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Waschbär breitet sich aus: Heimische Tierarten bedroht

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Seit zwei Waschbärpaare vor 90 Jahren in Nordhessen ausgesetzt wurden, haben sich die Tiere bundesweit enorm ausgebreitet. Experten zufolge sind sie eine Bedrohung für die Vielfalt heimischer Arten.

Kassel/Frankfurt/Berlin.

Nachts klappern die Mülleimerdeckel, am nächsten Morgen liegt der Unrat rundherum verteilt auf der Straße. Auf der Suche nach Nahrung sind Waschbären nicht gerade rücksichtsvoll und wählerisch, dafür aber umso geschickter und anpassungsfähiger.

Bei der massiven Verbreitung der Tiere in Deutschland ist das inzwischen ein Problem. Denn die Allesfresser mit der charakteristischen Zorro-Maske stören nicht nur die Nachtruhe in Wohngebieten, sondern bedrohen Experten zufolge auch den Bestand manch heimischer Tierart.

"Waschbären fressen immer das, von dem am meisten da ist", sagt der Wildtierbiologe Norbert Peter von der Universität in Frankfurt. Er untersucht mit anderen Experten im Rahmen des Verbundprojektes Zowiac (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren)  das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten. Im Frühjahr etwa seien das Amphibien, die auf dem Weg zu ihren Laichgründen seien, um dort ihre Eier abzulegen. Der Waschbär wähle sie als Nahrungsressource ganz gezielt aus. "Das kann Auswirkungen haben auf bedrohte Arten." 

Schätzungsweise zwei Millionen Waschbären in Deutschland

Laut Peter bringt es der dämmerungs- und nachtaktive Waschbär mittlerweile auf schätzungsweise zwei Millionen Exemplare bundesweit, Tendenz steigend. Als das für die Verbreitung des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Raubtiers in Europa wichtigste Ereignis gilt die Aussetzung zweier Waschbärpaare am 12. April 1934 am nordhessischen Edersee. Auch flohen 1945 nach einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg auf eine Pelztierfarm bei Strausberg in Brandenburg einige Tiere. Ohne natürliche Feinde konnten sie sich seither nahezu ungehindert verbreiten. Seit 2016 werden sie auf der sogenannten Unionsliste geführt, die invasive Arten in der EU enthält. 

"Waschbären sind inzwischen in fast ganz Deutschland anzutreffen", sagt Torsten Reinwald, Pressesprecher und stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbands (DJV). Besonders verbreitet seien die Tiere in Nordhessen, Südniedersachsen und Brandenburg. Sie seien in fast allen Bundesländern unter Beachtung des Muttertierschutzes ganzjährig jagdbar. So wurden laut DJV-Statistik im Jagdjahr 2022/23 bundesweit offiziell 202 821 Waschbären getötet, in der Saison 2000/01 waren es noch 9064.

Die zur Familie der Kleinbären zählenden Tiere seien ausgesprochen anpassungsfähig und intelligent und könnten sehr gut klettern und schwimmen, erklärt Reinwald. "So können sie sehr viele ökologische Nischen besetzen und anderen Arten den Lebensraum streitig machen oder sie fressen." In Thüringen beispielsweise besetzten Waschbären inzwischen die Hälfte aller potenziellen Nistplätze für Uhus und würden die Vögel vertreiben. In Brandenburg weise eine Vielzahl der streng geschützten Europäischen Sumpfschildkröten Verstümmelungen auf. "Die Waschbären fressen ihre Gliedmaßen und plündern ihre Gelege." Sie patrouillierten auch an Krötenschutzzäunen und verzehrten die Amphibien aus den Eimern. 

Giftige Haut von Kröten wird abgeschält

Um das Jagdverhalten der Waschbären genauer zu beleuchten, haben Wildtierbiologe Peter und sein Team Daten in Naturschutzgebieten in Hessen sowie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt gesammelt. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass Waschbären auch Fressfeinde (Prädatoren) von streng geschützten Erdkröten, Gelbbauchunken und deren Laich sind. Deren giftige Haut hält sie dabei nicht ab. "Die Waschbären häuten sie, bevor sie sie fressen. Das zeigen viele Opfer-Funde", berichtet Peter. 

Vor allem in isolierten Laichgewässern hätten Waschbären negative Auswirkungen auf das Amphibienvorkommen. "Wir sehen einen Prädationsdruck auf geschützte Amphibien und Reptilien in bestimmten Gebieten, der für diese Arten teilweise bestandsbedrohend ist", sagt Peter. In Mageninhalten der Waschbären fanden die Forscher nach seinen Angaben häufig Reste von Ringelnattern. Durch genetische Nachweise habe im Untersuchungsgebiet Rheingau-Taunus-Kreis auch ein während der Eiablage gefressenes Exemplar der stark gefährdeten Äskulapnatter identifiziert werden können.

"Der Waschbär ist ein niedliches und knuddeliges Tierchen, aber man darf nicht vergessen, dass er ein Beutegreifer ist", sagt Julian Heiermann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Viele Amphibienarten hätten ohnehin schon massive Probleme bei der Reproduktion, etwa durch die Ausbringung von Pestiziden und Dünger, die Zerschneidung der Lebensräume durch Verkehrswege sowie durch den fortschreitenden Klimawandel und die damit einhergehenden Dürren bei denen Laichgewässer wiederholt austrockneten. "Und dann kommt ein Prädator wie der Waschbär noch obendrauf."

Jagd als wirksames Mittel umstritten 

Wie also umgehen mit den possierlichen Plagegeistern? "Los werden wir den Waschbären nicht mehr", sagt Reinwald. "Aber mit der Jagd können wir die Bestände schon stark reduzieren. Es gibt keine effektivere Maßnahme."  Unabdingbar sei dabei die Fangjagd, die aber beispielsweise in Berlin nicht erlaubt sei. "Fast 40 Prozent der Tiere werden in Lebendfallen gefangen." Die Politik müsse sich zur Jagd als Artenschutz-Instrument bekennen, fordert er.

Der Nabu sieht die Bejagung oder den Fang des Waschbären hingegen kritisch. Eine verstärkte Fallenjagd sei kein probates Mittel, um das Problem zu lindern, sagt Heiermann. "Theoretisch wäre es möglich die Population damit einzudämmen. Praktisch ist das zu aufwendig. So viele Fallen kann man gar nicht aufstellen, um die Waschbärenpopulation großflächig zurückzudrängen." Zudem seien entsprechende Maßnahmen auch in der Vergangenheit ohne Erfolg geblieben: "Der Waschbär wird schon ewig bejagt, trotzdem hat er sich munter weiterverbreitet." Auch Sterilisation und Kastration der Tiere seien keine Lösung, ebenso wenig die medikamentöse Verhütung. "Das sind nette Ideen, aber sie sind zu aufwendig, um praxistauglich zu sein."

Eine Musterlösung habe auch der Nabu nicht. "Die Frage ist aus unserer Sicht, wie wir den heimischen Populationen unter die Arme greifen können. Dazu müssen wir ihren Lebensraum stärken. Dann können sie sich wieder besser reproduzieren und Ausfälle besser kompensieren." Die Tiere brauchten geschützte und vielseitige Lebensräume, um sich ernähren, verstecken und fortpflanzen zu können. "Amphibien beispielsweise brauchen mehr Gewässer und mehr natürliche Uferzonen mit Versteckmöglichkeiten. Der Waschbär wird sie trotzdem aufsuchen, aber er wird es dann nicht mehr so leicht haben, sie abzugreifen." (dpa)

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