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Nach der Rettung: Mama Aurelia mitsamt ihren Kindern Arabella, Cardinal, Edward und Mandarina.
Nach der Rettung: Mama Aurelia mitsamt ihren Kindern Arabella, Cardinal, Edward und Mandarina. Bild: Tierparadies Muhrielle
Sachsen
Ku(h)riose Aktion: Sächsin rettet Muttertier und ihre vier Kälber

Der im Osterzgebirge ansässige Verein Tierparadies Muhrielle hat sich der Rettung von Rindern verschrieben. Über 90 Tiere fanden bereits ein neues Zuhause. Aurelia und ihre Vierlinge sind die neuesten Mitglieder dieser besonderen Gemeinschaft.

Glashütte.

Die Vierlinge heißen Arabella, Cardinal, Edward und Mandarina. Ihre stolze Mama hört auf den Namen Aurelia. Allesamt leben die an der Ostsee geretteten Tiere inzwischen in Sachsen. Das Kälbchen-Quartett ist ein kleines Wunder, denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kuh gleich vier Babys bekommt, beläuft sich auf eins zu elf Millionen.

Dass diese Kuh dann mitsamt ihrem Nachwuchs ihr Leben nicht in einer Milchviehanlage verbringt, sondern in Freiheit leben darf, liegt wohl noch deutlich drunter. Doch Aurelia und ihren Kindern ist genau das passiert.

Alles beginnt mit Kuh Bella

Doch die Geschichte der ku(h)riosen Rettung beginnt eigentlich schon viele Jahre vorher, berichtet Conny Böttger gegenüber „Freie Presse“. Böttger ist Vorsitzende des Vereins Tierparadies Muhrielle aus Börnchen, einem Ortsteil von Glashütte (Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge).

Alles nimmt im November 2015 seinen Anfang mit Bella, der letzten Kuh von Böttgers Großvater. Das Tier lebte angekettet. „Ich wollte dieser Kuh ein anderes Leben schenken“, erzählt Böttger. „Damit sie nicht mehr an der Kette, sondern frei in einer Herde lebt und auf einer Wiese stehen darf.“

Eine Kuh zu retten, sei damals für viele Menschen befremdlich gewesen: „Es gab Leute, die konnten nicht nachvollziehen, was ich da mache. Die hätten es verstanden, wenn ich ein Pferd rette, aber nicht eine Kuh.“ Böttger verweist auf das Konzept des Karnismus der Psychologin Melanie Joy. Demzufolge teilen Fleischesser (Karnisten) Tierarten in „essbar“ und „nicht essbar“ ein.

In China isst man Hunde, hier Rinder

Die „essbaren“ Tierarten würden so entindividualisiert und versachlicht, notiert die Tierschutzorganisation Peta: „Das heißt oft leider, dass zum Beispiel Schweine lebend wie Objekte behandelt werden: Sie werden maschinell aufgezogen, transportiert und getötet (…).“

Hund und Katze sind bei uns Haustiere, in anderen Teilen der Welt landen sie durchaus auf dem Teller.
Hund und Katze sind bei uns Haustiere, in anderen Teilen der Welt landen sie durchaus auf dem Teller. Bild: Patrick Pleul/dpa

Laut Peta gelten diese dann nicht mehr als einzelne Lebewesen mit einer einzigartigen Persönlichkeit und Gefühlen, sondern würden als anonyme Masse gesehen. „Dadurch haben viele Menschen gleichzeitig auch weniger Mitgefühl mit bestimmten Tierarten wie mit Schweinen, Rindern und Hühnern, die fälschlicherweise ganz ‚normal‘ als ‚Nutztiere‘ angesehen werden.“

Wer als „Nutztier“ gilt und auf dem Teller landet, unterscheidet sich weltweit. „In China essen sie ja zum Beispiel Hunde und Katzen“, gibt Böttger zu bedenken. „Hier essen sie Rinder und Schweine.“ Die vegan lebende Muhrielle-Vorsitzende bezeichnet Rinder und Co. als „Schattentiere“. Also Tiere, die hinter „Haustieren“ wie Hund, Katze und Pferd quasi nicht gesehen werden.

Rinder retten: So viel kostet ein Tier im Monat

Seit dem November 2015 ist viel Wasser die Elbe hinabgeflossen. Nach Bella holte Böttger etwa noch deren Mutter Cora. Die hatte sie über Bellas Rinderpass - quasi den Ausweis eines Rindes - ausfindig machen können. Und nun, bald zehn Jahre später, sind es insgesamt 97 Rinder, die im Tierparadies ein neues Zuhause gefunden haben – aufgeteilt auf die Standorte Börnchen und Wittichenau sowie weitere Pflegestellen und Partnerhöfe.

Leicht ist es nicht, die Tiere zu retten. Da ist zum einen der finanzielle Gesichtspunkt: So mancher glaubt, mit der bloßen Rettung sei es getan. Doch mitnichten. Unterbringung, Versorgung, Tierarzt: All das kostet Geld. 130 Euro pro Monat und Tier.

Diesbezüglich sind die Kuhretter auf Spenden oder gar Patenschaften angewiesen, welche ab fünf Euro pro Monat erhältlich sind. Dauerhaft Verantwortung für die Tiere zu übernehmen, ist deutlich schwerer als die bloße Rettung, betont Böttger im Gespräch mit der „Freien Presse“.

Rettung emotional belastend: Nicht jeder packt das

Apropos Rettung: Die ist mitunter schwierig. Mit den Bauern müsse teils zäh verhandelt werden. Und auch das Abholen sei durchaus emotional belastend, denn man kann letztlich nicht alle Tiere mitnehmen, die man gerne aus den Milchviehanlagen retten würde. „Wir haben kürzlich ein Kalb abgeholt und dann wollten drei andere Kälber auch mitfahren. Ich kann das Verhalten der Tiere ja lesen. Die haben richtiggehend gesagt: ‚Hier bin ich!‘ und sind gesprungen vor Freude und haben uns ableckt.“

Nicht jeder aus ihrem Verein packe das. Böttger spricht von einer schweren Bürde. „Aber ich sage mir dann: Wenn ich hinfahre, dann kann ich wenigstens das Leben eines Tieres verändern.“ Und wenn sie die Öffentlichkeit als Teil der Vereinsarbeit über ihre Tiere aufklärt, dann erzählt sie nicht nur die Geschichte der geretteten Tiere, sondern auch die derer, die es nicht geschafft haben.

Wer es auf jeden Fall geschafft hat, das sind Aurelia und ihre vier Kälber. Auf die Spur der Vierlingsmama kamen die Kuhretter aus Sachsen durch eine Tierschützerin aus Kiel. Diese wollte zunächst die vier Kälber retten, was dann aber schließlich auf Mutter Aurelia ausgeweitet wurde. Die Kälbchen schenkte der Landwirt ihnen sogar. „Das ist nicht selbstverständlich“, informiert Böttger.

So lief die Rettung von Aurelia und ihren Kindern

Während es also vergleichsweise einfach war, an den Nachwuchs zu kommen, gestalteten sich die Verhandlungen um Mama Aurelia deutlich schwerer. Am 14. Dezember 2024 nahm sich Böttger kurzerhand Urlaub und reiste an die Ostsee zum Partnerhof des Tierparadieses Muhrielle, dem Lottihof in Seefeld.

Dort, südwestlich von Wismar, überredete sie ihre Mitstreiter, dass man mit zwei Anhängern und zwei Teams zum Bauern fährt. Der Plan: „Wir packen erstmal die Vierlinge ein und dann reden wir über deren Mutter.“ Der zweite Hänger wurde außer Sicht abgestellt.

Sächsische Idylle statt Milchviehbetrieb: Aurelia mit ihren Kids (liegend) in Börnchen.
Sächsische Idylle statt Milchviehbetrieb: Aurelia mit ihren Kids (liegend) in Börnchen. Bild: Tierparadies Muhrielle

Der junge Landwirt sträubte sich zunächst dagegen, eine seiner besten Milchkühe herzugeben. Doch der Widerwille resultierte vor allem aus Sorge gegenüber Aurelia, wie Böttger zu berichten weiß. Denn Milchkühe seien wie Spitzensportler: „Für einen Liter Milch müssen durchs Euter 500 Liter Blut fließen. Und Aurelia produzierte 50 Liter Milch pro Tag.“

Normal seien zwischen 35 und 40 Litern. Höchstbelastung für den Körper also. Das Tier dort einfach rauszunehmen, könnte tödlich enden. Nach und nach konnten die Retter die Sorgen des Landwirts zerstreuen. So benötigte Aurelia beispielsweise Spezialfutter. Der Lottihof erklärte sich bereit, dieses jeden zweiten Tag frisch aus der Milchviehanlage zu holen.

Nach der Rettung wurde es nochmals dramatisch

Noch am selben tag war es schließlich soweit: Aurelia und ihre Vierlinge wurden abgeholt und erstmal zum Lottihof transportiert. Dort kamen alle fünf in ein Weidezelt. Aurelia erkannte ihren Nachwuchs sofort und ließ ihn nach wenigen Tagen trinken. Im Frühjahr wurde es allerdings nochmals dramatisch: Die Kuhmama erlitt eine Darmverdrehung und wäre beinahe gestorben.

Jedoch: „Einem sehr guten Ärzteteam ist es in letzter Minute gelungen, sie zu retten“, sagt Böttger. Aurelia schaffte es. Zwar ist sie derzeit noch sichtlich mitgenommen und hat stark abgenommen, weil sie wochenlang bedingt durch die Darmverdrehung nur wenig Nahrung aufnahm, aber sie ist auf dem Weg der Besserung.

 

Und überdies vor Kurzem mitsamt ihren Kindern im Tierparadies in Börnchen angekommen. Arabella, Cardinal, Edward und Mandarina sowie ihre Mama sind inzwischen Teil der Kindergartenherde. „Dort hat Aurelia jetzt wirklich viel Ruhe und Platz und kann sich frei entfalten“, zeigt sich Conny Böttger zufrieden.

Übrigens: Sie steht nach wie vor mit dem Landwirt in Kontakt, von dem sie das Quintett geholt hat – auch er freut sich, dass alle Fünf wohlauf sind. Also: Ende gut, alles muht. (phy)

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