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Am Wochenende startet die neue Biathlon-Saison.
Am Wochenende startet die neue Biathlon-Saison. Bild: Hendrik Schmidt/dpa
Wintersport

"Nicht fair" und "skandalös": Regel-Zoff vor Biathlon-Start

Künstliche Spannung zuungunsten der besten Athletinnen und Athleten? Vor dem Start in den WM-Winter im Biathlon ist der Frust groß. Der Grund ist eine umstrittene Regel.

Kontiolahti.

Noch nie waren der Ärger über eine Regeländerung und die Angst vor ungleichem Wettbewerb bei Biathletinnen und Biathleten aller Länder so groß wie vor dem Start der neuen Saison. "Am Ende spielt es wieder keine Rolle, was wir Athleten denken", sagte die italienische Gesamtweltcupsiegerin Lisa Vittozzi. Frankreichs zweimaliger Olympiasieger Quentin Fillon Maillet urteilte bei Eurosport: "Wir werden Bedingungen haben, die nicht fair sein werden, außer in Ausnahmefällen."

Die Stars der Szene fürchten vor dem Auftakt des Winters am Wochenende im finnischen Kontiolahti durch eine Reform der Startgruppen-Regelung sportliche Nachteile, der Weltverband IBU erhofft sich durch die Maßnahme hingegen mehr Spannung, vor allem für Millionen Fernsehzuschauer. Die Idee: Wenn die Top-Athleten erst später im Wettbewerb starten, bleiben die TV-Fans länger beim Rennen dabei, um ihre Lieblinge zu sehen. Mehr TV-Zeit bringt wohl bessere Vermarktungsmöglichkeiten - und vielleicht mehr Geld.

"Ich weiß, dass ein Großteil der Biathleten dagegen ist"

Bislang wählten die Top 15 im Gesamtweltcup meist die erste Startgruppe aus, um dort die besten Bedingungen auf der frisch präparierten Strecke zu haben. Das dürfen sie nun nicht mehr, sondern starten erst auf den Positionen 45 bis 75, in der dritten Gruppe. Damit wird quasi künstlich Spannung erzeugt, gerade bei schlechter werdenden Streckenverhältnissen könnten die Besten der Gesamtwertung einen Nachteil haben. Bislang waren die Rennen schon oft schnell entschieden, weil gegen Ende mehrheitlich nur noch die Schwächsten antraten. Auch die Möglichkeiten zum Warmlaufen für die Besten werden nun schwerer.

Auch der Deutsche Johannes Kühn verhandelte mit dem Weltverband zu der neuen Startregel.
Auch der Deutsche Johannes Kühn verhandelte mit dem Weltverband zu der neuen Startregel. Bild: Hendrik Schmidt/dpa

Durchgesetzt wurde die Reform von der IBU - gegen viele Bedenken der Sportlerinnen und Sportler. Entsprechend drastisch waren die Wortmeldungen in den vergangenen Monaten. "Ich weiß, dass ein Großteil der Biathleten dagegen ist", sagte Athletensprecher Sebastian Samuelsson aus Schweden: "Das ist natürlich frustrierend." Frankreichs Teamchef Stéphane Bouthiaux wurde im "Nordic Magazine" noch deutlicher: "Wir sind komplett gegen dieses neue Startgruppen-System, das total unlogisch ist." Es wirke so, "als ob sie entschieden hätten, die Besten mit einem Ballast zu belegen, um das Level aller Athleten auszugleichen. Ich finde das komplett skandalös".

Weltverband: Angst ist unbegründet

Doch was sagt die IBU zu den Vorwürfen? Zunächst sei das neue System im November und Dezember vier Wettkampfwochen lang als Test deklariert, sagte Mediendirektor Christian Winkler der Deutschen Presse-Agentur. In der kommenden Woche finden ab Dienstag die ersten Einzel-Wettbewerbe statt. Die Angst vor unfairem Wettbewerb sei unbegründet, denn es wurden auch Ausnahmen beschlossen. Bei außergewöhnlichen Wettersituationen, die zu extremen Streckenbedingungen führen, wird durch die Entscheidung der Wettkampfjury ein alternatives System angewendet, sagte Winkler. Dann könnten die Top 15 der aktuellen Gesamtwertung wie in der Vergangenheit zu Beginn des Wettbewerbs starten.

"Die IBU hat volles Verständnis dafür, dass sich die Ansichten der Athleten und die eines Weltverbandes, der für die längerfristige Zukunftsfähigkeit des Sports Sorge trägt, bei Regeländerungen unterscheiden können", sagte Winkler. Die IBU sei zuversichtlich, "ein Startgruppen-System einzuführen, das noch bessere Biathlon-Wettkämpfe garantiert - mit fesselnden Wettkämpfen bis zum Schluss und somit noch größerer Spannung für die Fans zuhause und in den Stadien." Zugleich würden faire Bedingungen sichergestellt werden.

Superstar Bö befürchtet Verlust von Fans

Ende Dezember solle bewertet werden, ob sich das neue System bewiesen hat. Wenn das nicht klappt, "dann wird man miteinander sprechen und eine andere Lösung finden", sagte Winkler im Podcast "Extrarunde" über einen möglichen Ausweg. Der Versuch sei "ja keine Willkür, sondern wir haben etwas identifiziert, wo wir auch in Richtung Zukunft und Gewohnheiten einer jüngeren Generation einfach interessanter werden wollen".

Superstar Johannes Thingnes Bö aus Norwegen glaubt nicht, dass dieser Plan in den Kerndisziplinen Sprint und Einzel aufgeht. "Es wird das Gegenteil passieren. Wenn die Menschen zum Biathlon schalten und keinen der Besten sehen, werden sie wieder umschalten, und wir werden Zuschauer verlieren", sagte der fünfmalige Olympiasieger dem Sender TV2: "Niemand will ein Rennen 40 Minuten lang schauen, bevor die Top-Athleten schießen. Diesen Aspekt haben wir gegenüber der IBU auch betont."

Johannes Thingnes Bö ist skeptisch, dass die Regeländerungen den gewünschten Erfolg bringen.
Johannes Thingnes Bö ist skeptisch, dass die Regeländerungen den gewünschten Erfolg bringen. Bild: Hendrik Schmidt/dpa

Und nicht nur ihn ärgert, dass diese Bedenken nicht gehört wurden. Auch der Deutsche Johannes Kühn, Mitglied im Athletenkomitee, berichtete: "Wir haben ziemlich lang und ziemlich oft Meetings mit der IBU gehabt. Am Ende haben wir aber eigentlich gar nichts bewirkt. Wir haben einen Haufen Zeit verschwendet." Es sei "sehr schade", dass die IBU zu keinem Kompromiss bereit gewesen sei. "Wir haben viele gute Vorschläge gemacht", sagte Kühn. Die Haltung des Weltverbandes erzürnte auch Frankreichs Boss Bouthiaux: "Ich bin sauer auf die IBU und hoffe, dass es das letzte Mal ist, dass sie eine schlechte Entscheidung treffen." (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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