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Stadtbaudirektor von Karl-Marx-Stadt: "Viele Parteifunktionäre waren regelrecht geschockt"

Der ehemalige Stadtbaudirektor von Karl-Marx-Stadt erlebte mit, wie der Künstler Lew Kerbel um seinen Marx-Kopf rang.

Chemnitz.

Karl Joachim Beuchel war zu DDR-Zeiten langjähriger Stadtbaudirektor in Karl-Marx-Stadt. In dieser Funktion war er auch für die städtebauliche Einordnung des Karl-Marx-Monuments in den Wiederaufbau des Stadtzentrums verantwortlich. Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag der Einweihung des Denkmales sprach Udo Lindner mit dem Zeitzeugen über das Monument.

Freie Presse: Wenn es nach dem Politbüro der SED gegangen wäre, stünde Karl Marx heute als elf Meter hoher Ganzkörper-Mensch vor der Stadthalle und würde auf einen großen, leeren Granitplatz schauen. Warum ist es anders gekommen?

Karl-Joachim Beuchel: Weil sich der Bildhauer Lew Kerbel erfolgreich gegen diesen Plan gewehrt hat und die Funktionäre seinerzeit eines Besseren belehren konnte.

Freie Presse: Welche Vorstellungen hatten denn die Funktionäre?

Karl-Joachim Beuchel: Im Jahre 1959 beschloss das Politbüro einen Plan, wie das Zentrum von Karl-Marx-Stadt zur sozialistischen Musterstadt umgebaut werden sollte. Der Plan sah unter anderem auf dem Platz der jetzigen Stadthalle ein gewaltiges Haus der Kultur und Wissenschaft vor. Davor sollte ein riesiger leerer Platz entstehen. Teil dieses Platzes war ein Monument in Form eines stehenden Karl Marx und einer ständigen Tribüne vor dem Haus der Kultur und Wissenschaft. Dies ergab städtebaulich aber keinen Sinn. Als Mitte der 1960er-Jahre entschieden wurde, anstelle des Hauses der Kultur und Wissenschaft ein Hotel mit Stadthalle zu bauen und anstelle des Granitplatzes einen Park anzulegen, musste auch für das Marx-Denkmal ein neuer Standort gefunden werden. Als wir eine Attrappe der elf Meter hohen überlebensgroßen Standfigur vor dem heutigen Rawema-Haus platzierten, war klar, dass das nicht funktioniert. Der Betrachter befand sich in Höhe der Schuhe von Marx - und den Kopf des Denkers nahm er als kleine Kugel wahr.

Freie Presse: Wie hat der seinerzeit schon international bekannte Künstler Lew Kerbel auf dieses Hin und Her und die Unentschlossenheit seiner Auftraggeber reagiert?

Karl-Joachim Beuchel: Er hat diesen Prozess sehr intensiv und couragiert begleitet. Er wollte die beste Lösung finden, die auch seinem Verständnis von Marx entsprach. Der Durchbruch gelang ihm Anfang 1968. Die Form eines Kopfes hatte er gewählt, weil es der beste Ausdruck für diesen Genius der Menschheit ist, wie er es selbst sagte.

Freie Presse: Die Reaktionen auf seinen neuen Entwurf sollen aber alles andere als euphorisch gewesen sein?

Karl-Joachim Beuchel: Das stimmt. Vor allem viele Parteifunktionäre waren seinerzeit regelrecht geschockt. "Ein Kopf auf dem Schafott" war die heftigste Kritik. Der schlossen sich auch viele Künstler an. Da spielte aber sicher ihre Enttäuschung hinein, dass der Auftrag für das Monument nicht - wie ursprünglich einmal vorgesehen - über einen Wettbewerb entschieden wurde, sondern von Walter Ulbricht direkt an Kerbel vergeben worden war. Auf jeden Fall bereitete der Marx-Kopf damals vielen Entscheidern Kopfzerbrechen.

Freie Presse: Und wie löste sich dieser Konflikt schließlich auf?

Karl-Joachim Beuchel: Im Februar 1968 fand eine große Problemdiskussion statt. An der nahmen Vertreter der Akademie der Künste der DDR und hochrangige Parteifunktionäre teil. Am Ende gab es schon eine deutliche Tendenz hin zum Kopf, doch allein wollte man das in Karl-Marx-Stadt nicht entscheiden. Also wurde das Politbüro noch einmal gefragt. Schließlich schaffte es Lew Kerbel selbst, den damaligen Parteichef Walter Ulbricht zu überzeugen. Er sagte zu ihm: Karl Marx ist ein Deutscher, seine Ausstrahlung ist weltumspannend, aus seinem Gesicht müssen seine Ideen und ihre Verwirklichung ablesbar sein...".

Freie Presse: Wie haben die Karl-Marx-Städter auf den überdimensionalen Kopf reagiert?

Karl-Joachim Beuchel: In die Entscheidung waren sie seinerzeit nicht eingebunden. Deshalb kannten auch nur die allerwenigsten die Vorgeschichte. Die meisten Bürger haben den Kopf wohl weniger ideologisch, sondern eher als Kunstwerk empfunden. Auf jeden Fall war es schon damals das meistfotografierte Objekt der Stadt.

Freie Presse: Ist Kerbel mit diesem Auftrag eigentlich reich geworden?

Karl-Joachim Beuchel: Soweit ich mich erinnere, erhielt er für die mehrjährige Arbeit 100.000 DDR-Mark Honorar. Insgesamt hat das Monument 1,5 Millionen gekostet. Zum Vergleich: ein Elfgeschosser mit acht Eingängen kostete rund 900.000 DDR-Mark.

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