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Leises Plädoyer für Menschlichkeit in Zwickau

Mit der Wiederaufführung der Performance „The Arriver – Die Stadt ist nicht ...“ machen Künstler im öffentlichen Raum auf Flucht, Migration und die Suche nach Heimat aufmerksam.

Zwickau.

Samstagvormittag in Zwickau. Eine Frau geht über den Marienplatz. Ganz in Schwarz gekleidet, die Augen verbunden. Sie trägt mehrere alte Koffer von hier nach da und wieder zurück. Als ob sie auf der Suche wäre nach einem Ort, an dem sie mit ihrer Last ankommen könnte. Eine Fremde offensichtlich. Geflohen? Woher? Wohin? Warum? Manchmal öffnet die Frau einen der Koffer. Blättert in Briefen, die sich darin befinden, ein Stück ihrer Vergangenheit. Klappt die Koffer wieder zu, trägt sie weiter. Kommt nicht an.

Zweite Aufführung an unterschiedlichen Orten

Zum zweiten Mal nach 2013 wurde am Samstag die Performance "The arriver - die Stadt ist nicht ..." aufgeführt. In verschiedenen Gegenden in Zwickau, zum Teil in der Nähe von Gewerbe-, Freizeit- und Kampftrainingsorten der extremen Rechten in der Stadt. Die meisten Passanten, unterwegs zu letzten Ostereinkäufen oder zu einem Café an dem fast sommerlichen Tag, reagieren auf den Ankömmling, den Arriver. Interaktion findet kaum statt. Oberbürgermeisterin Constance Arndt kommt vorbei, wohl eher zufällig, grüßt freundlich. Ein Mann aber geht auf die Frau mit den verbundenen Augen zu.

Angeregt hat die Wiederauflage der Performance, die live im Internet übertragen wird, Kurator Sebastian Kriegsmann aus Zwickau, eingeladen hat er Vanja Vukovic, Video- und Fotokünstlerin, Snežana Golubović, Professorin für Performancekunst, und Andreas Klinko, der die Performance filmt. Kriegsmann kennt die Künstler aus seiner Studienzeit am Frankfurter Städel, hat schon mehrfach mit ihnen zusammengearbeitet, auch einmal bei der Ibug, dem Festival für Industriebrachenumgestaltung. Vanja Vukovic hält es für wichtig, die Performance mit Snežana Golubović, die die Koffer durch Straßen trägt, noch einmal aufzuführen. Rechtsextremismus habe zugenommen. "Meine Intention war es, dagegen etwas beizutragen, das im öffentlichen Raum stattfindet, auch mit meinen Migrationshintergrund" - Vanja Vukovic kommt ursprünglich aus Montenegro, Snežana Golubović, die lange mit der bedeutenden Performancekünstlerin Marina Abromowicz zusammenarbeitete, wurde in Serbien geboren.

Aktionen mit klarem Statement

Er habe, sagt Kriegsmann, nach der "Selbstenttarnung des NSU", der rechtsextremen Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund", die auch in Zwickau aktiv war, diesem Bild von der Stadt ein Statement entgegensetzen wollen, das zwar offen lässt, was die Stadt ist oder nicht ist - daher die drei Punkte am Ende des Titels der Performance - aber auf die Geschichte reagiert, sie bewusst thematisiert. Man wolle mit der Performance "auch Leuten, die es im Alltag nicht schaffen, sich damit auseinanderzusetzen, die Möglichkeit gegeben zu sagen, ich will dagegen aktiv werden." Inzwischen gebe es viele kleinere Aktionen, die sich gegen Rechts positionieren. Manche Orte rechtsextremer Aktivitäten, etwa einen Sportplatz, könnte die Stadt durch Werbung für Toleranz und Demokratie mit positiven Werten besetzen, hätten die Künstler im Nachhinein festgestellt. Sebastian Kriegsmann spricht auch das Thema Bildungs- und Dokumentationszentrum an, das im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Geschichte diskutiert wird. Dies werde oft so gesehen, "dass es Zwickau in den Schmutz zieht". Er aber glaube, die Aufarbeitung der NSU-Geschichte und die Würdigung der Opfer könne sogar fördernd für Wirtschaft und Tourismus der Region sein. Er verweist auf Chemnitz, das den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" gerade mit dem Verweis auf die Aufarbeitung rechtsextremer Vorfälle in der Stadt bekommen habe. Klaus Fischer vom Verein "Freunde aktueller Kunst", der die Performance unterstützt, findet: "Es ist ganz wichtig, dass auch von der Kultur und der Kunst Zeichen gesetzt werden", gerade im Wahljahr.

Die Performance ist eine leise Intervention zum Thema Flucht und Migration, Suche nach Heimat, ein Plädoyer für Menschlichkeit. Am Marienplatz reagiert ein Mann, nimmt der Frau den Koffer ab, hilft ihr, die Last zu tragen. In der Videoaufzeichnung auftauchen möchte er nicht. Die Künstlerinnen respektieren das. ( mz)

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