Die Familienkolumne: der tote Sonntag
Mein sechsjähriges Kind wollte ein Foto von einer aufgebahrten Leiche sehen, und ich habe ihm eins gezeigt. Und das ist auch gut so.
Mittelsachsen.Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen. Wahrscheinlich im Kontext von „Wir backen erst nach dem Totensonntag Plätzchen.“ So kam das Wort an unseren Küchentisch. Und drehte offenbar in einigen Köpfen seine Runden, denn ein paar Tage später fragte der Mittlere (8): „Mama, was ist denn eigentlich ein toter Sonntag?“
Die Frage führt mich sofort in Gedankenschleifen. Was ist eigentlich ein toter Sonntag? Ist es einer dieser Tage, für die man sich so viel vorgenommen hatte, doch dann frühstückt man nur, räumt auf, telefoniert, liest ein bisschen den Kindern vor, und plötzlich ist der Tag rum? Ist das ein toter Sonntag? Oder ist es nicht vielmehr das Gegenteil: ein lebendiger Sonntag? Weil das Leben nun einmal nicht nur aus Arbeit und großen Unternehmungen besteht, sondern vor allem aus dem ganz normalen Alltag?
Ja, ich schweife ab. Der Mittlere hatte nach dem Totensonntag gefragt. Ich erklärte den Kindern also, dass es sich nicht um einen toten Tag handelt. Sondern um einen Tag, an dem man an die Toten denken sollte. Vielleicht führte ich sogar das Wort vom Ewigkeitssonntag im Mund - so nennen gläubige Christen diesen Tag.
Wieder ein paar Tage später, vor dem Einschlafen. Der Sechsjährige fragte, wie das ist, wenn ein Mensch stirbt. Wie der Mensch dann aussieht, welche Farbe die Haut hat, er wollte es genau wissen.
Viele Menschen setzen sich nicht mit dem Tod auseinander. Sie reden nicht darüber. Das hat diverse negative Folgen: Sie schreiben keine Patientenverfügung. Sie leisten Trauernden keinen Beistand, ziehen sich zurück, weil sie nicht damit umgehen können oder Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Sie benutzen Umschreibungen wie „Er ist friedlich eingeschlafen“ – Kinder hören das und bekommen Angst vor dem Einschlafen am Abend.
Sprache ist wichtig – ich versuchte also, es besser zu machen. Ich erklärte meinem Kind, dass ein Mensch nach dem Tod oft friedlich aussieht. Dass die Haut eine andere Farbe hat als bei einem lebendigen Menschen. Dass man die Augen des Verstorbenen schließt, seine Hände faltet und die Person zurechtmacht. Dass das etwas mit Würde zu tun hat.
Dann kam die Frage: „Kannst du mir ein Bild zeigen?“ Klar: Die Kinder sind es gewohnt, dass sich fast alle Fragen mithilfe eines Smartphones und einer gängigen Suchmaschine beantworten lassen. Doch es gibt ein Problem. Man findet tatsächlich sehr wenige brauchbare Bilder von aufgebahrten Leichen im Internet. Ich habe gesucht, doch ich stieß oft auf Symbolbilder von lebendigen Menschen, die für das Foto „aufgebahrt“ wurden. Ich persönlich finde das viel gruseliger als eine echte Leiche.
Schließlich zeigte ich meinem Sohn – den Papst. Benedikt XVI., aufgebahrt mit gefalteten Händen. Er sah friedlich aus. Man hatte einen Rosenkranz auf seine Hände gelegt. Auch das musste ich dann noch erklären. Aber das ist eine andere Geschichte. (eva)
Eva-Maria Hommel, Jahrgang 1984, ist Redakteurin bei der „Freien Presse“. Sie wollte schon immer drei Kinder, und so ist es auch gekommen. Das (Familien)Leben hält viele Überraschungen bereit - einige davon sind Thema dieser Kolumne.