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Familie sein, aber Paar bleiben: Wie der Spagat zwischen Care-Arbeit und Romantik gelingt

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Zwischen Windeln, Wäsche und Wutausbrüchen der Kinder fehlt vielen Paaren Zeit für sich. Eine Chemnitzer Familientherapeutin erzählt, wie Familien mit Streit am besten umgehen und ab wann eine Trennung glücklicher machen kann.

Chemnitz.

Jeder denkt, er weiß am besten, wie eine Spülmaschine richtig einzuräumen ist oder wie Wäsche zu falten ist. Im gemeinsamen Leben können diese Ansprüche schnell zu Streit führen.

Freie Presse: Frau Friedrich, warum sorgt Care-Arbeit für so viel Streit bei Paaren und in Familien?

Andrea Friedrich: Vor allem bei jungen Paaren übersteigt die Arbeitslast oft ein Vielfaches von den Möglichkeiten, die man eigentlich hat. Es prasselt zu viel auf einen selbst und das Paar als Team ein. Menschen ist es dann eigen, immer zuerst zu sehen, was der andere falsch oder gar nicht macht, was natürlich zu Streit führt. Oft fällt es aber auch schwer, Aufgaben aus der Hand zu geben, weil man denkt, dass man sie besser macht. Wir müssen oft darüber schmunzeln, wenn die Erkenntnis kommt: Der andere macht nicht mehr, weil ich das auch nicht zulasse.

FP: Wo kommen diese verschiedenen Ansprüche her?

Friedrich: Wenn ein Paar zusammenkommt, dann wurden sie in ihren Familien unterschiedlich geprägt. Damit haben die beiden natürlich unterschiedliche Ansprüche daran, wie Hausarbeit zu erledigen ist. Wenn ich Arbeitsteilung will, dann muss ich akzeptieren, dass der andere einen anderen Anspruch hat. Nicht zu sagen: Na, dann mach ich es jetzt mal schnell, weil du es ja eh nicht kannst, um mich dann zu beschweren, dass ich zu viel mache.

Unterschiedlicher Lebensrhythmus

FP: Spielen bei Ansprüchen die typischen Geschlechterrollen noch eine Rolle?

Friedrich: Manchmal denken Männer noch immer, dass Kinder Frauensache sind, das eigene Leben bleibt grundlegend gleich. Vor allem in jungen Familien sind sich inzwischen beide sehr bewusst, dass Arbeit aufgeteilt werden kann und dass es nicht diese Rollen von früher gibt.
Man fragt sich zu selten, was eine Veränderung im Leben eigentlich für Konsequenzen hat. Beide arbeiten voll, es gibt Kinder und es wird noch ein Haus gebaut. Da kommt unheimlich viel aufeinander. Die Geschlechterrollen sind nicht das große Problem. Sondern es ist insgesamt zu viel Arbeit und jeder von beiden denkt, der andere müsste mehr machen.

FP: Also sind beide Elternteile einfach nur gleichmäßig überfordert?

Friedrich: Schon, aber es wird auch zu wenig darüber geredet, was die beiden Eltern auch voneinander erwarten. Da kommt der unterschiedliche Lebensrhythmus, mit dem die beiden aufgewachsen sind, wieder ins Spiel. Die Beziehung der Beiden geht erstmal eine ganze Weile gut, wenn keine außergewöhnlichen Anforderungen da sind. Aber wenn es mehr werden, dann rutscht jeder in seinen Rhythmus rein. Dann können sie nicht anders, als sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Es muss ein eigener Rhythmus geschaffen und Aufgaben deutlich benannt werden.

FP: Wie kann man ein Gespräch über diese Unzufriedenheit anstoßen?

Friedrich: Das geht nicht, während die Kinder den Sandmann schauen, sondern man muss sich Zeit nehmen. Dann müssen auch beide bereit für dieses Gespräch sein, also der eine sollte den anderen nicht einfach damit überrumpeln. Der Fokus liegt darauf, was ich wahrnehme, also: ICH fühle mich gerade überfordert oder ungerecht behandelt. Wenn das Wörtchen „du“ ins Spiel kommt, fühlt der andere sich sofort angegriffen und ein Streit entsteht: DU wolltest doch die Kinder abholen. Das führt zum Streitgespräch, wo der eine anklagt und der andere sich verteidigt. So geht es nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um Emotionen.

FP: Aber wenn beide nur über ihre eigenen Bedürfnisse reden, wie und worauf sollen sie sich dann einigen?

Friedrich: Beim Heiraten gibt es das Versprechen: Ich will für dich da sein, bis dass der Tod uns scheidet. Das kann man auf den Alltag runterbrechen und sich in einem Paarvertrag überlegen, was gerade das Wichtigste ist oder sein soll: Wie unterstütze ich dich die nächsten fünf Jahre mit der Weiterbildung? Was will ich selbst und was bedeutet das für mich und was für dich? Nach den fünf Jahren kann man nochmal überlegen, wie es mit dem Vertrag aussieht und ihn gegebenenfalls auffrischen. Es ist damit auch wichtig, dass ein Paar verzichten kann und eine Aufgabe beiseitestellt, zum Beispiel den Hausbau. Also: Muss das jetzt unbedingt sein, weil wir sonst das Gefühl haben, keine Lebensqualität mehr zu haben?

Paar bleiben, während die Kinder groß werden

FP: Überforderung mit der Sorgearbeit ist also das eine Problem. Was passiert, wenn die Kinder langsam selbstständig werden und die Arbeitslast abnimmt?

Friedrich: Eltern merken dann plötzlich, dass sie sich gar nicht mehr so sehr um die Kinder kümmern müssen, das schaffen die allein ganz gut. Aber außerhalb davon hat das Paar nichts mehr gemeinsam. Eigentlich haben sie die ganze Zeit nebeneinander gelebt und nicht darauf geachtet, dass sie ja noch ein Paar sind. Da kommt manchmal die Frage: Habe ich dich eigentlich noch lieb?

FP: Haben Sie Tipps, wie sich das verhindern lässt?

Friedrich: Ich habe ein Paar über viele Jahre begleitet. Trotz drei Kinder und Vollbeschäftigung haben sie für sich gesagt: Der Donnerstagabend ist für uns. Nur, wenn eines der Kinder krank war, ist das ausgefallen. Sie haben zum Beispiel einen Tanzkurs gemacht oder sind ins Kino gegangen. Es ist entscheidend, sich als Paar selbst nicht zu vernachlässigen, um genau das zu machen, was das Paar vor den Kindern zusammengebracht hat. Die versäumte Zeit wieder aufzuholen, ist sonst sehr schwer.

FP: Vernachlässigt das nicht die Kinder?

Friedrich: Das sind Ansprüche, die von anderen kommen. Wenn die Ehe gerade in die Brüche geht, stehen die anderen einem aber nicht zur Seite. Ich muss selbst wissen, was ich will. Im Fall von diesem Paar waren die Kinder selbständige Mädels, für die das ganz normal war. Die haben sich nicht vernachlässigt gefühlt. Die Eltern waren ja sonst immer für alle Probleme ansprechbar. Je älter sie wurden, desto besser wurde dieser Donnerstagabend natürlich auch für sie.

Kinder merken, wenn ihre Eltern sich nicht gut verstehen

FP: Manche fühlen sich über Jahre hinweg in ihrer Beziehung ungerecht behandelt und sehen nicht, dass sich etwas bessert. Wie kann ich denn entscheiden, ob eine Beziehung noch zu retten ist, oder ob eine Trennung doch die bessere Option für mich ist?

Friedrich: Ich sage am Anfang immer: Veränderung fängt immer bei einem selbst an. Meistens nicken dann beide enthusiastisch. Es ist wichtig, immer das anzugucken, was man selbst zum Konflikt beigetragen hat und was man sich vorstellen kann zu verändern. Oft zeigt sich dann, dass einer denkt, der andere muss sich verändern, und dann wird alles wieder gut. Wenn die Bereitschaft fehlt, an sich selbst zu arbeiten, geht es nicht weiter.

FP: Manche haben auch Angst, sich zu trennen, zum Beispiel wegen den gemeinsamen Kindern.

Friedrich: Wenn man in einer Beziehung an den Punkt kommt, dass man sagt, so will ich nicht mehr leben, dann sollte man tatsächlich eher überlegen, sich zu trennen. Wenn man das Gefühl hat sich so sehr verbiegen zu müssen, dass man nicht mehr sich selbst darin sieht. Wenn beide sich nicht mehr miteinander verstehen, wenn es überhaupt keine Freude mehr miteinander gibt.
Das gilt auch, wenn Kinder da sind. Kinder merken das sehr wohl, dass ihre Eltern sich nicht gut verstehen. Wenn die das gut erklärt bekommen und wenn Eltern sich erwachsen trennen können, dann schadet das den Kindern nicht unbedingt.

FP: Oft ist auch eine Abhängigkeit entstanden, also dass eine Person weniger gearbeitet hat und deswegen zum Beispiel weniger Rente bekommen wird. Was würden Sie denen sagen?

Friedrich: Es gibt immer irgendwo Hilfen für die, die durch eine Trennung finanzielle Probleme haben. Sicherlich kann es manchmal nicht den Lebensstandard weitergeben, den ich bisher hatte. Dann muss ich abwägen: Ist mir der Lebensstandard mehr wert als mein Leben?
Es kann auch sein, dass ein Paar eine Vereinbarung trifft, zusammen zu bleiben, aber sein Glück noch mit einem anderen Partner zu teilen. Da sind wir bei polyamoren Beziehungen. Wenn das abgesprochen ist, ist das völlig in Ordnung. Es gibt sicherlich auch Ehen, die ohne Liebe oder gegenseitige Wertschätzung geführt werden. Dort gibt es offenbar etwas anderes, das hält.

FP: Was zum Beispiel?

Friedrich: Alltag, der gemeinsam gemeistert wird. Oder auch gemeinsam in den Urlaub zu fahren, auf den gemeinsam hingearbeitet wird und der dann drei Monate lang ist. Vielleicht sind auch beide in einer Firma und sind richtig gute Kollegen. Um das nicht wieder trennen zu müssen, hält man eben an der Ehe fest. Jedes Paar entscheidet selbst, wo die Priorität bei ihnen liegt. (schöj)


Zur Person: Andrea Friedrich

Die Sozialpädagogin und systemische Therapeutin wurde 1960 geboren. Seit über 30 Jahren arbeitet Friedrich im psychosozialen Bereich und führt seit 2010 ihre eigene Praxis als Familien- und Paartherapeutin in Chemnitz. (schöj)

Dieser Text ist Teil einer Beitragsreihe. Die Volontäre der „Freien Presse“ haben in einem Projektmonat rund um das Thema „Arbeitsteilung in jungen Familien“ recherchiert. Die Familienporträts, Experten-Interviews, eine Datenanalyse, ein Quiz und die Sicht der jungen Reporter auf das Thema sind auf der Übersichtsseite zu finden. Die Arbeit der Volontäre könnt Ihr auch auf Instagram und Twitter verfolgen.

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