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Reise
Armenien: Im Land der Steine und Klöster

In den Fels gehauene Sakralbauten, Kulturerbe aus dem Erdofen: Das Land östlich der abgeschotteten Grenze zur Türkei hat vom Tourismus kaum entdeckte Highlights zu bieten - geologisch wie kulturell.

Jerewan.

Senkrecht steigen sie im Talgrund hundert Meter und höher gen Himmel: Massen aus Basaltsäulen, neben- und übereinander, wie zusammengeklebt, wie gigantische Ensembles aus Orgelpfeifen. Wer darunter steht und den Kopf nach oben reckt, kommt sich verloren vor.

"Symphonie der Steine" heißt das geologische Phänomen in der Schlucht von Garni. Die Kunstwerke der Natur sind beispielhaft für das Land im Kaukasus, das sich mit "versteckten Wundern" vermarktet. Es lockt mit Bergen, Klöstern, Ruinenstätten, Weingärten – und ist nirgendwo überlaufen.

Das Tor nach Armenien ist Jerewan. Die Hauptstadt bewegt sich in einem Spagat zwischen Alt und Avantgarde, zwischen nüchterner Sowjetarchitektur und hippen Designerbars. Das andere Armenien beginnt hinter der Stadtgrenze.

Geologische Besonderheit: die "Symphonie der Steine" genannten Basaltsäulen in der Schlucht von Garni.
Geologische Besonderheit: die "Symphonie der Steine" genannten Basaltsäulen in der Schlucht von Garni. Bild: Andreas Drouve/dpa-tmn

Dann rumpelt man über Flickenteppiche aus Asphalt, durch zerfurchte Berglandschaften, fruchtbare Täler. An der Straße verkaufen herzliche Menschen ihre Mini-Ernten aus Körben und Kartons. Äpfel, Tomaten, Wassermelonen, Kartoffeln.

Man braucht jeden Dram. Die Einkommen sind niedrig. Der Monatslohn eines Lehrers entspricht einer Nacht in einem Luxushotel in Jerewan. So erscheint erklärbar, dass außerhalb Armeniens mehr Armenier leben als in dem Drei-Millionen-Staat selbst.

"Das älteste christliche Land der Welt"

Armenien besticht durch eine Vielzahl sakraler Zeugnisse. "Wir haben 70.000 Kreuzsteine, 3.000 Klöster und Kirchen. Wir sind das älteste christliche Land der Welt", unterstreicht Führer Aramayis Mnatsakanyan, der ein akzentfreies Deutsch spricht. Die Anhänger der armenisch-apostolischen Kirche beziffert der 42-Jährige auf über 90 Prozent. Das Christentum wurde bereits im Jahre 301 Staatsreligion.

Unter den Klöstern bietet das im Südosten von Jerewan gelegene Khor Virap das berühmteste Fotomotiv – mit den Kulissen des heiligen Berges Ararat im Hintergrund, wo die Arche Noah nach der Sintflut gestrandet sein soll. Der Fünftausender liegt allerdings in der Türkei und damit "auf der falschen Seite", so Guide Mnatsakanyan, der an die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren erinnert.

Sakralbau vor der Kulisse des heiligen Berges: das Kloster Khor Virap mit dem Ararat im Hintergrund.
Sakralbau vor der Kulisse des heiligen Berges: das Kloster Khor Virap mit dem Ararat im Hintergrund. Bild: Andreas Drouve/dpa-tmn

Die Grenze ist hermetisch abgeriegelt, der nahe Bergriese unerreichbar. Was löst der Anblick unter seinen Landsleuten aus? "Bei einigen ist das mit Schmerz oder gar Hass verbunden, weil die Familie Wurzeln in West-Armenien hatte, was heute Ost-Anatolien ist", antwortet Mnatsakanyan und berichtet von seiner eigenen Familiengeschichte: "Mein Urgroßvater konnte nur drei seiner sechs Kinder retten." Die anderen seien den Massakern - die der Deutsche Bundestag 2016 in einem Beschluss als Völkermord eingestuft hat - zum Opfer gefallen.

Konzert in der Felsenhalle

Ein anderes Kloster ist Haghartsin, eingebettet ins Grün des Nordens, getarnt in Felsenlandschaften liegen Noravank im Süden und Geghard im Zentrum. Geghard zählt zum Welterbe der Unesco, die Kirchenwände sind geschwärzt vom Ruß der Kerzen, teils sind die Räume in den Berg gehauen.

Sehenswert: Im Kloster Geghard sind die Räume teilweise in den Fels gehauen.
Sehenswert: Im Kloster Geghard sind die Räume teilweise in den Fels gehauen. Bild: Andreas Drouve/dpa-tmn

Wer Glück hat, erlebt in einer Felsenhalle ein kleines Konzert des A-Capella-Quintetts Garni. Die Profis um Sopranistin Nelly Kalashyan und Mezzosopranistin Manush Harutyunyan bringen Armeniens altspirituelle Musik zu Gehör. Die 32-jährige Kalashyan sagt: "Der Platz hier ist unglaublich. Es ist sehr emotional, da bekomme ich jedes Mal Gänsehaut." Die 40-jährige Harutyunyan singt auch regelmäßig in der Kathedrale von Etschmiadsin, die in einen weitläufigen Sakralbezirk gefasst ist.

Das Kulturerbe setzt sich mit dem hellenistischen Tempel von Garni, der Ruinenstätte Zvartnots aus dem 7. Jahrhundert und der winzigen Altstadt des Luftkurortes Dilidschan fort. Auf der Halbinsel Sewan verzahnen sich Natur und Kultur: mit dem Sewansee, den man "Blaue Perle Armeniens" nennt, und dem Kloster Sewanawank, zu dem 240 Treppenstufen hinaufführen.

Kulturerbe aus dem Erdofen

Beim Aufstieg passiert man Stände mit Gemälden, Devotionalien, Nippes. Der erste Tourist ist man auch hier nicht. Ein Steinkreuz im Klosterkomplex zeigt den sogenannten mongolischen Christus mit mandelförmigen Augen und Zöpfen bis hinab zu den Füßen. "Er hat lange Haare, weil er seine Lebenskraft am Kreuz nicht verloren hat", interpretiert Führer Mnatsakanyan die Absicht des Künstlers. 

Das Christentum, aber auch Armeniens Gastronomie spiegelt den Charakter des Landes und seiner Menschen wider. Die einfachen Leute brauchen seit jeher günstige Sättigung. In einem Küchenhaus in Tsaghkunk demonstrieren Gohar Gareginyan und Anna Yesayan die Herstellung des Fladenbrots Lavash. Es kommt in den Erdofen, hat es auf die Liste des immateriellen Welterbes der Unesco geschafft und wird portionsweise gerne mit Käse und Frischkräutern gefüllt. 

Kulturerbe aus dem Erdofen: Gohar Gareginyan (l) und Anna Yesayan mit einem frisch gebackenen Fladenbrot.
Kulturerbe aus dem Erdofen: Gohar Gareginyan (l) und Anna Yesayan mit einem frisch gebackenen Fladenbrot. Bild: Andreas Drouve/dpa-tmn

Gehaltvoll ist auch das, was Zara Karapetyan in ihrem "Tasty Guest House" westlich von Jerewan auftischt: vom Süßbrot bis zur armenischen Pasta. Ihr Ziel ist es, Traditionen wiederzubeleben und fortzuführen. Eine professionelle Ausbildung hat die 51-jährige Karapetyan nicht absolviert, die Kochkunst von ihrer Mutter und Großmutter gelernt. Ursprünglich war sie Philologin. Das passt zum Überraschungspaket Armenien.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Armenien liegt in der Kaukasusregion zwischen der Türkei und Aserbaidschan. Die Größe von 29.743 Quadratkilometern entspricht etwa der von Brandenburg.

Reisezeit: Am besten im Frühjahr und Herbst; die Sommer sind sehr heiß, die Winter kalt.

Anreise: Direktflüge aus Frankfurt am Main und Wien in die Hauptstadt Jerewan. 

Einreise: Es genügt der Reisepass, ein Visum ist nicht erforderlich.

Unterkunft: Hotels in Jerewan sind auf modernem, internationalem Niveau. Auf dem Land findet man Resorts, Pensionen, Privatquartiere (über Airbnb) und Campingplätze.

Touren/Aktivitäten: Alternativlos, um auch entlegene Winkel zu entdecken, ist ein Leihwagen. Einstellen muss man sich auf Straßen in schlechtem Zustand, die offensive Fahrweise der Einheimischen und viel Verkehr in Jerewan. In der Hauptstadt nimmt man besser die Metro.

Währung: Armenischer Dram; 1 Euro entspricht 412 Dram (Stand: 20.02.2025). Geldtausch in Wechselstuben. Nicht überall lässt sich mit Kreditkarte bezahlen. Man braucht einen kleinen Vorrat an Bargeld, etwa für Toilettengebühren und Einkäufe an Straßenständen.

Weitere Auskünfte: armenia.travel/de (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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