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Mein Vater ist aggressiv

Im Alter können Menschen bösartig werden - Warum das so ist und wie Pflegende reagieren könnten

Leserin Evelin T. hat Probleme mit ihrem Vater. Er hatte durch einen Sturz ein Schädelhirntrauma erlitten. Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus und der Reha wird er in der Kurzzeitpflege betreut. "Er ist aggressiv und böse zu den Schwestern, zu mir als Tochter auch", sagt sie. Der Vater wolle aus dem Heim raus. Er habe eine Demenz, die sich durch den Sturz verschlimmert habe. Trotzdem soll er wieder nach Hause. Ähnlich wie Evelin T. geht es vielen Angehörigen.

Warum können Menschen im Alter aggressiv werden?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Aber häufig trifft es sehr aktive Menschen, die in ihrem Leben viel bewirkt und organisiert haben, die oft im Mittelpunkt standen. "Sie waren beispielsweise die Familienoberhäupter und als solche sehr selbstwirksam", erklärt Michel Hille, Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule Zittau/Görlitz. "Im Alter müssen sie dann erkennen, dass sie diese Rolle nicht mehr ausfüllen können und auf Hilfe angewiesen sind." In dem geschilderten Fall kommt hinzu, dass der Vater wegen der neuen räumlichen Situation orientierungslos ist. Außerdem bedeutete bereits das Trauma viel Stress für das Gehirn, sagt Mike Ohnesorge, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie von der Alzheimer Gesellschaft Dresden. Neue Medikamente könnten sich ebenfalls negativ auswirken.

Sind denn eher Männer oder Frauen betroffen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer im Alter aggressiv werden, ist höher als bei Frauen. Professor Hille erklärt das mit dem Rollenbild, das Männer in ihrem Leben oft ausfüllen mussten - als Familienoberhaupt, als Hauptverdiener oder als Chef. Aber das ist nur ein Grund. Zudem würden Männer in ihrem Leben zu wenig sozial investieren, sagt Hille. Sie seien häufig nicht in der Lage, über Ängste und Gefühle zu sprechen. "Frauen hingegen haben schon früh gelernt, sich zu vernetzen und Hilfe anzunehmen." Männer müssten manchmal selbst noch lernen, sich überhaupt berühren zu lassen.

Warum erschwert eine Demenz die Situation?

Bei einer Demenz lassen die jüngeren Erinnerungen langsam nach. "Der Vater kehrt in seinen Gedanken in sein Langzeitgedächtnis zurück und erinnert sich zunehmend an Erlebnisse aus seinen Kindheits- und Jugendtagen. Das können auch Erfahrungen sein, die der Vater bis heute nicht verarbeiten konnte", sagt Professor Hille. Dazu komme dann noch die zusätzliche Belastung in einer neuen Umgebung: "Daraus entsteht ein Gefühlschaos." Für die Tochter sei die Situation schwierig. Sie kenne ihren Vater in dieser Rolle nicht und wisse oft auch wenig über seine Kindheit.

Wie können Angehörige reagieren?

Gegenüber einer aggressiven Person ist es zunächst einmal wichtig, Ruhe zu bewahren und Gelassenheit auszustrahlen, sagt Psychiater Mike Ohnesorge. "Signalisieren Sie, dass Hilfe möglich ist. Für den Patienten ist sein Zustand meist höchst beängstigend." Das aggressive Verhalten des Vaters ist aus Sicht von Michel Hille als Flucht nach vorn zu verstehen. "Was zunächst hilft ist, das emotionale Chaos zu würdigen." Man müsse akzeptieren, wenn der Vater desorientiert sei. In keiner Weise sollte man mit Aggressivität reagieren und den Pflegebedürftigen zurechtweisen.

Wie stellen sich Heime auf aggressive Pflegebedürftige ein?

Zunächst kann es wichtig sein, möglichen Ursachen für Aggressionen auf den Grund zu gehen, sagt Gerrit Kober, Heimleiter des Pflegeheimes Haus Elisabeth in Freiberg. Meist handelt es sich um eine Mischung verschiedener Faktoren wie zum Beispiel eine Veränderung im sozialen Umfeld oder eine veränderte gesundheitliche oder familiäre Situation. Manchmal sei es aber auch erlerntes aggressives Verhalten, wenn sich pflegebedürftige Menschen beispielsweise stets mit ihrer Meinung im sozialen Umfeld durchgesetzt haben. "Dabei sind es in erster Linie die Familienangehörigen, die uns helfen können, mögliche Ursachen für aggressives Verhalten in der Biografie zu suchen", sagt Kober. In vielen Fällen braucht es Experten verschiedener Disziplinen wie den Hausarzt und Fachärzte wie zum Beispiel Nervenärzte. Manchmal ist eine vorübergehende klinische Aufnahme in die Geriatrie oder Psychiatrie sinnvoll, um die richtigen Medikamente einzustellen, damit die Situation erträglicher wird - für den betroffenen Menschen, seine Angehörigen, aber auch für das Pflegepersonal.

Wie kann man Aggressionen im Pflegealltag wirksam begegnen?

Für Pflegende ist es zunächst wichtig, in solchen Situationen nicht mit Gegendruck zu reagieren, sagt Gerrit Kober. In einem Team von Pflegekräften ist es einfacher, aus einer aggressiven Situation kurz rauszugehen, als es im privaten Haushalt möglich ist. Es gelte vor allem, Faktoren auszuschließen, die zu Aggressionen und Hilflosigkeit führen. "Das können auch Schmerzen sein. Demenzpatienten können oft nicht mehr äußern, dass es ihnen wehtut." Selbst eine ausreichende Flüssigkeitsversorgung könne die mentale und emotionale Verfassung des Pflegebedürftigen schon stark verbessern. Generell steht im Pflegealltag eine ressourcenorientierte Betreuung im Mittelpunkt, bei der versucht werde, nicht die Defizite zu betonen, so Kober weiter. "Es kann schon helfen, Situationen richtig zu deuten. So können beispielsweise Bewegungsangebote für motorisch unruhige Personen verbessernd wirken. Manchmal ist es ein bestimmter Besucher, nur zur falschen Tageszeit, auf den der Pflegebedürftige aggressiv reagiert."

Ist die Betreuung von aggressiven Pflegebedürftigen teurer?

Die Aggressivität ist kein Gradmesser für die Eingruppierung in einen Pflegegrad, erklärt Steffen Köcher, Geschäftsführer Seniorenheime Freiberg gGmbH. Aggressivität sei auch schwer messbar. Obwohl die Betreuung von aggressiven Menschen eindeutig mehr Ressourcen bindet, sei die Betreuung für Angehörige nicht teurer. Auch bei einer Unterbringung in einem Einzelzimmer, was für den Betroffenen nicht immer ein Vorteil sein müsse, entstehen keine höheren Kosten als bei Zweibettzimmern, so Köcher. In den kommunal-diakonischen Freiberger Pflegeheimen gebe es keine preislichen Unterschiede zwischen Doppel- und Einzelzimmern. Das kann in anderen Heimen ggf. anders sein.

Und wenn der aggressive Vater nach Hause kommt?

Der Betroffene braucht zeitliche und räumliche Verlässlichkeit und darf dabei sein Lebensumfeld nicht als über- oder unterfordernd wahrnehmen. "Zu Hause ist es hilfreich, das Umfeld mit biografischen Ankern auszustatten. Das können Bilder von früher, besondere Orden oder Pokale, Düfte oder die Bettdecke sein", sagt Michel Hille. Das führe nicht unbedingt zu weniger aggressivem Verhalten, aber zu einer besseren Frequenz zwischen dem Pflegendem und dem Pflegebedürftigen und damit zu einem besseren Zugang. Die Rückkehr nach Hause sollte aber unterstützt werden durch alltagsbegleitende bzw. Besuchsdienste. Und durchaus hilfreich kann es sein, den Betroffenen in bestimmten Zeitfenstern unter der Woche in einer Tageseinrichtung betreuen zu lassen. Wichtig ist nur, dass hier eine Ritualstruktur entsteht.

Besser mit Aggressionen umgehen

Bei der Validation versuchen Pflegende, die Emotionen des Demenzkranken zu erspüren und herauszufinden, was ihn antreibt. Mit kurzen Sätzen signalisieren sie ihm, dass sie seine Gefühle akzeptieren.

Vermeiden Sie Konfrontationen. Korrigieren Sie den Kranken nicht, auch wenn er etwas sagt, was nicht der Realität entspricht. Nehmen Sie zur Kenntnis, wenn er sich mit Freunden treffen will, die längst verstorben sind. Viele Menschen mit Demenz leben in der Vergangenheit.

Bleiben Sie gelassen und nehmen Sie Vorwürfe des Kranken nicht persönlich. Versuchen Sie herauszufinden, was die Aggressionen auslöst, um solche Situationen zu vermeiden.

Halten Sie aggressive Pflegebedürftige besser nicht fest; das kann sie noch wütender machen.

Quelle: AOK Bundesverband

Angebote von Krankenkassen

Jeder pflegende Angehörige hat einen Anspruch auf eine individuelle Fallbegleitung und Pflegeberatung durch seine Pflegekasse. In Kursen werden Inhalte zu Grundkenntnissen in der Pflege sowie Inhalte zu Krankheiten wie Demenz vermittelt.

Mit dem Entlastungsbetrag erstattet die Pflegekasse 125 Euro pro Monat für Unterstützung im Alltag. Der Betrag kann für Angebote zur Entlastung der Pflegenden genutzt werden.

Ist die Pflege vorübergehend zu Hause nicht möglich, trägt die Pflegekasse bei anerkannter Pflegebedürftigkeit die Pflegekosten für einen kurzzeitigen Aufenthalt in einer Pflegeeinrichtung. Fallen Pflegende für einen begrenzten Zeitraum aus, beispielsweise durch Urlaub, finanziert die Kasse unter Voraussetzungen eine Ersatzpflegekraft. Krankenkassen wie beispielsweise die AOK und die IKK classic finanzieren pflegenden Angehörigen Kuraufenthalte.

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