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181.000 Euro für zwei Autobahnschilder: Ist das Wucher?

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Es gibt sie zu Hunderten an den Autobahnen: braune Schilder, die in Sachsen etwa auf die „Stadt der Moderne“, die „Stadt der Spitze“, die „Vogtland-Arena“ oder die „Berg- und Adam-Ries-Stadt“ hinweisen. Zwei derartige Tafeln sollen jetzt in Sachsen-Anhalt erneut werden - und fast so viel wie ein Einfamilienhaus kosten. Ein Einzelfall?

Chemnitz/Sangerhausen.

Sangerhausen in Sachsen-Anhalt ist bekannt für seine 80.000 blühenden Rosensträucher im „Europa-Rosarium“. Die zwei Schilder an der A 34, die für diesen weltweit größten Rosenpark werben, sind jedoch verblichen. Deshalb will die Autobahn GmbH des Bundes sie erneuern - und hat der Stadt einen „vorläufigen“ Kostenvoranschlag dafür geschickt: 90.500 Euro will sie dafür haben - pro Tafel.

Oberbürgermeister Sven Strauß (SPD) war geschockt. „Das ist für mich völlig indiskutabel, weil für 181.000 Euro kann ich zehn Spielplätze erneuern, ich kann meine gesamte Feuerwehr mit Einsatzkleidung ausrüsten – da gibt es sehr viele Möglichkeiten und Notwendigkeiten, wo man das Geld einsetzen könnte“, sagte der 50-Jährige kürzlich in einem RTL-Beitrag. Und dem MDR erklärte er: „Uns würde es sogar genügen, wenn wir als Stadt die Erlaubnis bekommen, einfach eine neue Folie aufzubringen. Dann wäre es wieder lesbar.“ Für wenige 100 Euro wäre das durchaus hinzubekommen.

Neue Norm zwingt zum Austausch der Schilder

Doch dem steht die Autobahn GmbH im Wege. Deren Gründung 2021 brachte nämlich auch neue Regelungen für die Hinweisschilder mit sich. Bisher sind diese Tafeln zwei mal drei Meter groß. Nun sind es nach einer neuen Norm aber 2,40 mal 3,60 Meter - und das gilt offenbar auch für den Fall der Erneuerung eines Schildes wie in Sangerhausen. Der Oberbürgermeister kann nur vermuten. Eine detaillierte Kostenaufstellung hat er noch nicht gesehen. Es soll aber wohl geplant sein, die Schilder komplett mitsamt dem Fundament herauszureißen und durch völlig neue zu ersetzen, so Strauß. Obwohl das gar nicht nötig sei.

Preise schießen durch die Decke

Medienberichten zufolge sind inzwischen auch anderen Kommunen hohe Kostenvoranschläge der Autobahn GmbH ins Haus geflattert. Bei Straubing in Bayern soll demnach ein neues Schild 40.000 Euro kosten, am Bodensee 35.000, bei Bonn 28.000. Die Preise gehen zwar weit auseinander, aber überall schießen sie durch die Decke. So hatten die beiden Straubinger Schilder 2001 noch umgerechnet rund 6000 Euro gekostet. Damals war aber auch noch die Autobahndirektion Südbayern zuständig, die als Behörde keine Kosten für Verwaltung oder Verkehrssicherung berechnet hat. Oder die Autobahnmeisterei hat die Absperrung in Eigenregie erledigt. Heute darf die Autobahn GmbH diese Leistungen nicht mehr übernehmen. Sie muss die tatsächlich entstandenen Kosten in vollem Umfang weiterreichen.

Aufträge werden ausgeschrieben

Mehr als 3500 touristische Unterrichtungstafeln stehen entlang der bundesdeutschen Autobahnen, auch in Sachsen sind es Dutzende. Viele davon kommen jetzt in die Jahre, müssen irgendwann ausgetauscht werden. Die Aufträge für die Tafeln schreibt die Autobahn GmbH aus. Am Ende erhält eines der bundesweit knapp 20 privaten Unternehmen, die die Schilder herstellen und oft auch aufbauen, den Auftrag. Doch muss das so teuer sein?

So rechnet das Stollberger Schilderwerk Beutha

Die „Freie Presse“ hat bei Tom Kieß nachgefragt. Er ist Geschäftsführer des Schilderwerks Beutha im erzgebirgischen Stollberg, hat rund 4000 Kunden bundesweit. Er kennt die genauen Hintergründe in Sangerhausen nicht, glaubt aber, dass unglücklich kommuniziert worden sei. Mit einkalkuliert worden seien nämlich bei diesem Voranschlag neben den Montage- wahrscheinlich auch schon die Demontagekosten, die Mäharbeiten und die Instandhaltungskosten für die nächsten 15 Jahre, sagt Kieß. „Auch die Verwaltungsgebühren gab es früher nicht.“ Allein für die können schon mal mehr als 4000 Euro in Rechnung gestellt werden, wie der MDR in einem anderen Fall recherchiert hat.

Verkehrsabsicherung ist verschärft worden

Kieß rechnet weiter vor: „Die Verkehrsabsicherung ist sehr viel teurer geworden in den vergangen Jahren, weil so viele Unfälle passiert sind.“ Mittlerweile müssten oft zwei Fahrstreifen gesperrt und durch große Fahrzeuge im Vorfeld gesichert werden bei solchen Arbeiten. Oft müsse auch ein Kran eingesetzt werden. „7000 bis 10.000 Euro das Material, dann bin je nachdem, wie aufwändig die Absperrung sein muss, inklusive Demontage bei 15.000 bis 25.000 Euro pro Standort.“ Derartige Summen kommen jetzt auch auf Sachsen Kommunen zu, die an den Autobahnen mit den Hinweistafeln für sich werben.

Plauen verzichtet auf Schild

Erste Kommunen verzichten bereits auf die braunen Tafeln - aus Kostengründen. So hat die Stadt Plauen davon erst einmal Abstand genommen, ihr neues Spitzen- und Textilmuseum in der Elsteraue an der A 72 zu bewerben. Die Tafel für die „Fabrik der Fäden“ hätte 30.000 Euro pro Stück verschlungen. Und auch der Straubinger Stadtrat hat nun einstimmig beschlossen, die Mittel für eine Erneuerung der Zoo-Schilder an der A 3 nicht bereitzustellen. Allerdings will die Autobahn GmbH dann trotzdem 10.000 bis 12.000 Euro für den Abbau in Rechnung stellen.

Der Oberbürgermeister von Sangerhausen hatte indes schon im vergangenen Sommer an das Bundesverkehrsministerium geschrieben. Er wollte wissen, ob das denn wirklich so teuer sein müsse. Erst jetzt antwortete das Ministerium und teilte mit, dass die Leistung neu ausgeschrieben werde - und zwar sogar europaweit. Ob es jetzt günstiger wird? „Das wissen wir nicht“, sagt eine Sprecherin der Stadt Sangerhausen auf Anfrage der „Freien Presse“. „Es könnte ja im schlechtesten Fall jetzt sogar noch teurer werden.“ (juerg)

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