Aue. Etliche Nordost-Fußballclubs fordern die Abschaffung von Kollektivstrafen für den Einsatz von Pyrotechnik, darunter der FC Erzgebirge Aue und dessen Fanszene „Erzbrigade Wismut Aue“. Über den Vorstoß hat die „Freie Presse“ mit Vorstandsmitglied Jörg Püschmann gesprochen, der seit bereits zwei Jahrzehnten in der Auer Fanszene aktiv ist.
Freie Presse: Guten Tag, Jörg Püschmann! Verbandsstrafen sorgen bei den Vereinen und Fanszenen bereits seit einer gefühlten Ewigkeit für Ärger: Was war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?
Jörg Püschmann: Es gab nicht diesen einen Aufhänger oder einen auslösenden Moment. Die Unzufriedenheit mit Kollektivstrafen gab es schon lange, jeder Verein machte das lange genug zunächst mit sich aus. Irgendwann gab es die Einsicht, dass eine gemeinsame Vorgehensweise sinnvoller erscheint und nicht mehr jeder für sich agiert. Das Ausmaß der Bestrafungen wird immer drastischer und die Vorfälle immer weniger sicherheitsrelevant. Augenscheinlich wird aus einer „Erziehungsmaßnahme“ eine Gelddruckmaschine.
Freie Presse: Wie ist es zu der Kooperation der Vereine und Fanszenen gekommen? Wer war der Initiator?
Jörg Püschmann: Gespräche innerhalb der Fanszenen gibt es schon seit Jahrzehnten, der Austausch fand immer statt und die Interessenlage war stets ähnlich. Carl Zeiss Jena hat dann vor mehr als einem Jahr den Anstoß gegeben und stieß schnell auf offene Ohren. Neu ist, dass sich diesmal dutzende Vereinsvertreter von Vorständen über Aufsichtsräte bis Geschäftsführer angeschlossen haben.
Freie Presse: Bei den (Ultra-)Fanszenen gilt der Einsatz von Pyrotechnik als ein Gestaltungsmittel, als ein Gegenstand einer Choreografie. Im gemeinsamen Schreiben der beteiligten Clubs wird konkret die Bestrafung „nicht missbräuchlich verwendeter Pyrotechnik“ kritisiert. Was hat es damit auf sich?
Jörg Püschmann: Vereinfacht gesagt: Pyrotechnik, die sich nicht gegen Leib und Leben richtet. Raketen in Nachbarblöcke zu schießen oder aktives, vorsätzliches Eingreifen ins Spielgeschehen muss weiterhin verboten bleiben. Aber um ein Beispiel aus unserem Verein zu nennen: Die Weihnachtschoreo 2023, die wunderschön war und laut DFB mit Pyrotechnik untermalt wurde – einfach weil Lichter zum Fest und ins Erzgebirge sowieso gehören –, wurde mit mehr als 30.000 Euro Strafe sanktioniert. Ein Unding. Um das klarzustellen: Die verwendete sogenannte Pyrotechnik könnte ein 12-jähriges Kind kaufen und in einem geschlossenen Raum verwenden – es wäre erlaubt! Für so etwas aber zahlen die Vereine fünfstellig. Gewaltprävention und Sicherheit reichen als Begründung nicht aus. Die Begründung ist deshalb ganz lapidar: Es steht so in der Verfahrensordnung, also wird es bestraft. Genau dies muss verändert werden.


Freie Presse: Welche Lösungsvorschläge schweben den Vereinen und Fanszenen vor?
Jörg Püschmann: Die Antwort gibt die Überschrift des Positionspapieres: Verbandsstrafen abschaffen. Es geht um Differenzierung und darum, nicht alles über einen Kamm zu scheren unter Hinzuziehung des Strafenkataloges. Die Lösung ist einfach, schnell umsetzbar und für alle Beteiligten der sauberste Weg.
Freie Presse: Welche Rolle könnten Pyrozonen im Stadion oder die Verwendung kalter Pyrotechnik spielen?
Jörg Püschmann: Das ist sehr individuell. Aber jeder Mehrfachbesucher im Stadion und vor allem jeder Fan weiß, wo in der Regel „gezündelt“ wird. Das ist weder ein Geheimnis noch irgendwie überraschend. Auf der Pressetribüne sind Sie sicher (schmunzelt). Aber Spaß beiseite: Das Thema kalte Pyrotechnik zeigt das wahre Interesse der Verbände auf. Sicherlich mag es einer Minderheit um die Sicherheit und Gesundheit gehen, aber das Beispiel Dänemark zeigt deutlich auf, um was es geht.


Freie Presse: Wie sollen denn die Verbände oder auch die Polizei überzeugt werden, um Pyrotechnik in Stadien zu erlauben?
Jörg Püschmann: Gar nicht. Es geht nicht um Verständnis oder Erlaubnis, sondern um Verbandsautonomie und damit einhergehend um Strafmaße. Da braucht es keine Zustimmung der Polizei oder Politik. Ganz im Gegenteil: Laut Grundgesetz darf nicht einmal interveniert werden.
Freie Presse: Wo liegen Gefahren respektive Risiken? Beispielsweise durch das Zünden von Böllern und Raketen? Wie soll der Einsatz dieser Mittel verhindert werden?
Jörg Püschmann: Gibt es das aktuell denn nicht? Ganz im Gegenteil! Der aktuelle Strafenkatalog ist nun mehrere Jahre in Kraft und sollte eine abschreckende Wirkung haben. Der Fußball in Deutschland muss konstatieren: Es hat nicht funktioniert, die erhoffte Wirkung blieb aus. Das Resümee lautet überall: Die Androhung von Strafen verhindert nicht den Einsatz von Pyrotechnik. Das Ziel wurde also verfehlt. Nun geht es darum, andere Wege zu finden.
Freie Presse: Wie hat man die erste öffentliche Reaktion des NOFV vom Freitag, dem 31. Januar, aufgenommen?
Jörg Püschmann: Diskussionsbedarf gab es immer und natürlich auch nach der Veröffentlichung der neuesten Positionierung. Wichtig sind aber nicht wohlklingende Worte oder Beschwichtigungen, sondern Taten. Wir brauchen handfeste Neuregelungen und das Einsehen, dass die aktuelle Vorgehensweise bei Verbandsstrafen der Sache nicht gerecht wird.
„Verbandsstrafen abschaffen!“ – Das Positionspapier
Im Positionspapier nennen Vereine und Fans sechs konkrete Gründe für die Forderung, Verbandsstrafen abzuschaffen. Ein Kritikpunkt: Die Verbände würden ein zunehmendes Sicherheitsempfinden beim Einsatz von Pyrotechnik und ausbleibende Verletztenzahlen ignorieren.
Verhärtete Fronten, die erneut im Positionspapier sichtbar werden, gibt es schon seit vielen Jahren – und das nicht erst seit 2011, als der DFB Gespräche mit den Fans um eine mögliche Legalisierung von Pyrotechnik platzen ließ.
Im Interview mit Jörg Püschmann ist auch vom „Beispiel Dänemark“ die Rede. Der dänische Erstligist Bröndby IF testete in der Vergangenheit das Abbrennen von „kalter“ Pyrotechnik. Trotz positiver Testergebnisse aber hielt der Verband das Verbot bis heute aufrecht.
Anders Norwegen: Die Skandinavier waren 2024 das erste Land, welches das Abfackeln in Fußballstadien erlaubte. „Wir halten es für vernünftig, es zu versuchen“, hieß es damals. Ein Vorbild für Deutschland?