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Ekrem Imamoglu ist ein Präsidentschaftskandidat in Untersuchungshaft. (Archivbild)
Ekrem Imamoglu ist ein Präsidentschaftskandidat in Untersuchungshaft. (Archivbild) Bild: Oliver Berg/dpa
Welt
Trotz U-Haft: Imamoglu wird Präsidentschaftskandidat

Die Oppositionspartei CHP hat den abgesetzten Istanbuler Bürgermeister zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gewählt. Während Hunderttausende für ihn stimmten, wurde er ins Gefängnis gebracht.

Istanbul.

Wenige Stunden nach der Inhaftierung und Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu hat seine Partei CHP ihn offiziell zum Präsidentschaftskandidaten nominiert. In der parteiinternen Abstimmung am Sonntag stimmten 1,6 Millionen der 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für Imamoglu als Präsidentschaftskandidaten, wie Parteichef Özgür Özel am Abend bei einer Kundgebung in Istanbul erklärte. Özel sprach von einer "historischen Wahl". Doch wegen der gegen Imamoglu laufenden Ermittlungen, die das Land seit Tagen in Aufruhr versetzen, steht ein großes Fragezeichen hinter der politischen Zukunft des 53-Jährigen.

Özel zufolge gaben über die Parteimitglieder hinaus Millionen Menschen zudem ihre Stimme symbolisch an sogenannten Solidaritätswahlboxen für Imamoglu ab. Diese waren neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden. Nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen käme man bereits auf mehr als 13 Millionen symbolische Stimmen für Imamoglu, sagte Özel. Die Türkei hat 85,6 Millionen Einwohner.

Gegen Imamoglu war kurz nach Beginn der Abstimmung am Sonntagmorgen (Ortszeit) Untersuchungshaft verhängt worden. Die Entscheidung erfolgte in Verbindung mit den Korruptionsermittlungen gegen ihn. Am früheren Abend (Ortszeit) wurde Imamoglu dann auf Anordnung des Innenministeriums das Bürgermeisteramt "vorübergehend" entzogen. Die Entscheidung war von vielen in der Türkei befürchtet worden, sie erschütterte das Land aber dennoch. Kritiker sehen in dem Vorgehen den Versuch der Regierung, einen gefährlichen Konkurrenten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auszuschalten. 

Umfragen sagten Imamoglu bislang gute Chancen voraus

Regulär finden die nächsten Präsidentschaftswahlen 2028 statt. Umfragen sagten Imamoglu bisher gute Chancen gegen den seit 2003 abwechselnd als Regierungschef oder Präsident an der Staatsspitze stehenden Erdogan voraus.

Die CHP spricht im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den wichtigen Oppositionspolitiker von einem zivilen Putsch. In Istanbul, Ankara, Izmir und anderen Städten demonstrierten Menschen Verboten zum Trotz den fünften Abend in Folge gegen das Vorgehen der Regierung. Zehntausende schließen sich den Protesten mittlerweile an.

Mitte der Woche waren die türkischen Behörden mit einer Verhaftungswelle gegen zahlreiche Verdächtige in Korruptions- und Terrorermittlungen vorgegangen. Imamoglu ist Verdächtiger in beiden Verfahren. Insgesamt soll es in beiden Verfahren um 106 Menschen gehen. Imamoglu weist alle Vorwürfe zurück und nannte das laufende Gerichtsverfahren "alles andere als fair – es ist eine Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren". Justizminister Yilmaz Tunc wiederum sagte, es sei falsch, von "politischen Ermittlungen" zu sprechen.

Offizieller Kandidat erst nach Bestätigung durch Wahlbehörde

Die Wahl, in der Imamoglu als einziger Kandidat antrat, war bereits vor seiner Festnahme angesetzt. Die Partei hat sie aber erst danach symbolisch für Nicht-Parteimitglieder geöffnet. Offizieller Kandidat ist Imamoglu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Ermittlungen nicht eingestellt werden, ist die Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich. Zudem wurde Imamoglu in dieser Woche der Universitätsabschluss aberkannt. Die Entscheidung ist noch nicht endgültig, aber ein Universitätsabschluss ist in der Türkei Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur.

In der Türkei wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Bürgermeister der prokurdischen Dem-Partei und jüngst auch der sozialdemokratischen CHP, der Imamoglu angehört, wegen Ermittlungen ihres Amtes enthoben und in einem weiteren Schritt dann durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul aber ist in der Art ein beispielloser Vorgang. Imamoglu drohen auch in mindestens fünf Verfahren Politikverbote. Ob Istanbul nun einen Zwangsverwalter bekommt, ist noch ungewiss. 

Regierung verurteilt Proteste scharf

Die Regierung verurteilt die seit Mittwoch andauernden Proteste scharf. Erdogan sprach von "Straßenterror". In mehreren Städten wurden Demonstrationsverbote erlassen. In Istanbul wurden zudem Zugangsbeschränkungen für die Stadt erlassen. CHP-Chef Özel sprach am Sonntagabend von einer Million Teilnehmern an der Demonstration vor der Stadtverwaltung. Laut dem Innenminister wurden in den vergangenen zwei Tagen Hunderte Protestierende festgenommen. Das Büro Imamoglus kündigte an, man werde weiter demonstrieren, bis er seine Freiheit zurückgewinne. 

Seit Mittwoch gehen Türkinnen und Türken auf die Straße. (Archivbild)
Seit Mittwoch gehen Türkinnen und Türken auf die Straße. (Archivbild) Bild: Francisco Seco/AP/dpa

Auch gegen Nutzer im Netz geht die Regierung vor. Laut Innenministerium wird gegen mehr als 300 Personen wegen "Aufstachelung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" und "Anstiftung zur Begehung von Straftaten" ermittelt. 

Auch Erdogan ging einst in Gefängnis - und ist nun Präsident

Das harte Vorgehen gegen Imamoglu zeige, wie groß die Sorge der AKP Erdogans sei, gegen ihn zu verlieren, heißt es von Beobachtern. Für den Moment scheint Imamoglu eher an Sympathie zu gewinnen. Tatsächlich gehen einige Beobachter davon aus, dass das Vorgehen gegen Imamoglu seine Beliebtheit nur noch steigern wird. 

Auch hier gibt es Parallelen zwischen Imamoglu und Erdogan, die nicht nur die Herkunft aus der Provinz Rize vom Schwarzen Meer verbindet. Auch Erdogan war einmal Istanbuler Bürgermeister und begann von dort seinen politischen Aufstieg. Als Bürgermeister musste er 1999 wegen religiöser "Aufhetzung des Volkes" für vier Monate ins Gefängnis. Nun ist er Präsident. (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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