Chemnitz. Der Mindestlohn steigt in zwei Schritten von jetzt 12,82 bis 2027 auf dann 14,60 Euro. Doch wer profitiert davon in Sachsen tatsächlich, lohnt sich bei den geringen Lohnunterschieden jetzt überhaupt noch eine Ausbildung, werden durch die Erhöhung Jobs vernichtet und droht nun Krach in der Regierungskoalition? Die „Freie Presse“ beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Wer konkret profitiert in Sachsen von der Erhöhung?
Reinigungskräfte, Taxifahrer, Hauswirtschaftler, Restaurantfachleute, Küchenhilfen, Servicekräfte in der Gastronomie, Tankstellen-Mitarbeiter, Bäckerei-Verkäuferinnen, Friseure - sie alle erhalten laut der sächsischen Arbeitsagentur oft nur den Mindestlohn und werden mit der Erhöhung nun mehr verdienen. Insgesamt betrifft das nach Gewerkschaftsangaben mehr als 300.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Freistaat.
40 Cent liegen zwischen der 15-Euro-Forderung der SPD und dem Ergebnis der Mindestlohnkommission. Warum?
Die Festlegung der Mindestlohnkommission folgt klaren Kriterien: Geprüft wurde, wie hoch der Mindestlohn sein muss für „einen angemessenen Mindestschutz“ der Beschäftigten und für „faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen“ – und das, ohne Beschäftigung „zu gefährden“, so die Kommission. Denn Deutschland droht das dritte Rezessionsjahr in Folge.
Wie wurde der Betrag genau ermittelt?
Einbezogen wurden die Entwicklung der Tariflöhne und der Medianlohn. Das ist genau der Betrag, bei dem die eine Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere weniger verdient. Der Mindestlohn soll nach EU-Vorgaben 60 Prozent von diesem Medianlohn betragen. Das ist die offizielle Schwelle für Armutsrisiko. Mindestlohnkommissionschefin Christiane Schönefeld: „Nur mit Prognosen kommt man zu einem Wert von 15 Euro 2026.“ Das sei aber nicht das entscheidende Kriterium.
Ist jetzt mit einem Krach in der Regierungskoalition zu rechnen?
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geht nicht davon aus - obwohl der Arbeitnehmerflügel der SPD auf 15 Euro beharrt und ein Einschreiten des Gesetzgebers fordert. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat aber schon eine Umsetzung der Kommissionsempfehlung per Verordnung angekündigt. In Sachsen ist sich die Regierung uneins. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisiert die Erhöhung. Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) sieht dagegen „das nötige Augenmaß“ gewahrt.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft warnt: Nach Jahren mit einer schwächelnden Wirtschaft könnte die Erhöhung des Mindestlohns noch mehr Menschen arbeitslos machen.
Tatsächlich hat sich zwischen Mai 2022 und Mai 2025 die Anzahl der Arbeitslosen bundesweit um knapp 660.000 erhöht, das ist ein Zuwachs von 29 Prozent auf über 2,9 Millionen. Das betrifft vor allem auch die Gruppe der Helfer. Laut Arbeitsagentur arbeiten in Sachsen von den 1,656 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten etwa 241.000 als Helfer.
Trifft die Wirtschaftskrise vor allem gering Qualifizierte?
Von den 147.000 Arbeitslosen in Sachsen haben rund 60.000 keine Berufsausbildung. „Berücksichtigt man zusätzlich die Menschen, die nur als Helfer arbeiten wollen oder können, weil sie zum Beispiel die Berufsausbildung zu lange her ist und Kenntnisse veraltet sind, liegt der Anteil der Arbeitslosen, die im Helferbereich vermittelt werden können, bei 53 Prozent“, sagt Agentur-Sprecher Frank Vollgold. Zwar sei der Anstieg der arbeitslosen Helfer um rund 10.000 in den vergangenen vier Jahren auch auf den Zuzug von Geflüchteten zurückzuführen. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Helfer schneller wieder arbeitslos werden, als dringend benötigte Fachkräfte – besonders in wirtschaftlich unsicheren Zeiten“, so Vollgold. „Arbeitgeber halten Fachkräfte oft möglichst lange im Betrieb.“
Lohnt sich bei 14,60 Euro Mindestlohn wegen des geringen Lohnabstands dann überhaupt noch eine Berufsausbildung?
„Bildung lohnt sich“, sagt Vollgold. „Fachkräfte mit einem Berufsabschluss und Akademiker sind deutlich seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne beruflichen Abschluss.“ So ist demnach 2024 etwa jeder fünfte Helfer in Sachsen arbeitslos gewesen. Bei den Fachkräften war es nur rund jeder Fünfundzwanzigste, bei den Spezialisten waren es sogar nur 2,9 und bei den Experten 2,7 Prozent. Die Betriebe suchen aktuell auch vor allem Fachkräfte: Von den 30.200 derzeit den sächsischen Arbeitsagenturen gemeldeten freien Jobs sind 85 Prozent für Fachkräfte.
Wie bewerten Gewerkschaften und Arbeitgeber den neuen Mindestlohn?
DGB-Vorstandsmitglied und Verhandlungsführer Stefan Körzell spricht von einem „errungenen Ergebnis“ und ruft in Erinnerung, dass manche Arbeitgeber am liebsten ganz auf eine Erhöhung verzichtet hätten. Die Gewerkschaftsseite habe immerhin ein Plus von insgesamt 13,9 Prozent durchgesetzt. Körzells Gegenpart der Arbeitgeber, Steffen Kampeter, sagt: „Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften funktioniert, auch wenn sie schmerzhafte Kompromisse für beide Seiten erfordert.“ Das sei „ein Signal gegen die Bevormundung und Einmischung“ der Politik in die Mindestlohnfindung.
Was ist mit Preisen, etwa in Friseursalons und bei Brötchen?
Insgesamt räumt auch Körzell ein, dass sich der Mindestlohn auf die Preise auswirken könne. Aber: „Wir sehen nicht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale.“ Kampeter warnt vor längerfristigen Lohn-Preis-Effekten. „Allein die jetzige Erhöhung ist für viele Betriebe nur schwer zu stemmen“, sagt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Auch die Chemnitzer Industrie- und Handelskammer (IHK) spricht von einem „Kraftakt“. „Insbesondere kleinere Betriebe, Zulieferer und konsumnahe Branchen - wie Gastronomie und Handel - werden durch die steigenden Lohnkosten weiter stark belastet“, so IHK-Chef Christoph Neuberg. (juerg/dpa)