sie vorging. Dass ihre Liste damals "auf lächerliche 18 Plätze zusammengestrichen" wurde, habe wegen des zu erwartenden hohen Wahlergebnisses an "mutwilliger Sabotage" gegrenzt, sagt der AfD-Abgeordnete Roland Ulbrich. Davor sei ihm das "nur aus Bananenrepubliken bekannt" gewesen. Ulbrich gehört dem Untersuchungsausschuss an, den seine Fraktion gleich nach der Wahl 2019 durchsetzte.

Neue Spur zum Verfassungsschutz?

Das Gremium sei gerade dabei zu klären, ob die damalige Landeswahlleiterin "aus Eigeninitiative oder im Auftrag des damaligen Innenministers Wöller oder des Verfassungsschutzes gehandelt hat", sagte Ulbrich vor fünf Wochen im Landtag. Dass nun sogar der Verfassungsschutz mitgemischt haben soll, ist vergleichsweise neu - und hängt offenbar damit zusammen, dass das Landesamt nach dem ersten Pressebericht zu möglichen Problemen bei der Zulassung der AfD-Landesliste am 27. Juni 2019 routinemäßig einen Vorgang angelegt hatte. Deshalb will der Ausschuss am 31. August 2023 den damaligen Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath als Zeuge anhören. Später dürften noch Ex-Minister Wöller, womöglich auch CDU-Generalsekretär Alexander Dierks und ganz sicher Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer folgen. Abgeschlossen werden soll die Beweisaufnahme eigentlich im November, aber womöglich schafft die AfD es, sie doch noch bis ins Landtagswahljahr 2024 zu ziehen.

Als sie im Herbst 2019 den Untersuchungsauftrag zu angeblichen "Verstrickungen der Staatsregierung" in die Listenkürzung formuliert hatte, spielte der Verfassungsschutz noch keine Rolle. Von Beginn an ins Visier geriet die damalige Landeswahlleiterin Carolin Schreck wohl auch wegen ihres CDU-Parteibuches. Die AfD vermutete, dass Schrecks Vorgänger Burkhard Müller als Präsident des Statistischen Landesamtes - qua Amt auch Landeswahlleiter - zum Jahresende 2018 nicht ganz freiwillig ging, damit eben Schreck installiert werden konnte. Spätestens mit der schon nach 40 Minuten abgeschlossenen Zeugenaussage von Müller im März hatte sich auch diese Legende in Luft aufgelöst.

"Emissär aus Berlin"

Keine Spuren gibt es bislang auch von einem laut AfD-Auftrag "nicht namentlich bekannten Emissär aus Berlin", geschweige denn von einer Besprechung des Unbekannten mit Schreck, Ex-Innenstaatssekretär Günther Schneider und Vize-Landeswahlleiter Robert Kluger.

"Der Untersuchungsausschuss hat bislang vor allem gezeigt, dass die Verschwörungstheorien der AfD nichts anderes als Verschwörungstheorien sind", sagt Linken-Obfrau Kerstin Köditz. "Was sich seit Juni 2019 bis in die Gegenwart durchzieht wie ein blauer Faden: Die AfD sucht die Fehler ausschließlich bei anderen." Dabei sei den AfD-Verantwortlichen wohl die Wahlvorbereitung "gründlich entglitten". Es gebe "überhaupt keine Hinweise darauf, dass es eine Einflussnahme auf den Landeswahlausschuss gegeben hätte, um dieser Partei zu schaden".

Wenn überhaupt, gab es solche Versuche nur in entgegengesetzter Richtung - zugunsten der AfD. Die hatte 2019 ihre ersten 18 Listenkandidaten am zweiten Februarwochenende gewählt. Die Plätze 19 bis 61 folgten dann Mitte März, ab Platz 31 nicht mehr per Einzelwahl, sondern im Block, weil ansonsten wohl selbst das zweite Wochenende nicht zur Kandidatenkür gereicht hätte.

Rückendeckung für Wahljuristen

Für die Übergabe der zur Zulassung erforderlichen Unterlagen aber ließ sich die Partei viel Zeit. Erstmals am 18. Juni tauchten Vertreter bei der Landeswahlleitung in Kamenz auf, neun Tage vor Fristende. Dabei stellte der zuständige Referatsleiter Thomas Wolf erhebliche Mängel fest. Davon setzte er am 19. Juni per Mail im Namen von Schreck nicht nur fünf AfD-Mitglieder in Kenntnis, sondern zwei Minuten später gleich auch noch Referatsleiter Kurths im Innenministerium - in dem Mitteilungen über Probleme von Parteien bei der Wahlzulassung aus naheliegenden Gründen eigentlich nichts verloren haben.

In dem "Mängelschreiben" monierte Wolf, dass die AfD zwei separate Landeslisten eingereicht habe, dass Unterschriften fehlten, dass der Fünf-Wochen-Abstand zwischen den Aufstellungswochenenden wegen mangelnder Identität des Teilnehmerkreises problematisch sei, dass für die Anerkennung als einheitliche Versammlung zu viele Vertrauenspersonen benannt und mehrere eidesstattliche Versicherungen ohne Ort und Datum vorgelegt worden seien. Die AfD schob schließlich weitere Unterlagen nach - ohne damit jedoch alle Bedenken ausräumen zu können. Der Landeswahlausschuss jedenfalls entschied sich in öffentlicher Sitzung nach ausführlichem Sachvortrag von Wolf - der selbst keine Stimme hatte - für die Zulassung von nur 18 Plätzen.

Auf Wolfs Rechtsauffassung hatte sich Schreck verlassen - genauso wie ihr Amtsvorgänger. "Herr Dr. Wolf ist der qualifizierteste Wahljurist, den wir im Freistaat haben", sagte Müller im Untersuchungsausschuss. Tatsächlich hatte Wolf zum Wahlrecht promoviert und war vor seinem Wechsel zum Statistischen Landesamt 2017 als Mitarbeiter des unabhängigen Juristischen Dienstes des Landtags fraktionsübergreifend anerkannt gewesen.

"Kollegialer Hinweis"

Dass er mit seiner Rechtsauffassung zur AfD-Listen falschliegen und damit nur deren Wahlerfolg "torpedieren" wolle, bekam Wolf im Juni 2019 in einem nach seiner Erinnerung unerfreulichen Anruf vom einstigen AfD-Mann und heute fraktionslosen Abgeordneten Ivo Teichmann zu hören. Probleme mit Wolfs juristischer Bewertung der AfD-Aufstellung hatte indes auch Ministerialrat Kurths vom Innenministerium. Der Ex-Richter leitet seit Anfang 2019 das auch für parlamentarische Wahlen zuständige Referat 21. Nach Lektüre des Mängelschreibens griff er zum Hörer und teilte Vize-Landeswahlleiter Kluger seine Bedenken mit. Am 25. Juni habe ihn Schreck zurückgerufen und eine Prüfung zugesichert. Sein Agieren sei als "kollegialer Hinweis" zu verstehen gewesen, erklärte Kurths im Zeugenstand. "Weisungsbefugt" sei das Ministerium nicht gewesen. Er sei davon ausgegangen, dass bei Beibehaltung der Rechtsauffassung der Landeswahlleitung ein Einspruch gegen die Wahl erfolgreich gewesen wäre - und wollte "nach Möglichkeit verhindern, dass es zu einer Neuwahl ohne Not kommt".

Wie teuer ist der U-Ausschuss?

Die Kosten für den Untersuchungsausschuss sind bisher überschaubar. Bis Ende Juni fielen knapp 38.000 Euro durch Pauschalen an die Ausschussmitglieder, Stenografen und Schreibkräfte sowie Aufwandsentschädigungen für Zeugen an. Einige von ihnen ließen sich indes von einem Rechtsanwalt begleiten, mit dem der Freistaat aus Fürsorgegründen eine Honorarvereinbarung geschlossen hat. Der Jurist hatte bis Ende Juni noch keine Rechnung gestellt.

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