Der russische Militärgeheimdienst GRU soll verantwortlich für die Luftfracht-Brandsätze auf mehreren europäischen Flughäfen sein – unter anderem in Leipzig. Medienberichten zufolge soll er für diese Sabotage „Billig-Agenten“ angeheuert haben.
Am 20. Juli 2024 geht am Flughafen Leipzig ein Versandpaket in Flammen auf. Am Tag darauf folgt ein ähnliches Szenario bei Warschau. Und schließlich brennt ein Paket in Birmingham, wo man den rußigen Schrott zunächst ohne Hintergedanken auf den Müll wirft. Doch dann erkennen Brandermittler und Sicherheitsbehörden einen Zusammenhang.
Agenten wohl über soziale Medien angeworben
Nach Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ gehen westliche Nachrichtendienste inzwischen davon aus, dass wohl der russische Militärgeheimdienst GRU hinter diesen Brandsätzen steckt. Demnach handelt es sich um eine internationale Sabotageaktion, in die mehrere ranghohe GRU-Angehörige verstrickt sein sollen. Dazu soll unter anderem ein GRU-Oberst gehören, der seit Dezember 2024 von der Europäischen Union sanktioniert ist. In der veröffentlichten Sanktionsbegründung heißt es, der GRU-Oberst habe über soziale Medien „Agenten für Sabotageakte in der Union“ rekrutiert.
Mindestens sechs verdächtige Pakete
Im Mittelpunkt der internationalen Ermittlungen zu dieser Operation stehen mehrere Pakete: Zwei dieser Pakete sollten von Litauen aus nach Polen verschickt werden, zwei weitere sollten von Litauen aus nach Großbritannien gehen. Eines der Pakete mit Ziel London ging bei einer Zwischenlandung in Leipzig in Flammen auf. Eines der beiden für Polen bestimmten Pakete konnte von den Ermittlungsbehörden abgefangen werden. Diese vier Pakete sollen jeweils auf Magnesium basierende Brandsätze enthalten haben. Zudem soll ein Mann Anfang August 2024 von Warschau aus jeweils ein Paket in die USA und eines nach Kanada ohne Brandsatz, aber mit einem Tracker verschickt haben. Die polnische Staatsanwaltschaft glaubt den Recherchen zufolge, dass die Gruppe den „Transportweg für solche Sendungen“ habe prüfen wollen.
Story zu den Sabotageakten heute Abend in der ARD: Knapp an Katastrophe vorbeigeschrammt
WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ werden in der ARD-Story „Sabotage – Deutschland in Putins Visier“ am heutigen Mittwochabend ab 22.50 Uhr jetzt erstmals auch Fotos des Leipziger Brandsatzes zeigen und den genauen Ablauf der mutmaßlich russischen Geheimdienstoperation rekonstruieren. Die Aufnahmen belegen, wie gefährlich es gewesen wäre, wenn das Feuer im Frachtraum während des Fluges ausgebrochen wäre. Dass dies nicht passierte, war den Recherchen zufolge bloß ein Zufall.
Mehrere Billig-Agent festgenommen
In Litauen, Polen, Bosnien-Herzegowina und Großbritannien sind bereits Verdächtige festgenommen worden. Es handelt sich bei diesen mutmaßlichen Tätern vor allem um sogenannte Wegwerf-Agenten, in Sicherheitskreisen „Low-Level-Agenten“ genannt. Damit sind keine offiziellen Mitarbeiter von Nachrichtendiensten gemeint, sondern Personen, die etwa über Messengerdienste wie Telegram angeworben werden, um bestimmte Aufgaben zu übernehmen, ohne die genauen Hintergründe der gesamten Operation zu kennen.
Durchsuchung auch in Ostdeutschland
Den Recherchen zufolge gehen europäische Sicherheitsbehörden davon aus, dass in diese Sabotageaktion rund zehn Personen eingebunden gewesen sein sollen. Eine Spur führte die Ermittler den Recherchen zufolge auch in eine ostdeutsche Großstadt. Dort wurde im Februar die Wohnung eines Ukrainers durchsucht. Er soll mit einem weiteren Mann Kontakt gehabt haben, der die Pakete mit den Brandsätzen aufgegeben haben soll. Der Ukrainer in Ostdeutschland gilt aber nicht als Beschuldigter.
Sicherheitsbehörden: Ein Flugzeug runterzuholen ist akzeptabel für sie
Mehrere Behördenvertreter warnen vor der Gefahr durch russische Sabotageversuche: „Leben von Menschen interessieren sie nicht“, sagt Darius Jauniškis, langjähriger Chef des litauischen Geheimdienstes VSD. „Ein Flugzeug runterzuholen ist akzeptabel für sie.“ Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, beklagte im Zusammenhang mit den Sabotageaktionen, dass es ganz konkret inzwischen auch keine Scheu mehr davor gebe, Menschenleben zu gefährden oder ganz gezielt auch aufs Spiel zu setzen.
James Appathurai, der bei der Nato unter anderem für Strategien zur Abwehr hybrider Angriffe zuständig ist, erklärt weiter: „Ein Flugzeug kann Feuer fangen und alle an Bord töten. Es kann auf einen Wohnort fallen und die Menschen, die dort leben, töten. Und genau aus diesen Gründen halten wir das für eine Eskalation.“ Die russische Botschaft in Berlin bestritt auf Anfrage des Recherchenetzwerks, dass Moskau hinter den Vorfällen stecke. Sie sprach stattdessen von „Paranoia“ und „Verschwörungstheorien“. (juerg)