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Wissenschaft

"Eine nächste Pandemie kann komplett anders aussehen"

Die Virologin Sandra Ciesek und Jürgen Graf von der Frankfurter Uniklinik über die Lehren aus der Corona-Pandemie - und die Frage, wie gut wir für die Zukunft aufgestellt sind.

Frankfurt/Main.

Vor fünf Jahren begann die Corona-Pandemie. Ende Februar 2020 wurde das damals neue Virus erstmals in Deutschland bei einem Mann aus Hessen diagnostiziert. Fünf Jahre später ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Im Redaktionsgespräch der Deutschen Presse-Agentur blicken die Virologin Sandra Ciesek und der Ärztliche Direktor des Frankfurter Universitätsklinikums, Jürgen Graf, zurück - und nach vorn. 

Ciesek war eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die Kontakt mit Infizierten hatte. Später wurde die Virologin als Podcast-Partnerin von Christian Drosten bundesweit bekannt. Graf leitete den Planungsstab für die stationäre Versorgung der Covid-Patienten in Hessen. Die Wissenschaft und die Krankenhäuser haben viel gelernt, sagen beide. Dass bei der nächsten Pandemie alles glattläuft, glauben sie aber nicht.

Ein Anruf morgens um vier

Den Moment, an dem sie wusste, dass die Pandemie unausweichlich ist, kann Ciesek auf die Stunde genau bestimmen: Es war der Morgen des 2. Februar 2020. Am 1. Februar war ein Flugzeug mit Evakuierten aus Wuhan auf dem Frankfurter Flughafen gelandet. 

In der Nacht wurden ihre Rachenabstriche untersucht. "Morgens um vier rief das Labor mich an, dass zwei Menschen positiv sind", erinnert sich Ciesek. Das Unerwartete daran war, dass sie keine Symptome hatten. "In dem Moment war mir klar, dass sich das nicht eindämmen lässt." 

Kritische Momente und Fehler

Der kritischste Moment der Pandemie war für Graf der Herbst 2020, "als wir nicht in der Lage waren, die Bewohner von Alteneinrichtungen hinreichend zu schützen". Auch Ciesek hält diese Phase rückblickend für die kritischste, auch für die Allgemeinbevölkerung. Vielen Menschen sei damals nicht bewusst gewesen, dass eine zweite Welle kommt.

Die Frage nach den größten Fehlern während der Pandemie beantworten beide abwägend. "Ich nehme allen ab, dass sie sich viele Gedanken dazu gemacht haben und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen wollten, dass sie tatsächlich das Richtige machen wollten", sagt Graf. "Aber die Informationen kamen in einer Geschwindigkeit, dass die von keinem alleine aufzunehmen und zu durchdringen waren."

Ciesek sieht rückblickend vor allem die globale Verteilung von Impfstoffen kritisch. "Das lief nicht gut. In Westeuropa war die dritte Impfung geplant, bevor in Afrika die erste erfolgt war. Das ist etwas, wovon ich mir wirklich wünschen würde, dass das zukünftig anders läuft. Eine Pandemie ist weltweit."

Was wir gelernt haben

Aus Sicht der Virologie und in Bezug auf die Krankenstrukturen habe die Pandemie durchaus Positives hervorgebracht, sagen beide. Man habe bessere Testmöglichkeiten entwickelt, Wissenschaftler weltweit arbeiteten heute in Netzwerken enger zusammen, sagt Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. 

Kliniken seien für außergewöhnliche Situationen inzwischen "organisatorisch erheblich besser aufgestellt", sagt Graf. Es gebe Krisenszenarien für alle möglichen Fälle. "Früher hatten wir den Krankenhaus-Einsatzplan bei Massenanfall von Verletzten, also einen Flugzeugabsturz, und das war es." Heute gebe es "eine größere Bandbreite", etwa Einsatzpläne für Blackouts, Cyberattacken oder Militärinterventionen. 

Die nächste Pandemie kann ganz anders sein

Dass wir nach Corona eine neue Pandemie besser bewältigen, davon ist Ciesek nicht unbedingt überzeugt: "Sie können das nicht so planen. Ein nächster Erreger, eine nächste Pandemie kann komplett anders aussehen." Wenn der Erreger andere Eigenschaften habe, zum Beispiel nur eine bestimmte Personengruppe betreffe, "dann müssten Sie im Notfall komplett andere Maßnahmen ergreifen. Und das können wir nicht vorhersagen."

Nachdem die Bevölkerung durch Impfung und Infektionen eine weitgehende Grundimmunität gegenüber dem Coronavirus aufgebaut hat, nimmt die Virologie andere Erreger ins Visier. "Dazu gehören Flaviviren wie das Dengue-Virus, das West-Nil-Virus, aber auch Zika- und Gelbfieber-Viren", erklärt Ciesek. "Durch die globale Erwärmung steigt das Risiko, dass solche Viren hier heimisch werden und dann auch hier zu Infektionen führen können." (dpa)

© Copyright dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
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