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Neuer Report zeigt: Tiere leiden heute in allen Haltungsformen

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Die Verbraucherorganisation Foodwatch-Report erklärt, warum Tierwohl-Label oft nicht Tierwohl bedeuten und wie sich die Zustände in den Ställen verbessern könnten.

Die Schweine werden in eine Gondel getrieben. Plötzlich ringen sie nach Luft und quiecken um ihr Leben. Denn das Kohlendioxid, mit dem sie betäubt werden sollen, verursacht auf den Schleimhäuten des Atemtrakts stechende Schmerzen. Bilder aus einem Schlachtbetrieb, den die Arte-Mediathek in der Serie "Wen dürfen wir essen?" zeigt. Öffentlich sieht man solche Bilder selten. Denn sie verderben den Appetit.

Jedes Jahr werden in Deutschland über 700 Millionen Tiere zur Fleischgewinnung geschlachtet. Zwar schreibt das Tierschutzgesetz vor, dass sie artgerecht zu halten sind und nicht leiden sollen. "Doch weil Nutztiere heute auf extreme Leistung gezüchtet werden, geht das zwangsläufig mit erheblichem Leid einher: mit einer übermäßigen Belastung ihres Organismus, mit schweren Gesundheitsproblemen und Verhaltenseinschränkungen." Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Uni Leipzig, die sich mit der Verfolgung von Tierschutzkriminalität befasst. Viele Formen der tierquälerischen Haltung seien sogar erlaubt, zumindest aber geduldet.

Auch in Sachsen leiden Tiere

Welche Dimensionen das Tierleid in Deutschland hat, zeigt ein am Mittwoch vorgestellter Report von Foodwatch. Die Verbraucherorganisation hat dafür tiermedizinische Studien ausgewertet. "Die Daten zeichnen ein erschütterndes Bild - in allen Haltungsstufen", sagt Autorin Annemarie Botzki. "Milchkühe leiden oft an schmerzhaften Euterentzündungen, weil ihnen jeden Tag bis zu 60 Liter Milch abgepumpt werden. Hühnern brechen die Knochen, weil die vielen Eier alles Kalzium aufbrauchen. Schweine haben Lungenentzündungen, offene Wunden, Abszesse." Mehr als 13 Millionen kranke und verletzte Schweine würden jedes Jahr verenden, bevor sie überhaupt den Schlachthof erreichen.

Auch in Sachsen leiden Nutztiere - "vorsätzlich oder fahrlässig", wie aus den Kontrollberichten der Veterinärämter hervorgeht. Bei den 2.500 Betriebskontrollen 2021 wurden fast in jedem vierten Betrieb Verstöße festgestellt, erklärt das Sächsische Sozialministerium auf SZ-Anfrage - darunter auch gravierende Delikte wie mangelnde Ernährung, Pflege und Sauberkeit, nicht verhaltensgerechte Unterbringung, zu wenig Bewegungsmöglichkeit oder mangelnde Versorgung kranker und verletzter Tiere. Oft ist das kein böser Wille der Landwirte. Der Druck, so kostengünstig wie möglich zu produzieren, ist so groß, dass kaum Spielraum für Verbesserungen bleibt.

Immer mehr Verbraucher wollen deshalb keine tierischen Produkte mehr essen - oder zumindest darauf achten, Lebensmittel von gut geschützten Tieren zu kaufen. "Doch Eier, Milch und Fleisch von kranken Tieren landen heute massenhaft im Supermarkt, ohne dass die Kunden das erkennen können", kritisiert Matthias Wolfschmidt, Mitautor des Reports.

Zwar gibt es inzwischen eine Vielzahl von Siegeln, die mehr Tierwohl versprechen. Aber verlässliche Informationen, wie gut oder schlecht es dem Tier gegangen ist, würden sie nicht liefern, so Wolfschmidt: "Der Handel nährt mit seinem freiwillig eingeführten Label für vier Haltungsformen eine große Illusion: Hätten die Tiere nur etwas mehr Platz, Einstreu oder Auslauf und würden alle etwas mehr fürs Fleisch bezahlen, ginge es den Tieren automatisch gesundheitlich besser. Doch wissenschaftliche Studien belegen, dass es Produktionskrankheiten und Verletzungen in Tierfabriken genau so wie in größeren Höfen und kleinen Bio-Betrieben gibt." Ob Hühner, Schweine oder Kühe gesund seien, hänge vor allem vom Stallmanagement ab. Bislang fehle es aber an gesetzlichen Vorgaben, dass Tierhalter ihre Tiere auch gesund halten müssen. Für sie lohne es sich oft nicht, mehr in die Prävention von Krankheiten zu investieren.

Die Bundesregierung verspricht im Koalitionsvertrag mehr Tiergesundheit. Doch die von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) geplante staatliche Haltungskennzeichnung wird nach Meinung von Foodwatch am Leid in den Ställen wenig ändern. Denn ob und wie viele Tiere Schmerzen und Schäden erleiden, werde auch dabei nicht erfasst. "Stufe 1 bildet nur den geltenden Mindeststandard ab", sagt Botzki. "Stufe 2 und 3 führen lediglich zu kosmetischen Verbesserungen."
Foodwatch beklagt zudem, dass das amtliche Kontrollsystem versagt. Tierschutz würde zu selten kontrolliert. Tierquälerei habe meist keine juristischen Folgen. Wie häufig Betriebe in Sachsen überprüft werden, lässt sich laut Sozialministerium nicht pauschal sagen. "Je größer das Risiko, desto öfter", sagt Referentin Theresa Schmotz. "Bei Mängeln trifft das Veterinäramt Anordnungen und führt Nachkontrollen durch." Zudem würden Bußgelder verhängt. In einigen Fällen wurden 2020/21 Verstöße zu Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Schmotz: "2021 wurden uns keine strafrechtlichen Konsequenzen gemeldet." Für 2022 gebe es noch keine auswertbaren Daten.

Strafrechts-Professorin Hoven sieht im Tierschutzrecht ein "Vollzugsdefizit". "Die zurückhaltende Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft ist auch Folge eines grundsätzlich problematischen Umgangs mit den Tieren", erklärt sie in ihrer Studie. "Gesellschaft, Justiz und Politik akzeptieren sehenden Auges eine tierquälerische Behandlung, die das Strafrecht eigentlich sanktionieren soll."

"Dabei geht es nicht allein um Massentierhaltung", sagt Johanna Hahn, Ko-Autorin der Studie. Amtstierärzte könnten ihre Arbeit nicht immer frei ausüben, weil sie dem Kreis oder der Stadt unterstehen, für die die Nutztier-Betriebe Arbeitsplätze und Steuern bedeuten.

Strategie für Tiergesundheit

Foodwatch fordert deshalb eine umfassende Strategie für mehr Tiergesundheit. Daten über Krankheiten, Verletzungen, den Einsatz von Tierarznei sowie Mortalitätsraten sollen systematisch erfasst werden. "Auf dieser Basis müssen gesetzliche Zielvorgaben für die Tiergesundheit vorgeschrieben und ein überbetrieblicher Gesundheitsindex eingeführt werden", sagt Annemarie Botzki. "Damit kann dann verglichen werden: Welche Betriebe schneiden gut ab, welche nicht?" Letztere müssten beraten und bei wiederholt schlechten Ergebnissen mit Konsequenzen rechnen wie die Kürzung von Agrarsubventionen. Für Landwirte, die gut abschneiden, solle es dagegen Belohnungsanreize geben wie höhere Preise von Molkereien und Schlachthöfen. Verbraucher sollen ein bis zwei Mal im Jahr informiert werden, wie Betriebe beim Tierschutz abschneiden und welche behördlichen Maßnahmen es gab.

Die Ampel-Koalition plant, tier- und umweltgerechte Neu- und Umbauten sowie laufende Mehrkosten einer besseren Haltung bis 2026 mit vorerst einer Milliarde Euro zu bezuschussen. Doch erste Eckpunkte für Schweinehalter stoßen auf heftigen Protest. Bauernpräsident Joachim Rukwied bekennt sich zwar zu mehr Tierwohl. "Obergrenzen von bis zu 3.000 verkauften Mastschweinen pro Jahr schließen aber den Großteil der Betriebe aus", kritisiert er. Der Druck auf die Landwirte wachse weiter. Angesichts der Inflation würden viele Supermarktkunden zu den billigsten Produkten greifen. Der Verband der Fleischwirtschaft sieht in den Plänen der Bundesregierung gar die Zukunft der Fleischproduktion in Deutschland gefährdet. Insofern dürfte es spannend werden auf der Branchenmesse Grüne Woche, die am Freitag in Berlin beginnt. Wie der Wandel in den Ställen erreicht werden kann, wird dort eines der großen Themen sein.

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