"Wie von Geisterhand verschwand Volksvermögen"
Wer diesen Herbst 1989 miterlebt hat, wird ihn niemals vergessen. Nicht die hitzigen Fluchtwellen über Osteuropa und die gespannte Ruhe im Land. Nicht die Gründung der Oppositionsgruppen, die Knüppelorgien der Polizei in Berlin und Dresden. Und erst recht nicht den 9.Oktober 1989, an dem der Unterdrückungsapparat kapitulierte, als ungeahnte Menschenmassen durch die Leipziger Innenstadt zogen, "Neues Forum" riefen, "Gorbi" und "Die Mauer muss weg!" Auch ich habe den Herbst 1989 miterlebt, in großer Spannung - allerdings auf der West-Seite der Mauer. Denn ich war bereits seit anderthalb Jahren ausgebürgert. Ich durfte die DDR nicht betreten, war nun aber fasziniert, wie der Koloss wankte: Honecker trat zurück, und Anfang November beichtete sein Nachfolger Egon Krenz den Moskowitern die Wirtschaftslage der DDR und deren tatsächlichen Schuldenberg. Markus Wolf, KGB-Meisterschüler, versuchte der DDR-müden Bevölkerung auf der Berliner Großdemo am 4.November 1989 den Reformkommunismus schmackhaft zu machen - doch was schallte ihm entgegen? "Stasi in die Produktion!" Es war unbeschreiblich. Und dann folgte jene Nacht, in der ein zermürbter Grenzoffizier die Weisung gab "Wir fluten jetzt!"... Eine Nacht, von der noch heute jeder sagen kann, was er oder sie gerade gemacht haben, als die Mauer "fiel"...Schon am nächsten Tag stauten sich Auto-und Menschenschlangen an den Grenzübergängen - ich fand mich plötzlich unter Ostlern wieder, denn ich wohnte zwischen Heinrich-Heine-Straße und Checkpoint Charlie, im sogenannten Zonenrandgebiet.Am 10. November 1989 schrieb ich in mein Tagebuch: " Die Hektik der historischen Stunde - stammelnde Politiker, Verkehrschaos, Sondersitzungen.... Mitschüler meiner Tochter aus Ost-Berlin stehen plötzlich vor der Tür, mussten nicht mal ihren Ausweis zeigen, sind einfach durch. Die Wiedervereinigung findet im Kinderzimmer statt... Anrufe aus aller Welt. Meine Freunde in Kanada weinen, sie sehen in ihrem TV, wie Leute auf der Berliner Mauer tanzen..."Doch bald schon trübte sich meine Stimmung ein. Ich sah, wie rasch die für 40 Jahre DDR-Ruin verantwortlichen Genossen wieder Tritt fassten: Die obersten Funktionäre wurden öffentlichkeitswirksam abgesetzt, der Rest formierte sich neu. Die Staatssicherheit benannte sich nach außen um und festigte nach innen ihr mafiotisches Netzwerk. Und während sich Runde Tische bildeten, verschwand wie von Geisterhand gesteuert Volksvermögen im Ausland, wurden Immobilien auf zuverlässige Parteigänger übertragen. Um den Jahreswechsel 1989/90 eilte das Gerücht durchs Land, in der Staatsbank der DDR liefen die Maschinen heiß, ein Insider-Kartell bediene sich dort.Griff denn hier niemand ein?Nachdem im Frühjahr 1990 ein großer Teil des Volkseigentums in den eilig gegründeten GmbH der Genossen verschwunden war, ahnte ich, was im vereinten Deutschland auf uns zukommt. Und schon entdeckte ich an einigen Grenzhäuschen die ersten großen Tafeln, auf denen stand "Im Mai richtig wählen: SED-PDS!" Zur PersonDie 1950 in Dresden geborene Freya Klier war bis 1984 in Theatern und Fernsehen der DDR tätig. 1985 erhielt sie wegen ihre Aktivitäten für die Friedensbewegung Berufsverbot. Trotzdem setzte sie sich weiter öffentlich für Reformen ein. 1988 wurde Klier von der Stasi verhaftet und in die BRD abgeschoben.Bisher erschienene BeiträgeWendegeschichte 11 von Jana HenselWendegeschichte 8 von Annett GröschnerWendegeschichte 7 von Hans-Joachim MaazWendegeschichte 5 von Josef HaslingerWendegeschichte 4 von Joachim WaltherWendegeschichte 3 von Christiane NeudeckerWendegeschichte 2 von Clemens MeyerWendegeschichte 1 von Kerstin HenselDer Auftakt-Beitrag zur Serie