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Soziologin im Interview: Der Schlüssel zu mehr Gleichstellung in jungen Familien

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Als Vater um 17 Uhr von der Arbeit nach Hause gehen und sagen: „Okay, ihr könnt mich mal.“ - Genau das empfiehlt Soziologin Svenja Pfahl im Interview über Care-Arbeit und Chancengleichheit.

Freie Presse: Frau Pfahl, noch immer ist die Sorgearbeit im Haushalt ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt. Wie schauen Sie als Wissenschaftlerin auf solche Zahlen?

Svenja Pfahl: Wenn es um Fairness geht, das machen wir zum Beispiel auf dem Gender-Datenportal, schaue ich die Gesamtarbeitszeit von Menschen an, bezahlte sowie unbezahlte Arbeit. Wenn sich diese stark unterscheidet, also wenn der eine Part sehr viel arbeitet und der andere sehr wenig, dann empfinde ich das als unfair. Meistens betrifft das leider Frauen, die dann zusammengenommen eine höhere Gesamtarbeitszeit haben als Männer.

FP: Wann entstehen diese Ungleichheiten?

Pfahl: Wenn ich mich als Frau beim ersten Kind entscheide, einen Weg einzuschlagen, bei dem ich voll auf den Mann und seine berufliche Entwicklung setze, dann bleibe ich meist lange zu Hause und mache den Haushalt. Vielleicht arbeiten beide trotzdem acht Stunden am Tag, er auf Arbeit und sie daheim. Jedoch wird der Einstieg in die Karriere für die Frau danach umso schwieriger, weil man zum Beispiel Weiterbildungen oder Aufstiegsmöglichkeiten verpasst, die der Mann wiederum nutzt. In meiner Forschung wurde klar, dass sich dieser Pfad mit der zweiten Geburt weiter verstetigt. Der Mann ist in der Karriere vorangekommen, also wird er weiterhin dort anknüpfen, während die Frau beim nächsten Kind wieder daheimbleibt, denn sie hat einen gewissen Anschluss an die Berufswelt schon verloren. Mit jeder weiteren Geburt wird es dann für das Paar schwerer, noch mal Gleichheit herzustellen.

Welche Rolle das Elterngeld spielt

FP: Also möglichst beim ersten Kind auf Gleichstellung achten?

Pfahl: Ja, selbst nach einer längeren Teilzeitphase ist es bereits schwer in eine Spitzenposition zu kommen. Zunächst muss man wieder in Vollzeit arbeiten. Schon das ist eine Hürde. Wenn man sich vor der ersten Geburt nicht gemeinsam fragt, wie die Partnerschaft in zehn Jahren aussehen soll, hat man am Ende Männer, die deutlich höhere Renten beziehen. So ist es besonders in westdeutschen Bundesländern.

FP: Hilft das Elterngeld dabei Chancengleichheit herzustellen?

Pfahl: Das Elterngeld hat seit jeher drei Ziele: Mütter sollen eher ins Erwerbsleben zurückkommen, um Chancengleichheit herzustellen, Väter sollen sich mehr an der Care-Arbeit beteiligen und die Familie soll insgesamt einen geschützten Zeitraum nach der Geburt haben. Diese Ziele wurden größtenteils erreicht. Nach unseren aktuellen Erhebungen beteiligen sich jetzt 44 Prozent der Männer an der Nutzung des Elterngeldes. Das ist ein Erfolg. Trotz dessen sind wir noch weit entfernt von einer vollen Beteiligung der Männer. Dazu kommt, dass nach wie vor die Mehrheit der Frauen zwölf Elterngeldmonate in Anspruch nimmt und Männer, wenn sie zu den 44 Prozent gehören, im Normalfall nur zwei Monate. Das fällt zulasten der Chancengleichheit.

FP: Woran liegt das?

Pfahl: In Interviews mit jungen Familien hören wir immer wieder von Umweltfaktoren, die da reinspielen. Wo lebt man und was denkt man? Wie reagiert der Bekannten- und Freundeskreis, die Nachbarn und die erweitere Familie darauf, wenn man sich als Mann mehr als zwei Monate ausschließlich um seine Kinder kümmern möchte. Zudem hängt es mit den Betrieben zusammen, bei denen man beschäftigt ist. Uns ist aufgefallen, dass zwei Monate zum Normalfall für die Elterngeldnutzung von Vätern geworden ist. Wenn ein Mann im Betrieb einen Antrag einreicht, dann geht der Chef von zwei Monaten aus. Das ist auf der einen Seite positiv, da es grundsätzlich leichter ist, die Elterngeldmonate zu bekommen. Auf der anderen Seite wird es für den Mann schwierig, weitere Zeit darüber hinaus zu erhalten. Einige glauben zudem irrtümlicherweise, dass man als Vater gar nicht mehr als zwei Monate beantragen könne.

Vater-sein als Bereicherung begreifen

FP: Welche Vorteile hätte es, wenn Frauen und Männer beide sieben Elterngeldmonate nehmen würden?

Pfahl: In erster Linie profitieren die Kinder davon beide Eltern als gleichwertige Bezugspersonen kennenzulernen. Das fanden wir in einer Forschung für das Bundesfamilienministerium heraus. Man legt einen Grundstein, wenn man direkt nach der Geburt für ein Kind da ist. Wenn man allein mit dem Kind zuhause ist, entstehen intensivere Beziehungen. Darüber hinaus sehen auch viele Männer eine größere finanzielle Sicherheit darin, sich mit der Partnerin Erwerbsarbeit und Kinder partnerschaftlich aufzuteilen. Wenn man weiß, dass notfalls beide in der Lage sind, die Familie zu ernähren, ist dies für die Familie doch die sicherste Lösung.

FP: Ist die Identität als Vater nicht auch darüber hinaus eine Bereicherung?

Pfahl: Absolut. Arbeit bringt nicht nur Freude. In jedem Arbeitsleben kommen auch mal Phasen, wo der Kollege befördert wird und nicht ich. Die Projekte laufen nicht und die Beliebtheit im Unternehmen sinkt. Da ist es schön, wenn man auch außerhalb des Jobs Erfüllung, zum Beispiel in der Rolle als liebevoller Vater, finden kann. Dann kann man sagen: „Okay, ihr könnt mich mal, ich gehe um 17:00 Uhr und unternehme etwas Schönes mit meinem Kind.“ Lebensbereiche zu haben, die sich ausbalancieren, ist für Männer wie Frauen gut.

Stress durch Mental Load

FP: Die Statistik einer Krankenkasse hat gezeigt, dass es seit der letzten Erhebung 2019 einen Zuwachs um 20 Prozent von überforderten und gestressten Eltern gibt. 70 Prozent gaben an, sich ausgebrannt zu fühlen. Als Gründe nannten sie neben Umweltfaktoren wie der politischen Lage und Preissteigerungen auch Haushaltsaufgaben. Wie hängt das zusammen? Wird das Privatleben stressiger?

Pfahl: Ich glaube, man schreibt Stress schneller dem privaten Lebensbereich und insbesondere den Haushaltsaufgaben zu, obwohl es der Gesamtkonstellation geschuldet ist. Ich sehe die Gründe eher im Beruf. Die zunehmende Verdichtung in der Arbeitswelt sehe ich in den Daten schon ab den 1970er-Jahren. Durch höhere Anforderungen bei gleichzeitig weniger Beschäftigten wird einer einzelnen Person im Beruf mehr abverlangt. Blickt man auf den Fachkräftemangel, hält der Trend bis heute an. Das spiegeln auch Krankenkassen, die psychische Belastungen meist eher in der Erwerbsarbeit verorten und weniger im Privaten. Mit Kindern hat man viel zu managen, das macht auch Stress: Verein, Schule, Hort, Kita, Ferienzeit und Großeltern müssen wie ein Uhrwerk ineinandergreifen, damit das Leben mit Kindern neben dem Beruf organisierbar bleibt. Darüber hinaus ist es eine Geldfrage, das zu finanzieren. Die Schule hat früher vieles mitgetragen. Heute organisieren Eltern Klassenfahrten, Feste und Ausrüstungen, obendrein fällt der Unterricht wegen des Lehrermangels aus. Eine Pandemie oder eine schwierige politische Lage kann dann schnell das Fass zum Überlaufen bringen.

FP: Wie können Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung auch fernab des Elterngeldes besser aufgeteilt werden?

Pfahl: Schaut man sich Paare an, bei denen die Frau höher qualifiziert ist und dadurch mehr Geld verdient als der Mann, dann dreht sich das Verhältnis mehr oder weniger automatisch um. Dadurch, dass die Mutter mehr Zeit auf Arbeit verbringt, ist sie im Haushalt abwesend. Somit muss der Mann zuhause Aufgaben übernehmen und macht es dann wohlwollend. Dafür sollte es mehr gesellschaftliche Anerkennung geben. Meine Erfahrung aus Forschungen ist zudem, dass Männer, die zum Beispiel während des Studiums in Wohngemeinschaften lebten, auch später mehr im Haushalt helfen. Kulturelle Veränderungen sind dementsprechend wichtig. Es ist wichtig, sich über Männer, die Fürsorge für andere übernehmen, positiv zu äußern, sie im Betrieb sichtbar zu machen, ihre Leistung zu würdigen. Und das nicht lächerlich zu machen.

FP: Gibt es einen Unterschied in der Fürsorge zwischen Familien in den neuen und den alten Bundesländern?

Pfahl: Im Osten sind Frauen durchschnittlich 34 Stunden in der Woche erwerbstätig, im Westen hingegen nur 30 Stunden. Dort ist für Mütter noch immer das Teilzeitmodell vorherrschend. Seit der Wiedervereinigung gleicht sich die Arbeitszeitdauer von Frauen in Ost und West jedoch. Frauen mussten in der DDR in Vollzeit arbeiten und übernahmen gleichzeitig zu Hause die meiste Arbeit. Zum Beispiel haben wir für Brandenburg feststellen können, dass der Gesundheitszustand von Frauen zwischen 30 und 65 Jahren schlechter ist als der von Männern. Das ist erschreckend. Man sieht: die Doppelbelastung in Vollzeitarbeit und bei ungleicher Aufteilung der Haushaltsaufgaben hinterlässt Spuren gerade bei den Frauen. (jopa)


Zur Person: Svenja Pfahl

Die Diplom-Soziologin arbeitet am Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer in Berlin und ist Expertin für Fürsorgearbeit in Familien, Arbeitszeit und Elterngeld. Sie arbeitete an mehreren Studien für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung und ist Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin. (jopa)

Dieser Text ist Teil einer Beitragsreihe. Die Volontäre der „Freien Presse“ haben in einem Projektmonat rund um das Thema „Arbeitsteilung in jungen Familien“ recherchiert. Die Familienporträts, Experten-Interviews, eine Datenanalyse, ein Quiz und die Sicht der jungen Reporter auf das Thema sind auf der Übersichtsseite zu finden. Die Arbeit der Volontäre könnt Ihr auch auf Instagram und Twitter verfolgen.

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