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Junge Hausfrau im Erzgebirge: Meine Rolle wird abgetan und als faul dargestellt

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Die Mutter Hausfrau, der Vater Alleinverdiener: Aufgrund des Betreuungsschlüssels in der Krippe zieht eine Familie ihr Kind zu Hause groß - nicht ohne Widerspruch aus ihrem Umfeld.

Erzgebirge.

Einen Tag nach dem Gespräch ruft Lisa auf dem Handy an: „Wir wollen doch lieber anonym bleiben“, sagt sie. Vornamen seien okay, aber mehr nicht. „Wir befürchten Nachteile für unser Kind, wenn wir klar erkennbar sind“. In dem Gespräch mit Lisa und Eric ging es eigentlich darum, wie sie ihre Hausarbeit aufteilen und wer wann für das anderthalbjährige Kind sorgt.

Was kann daran so brisant sein, dass sie um die Zukunft ihres Nachwuchses besorgt sind? Lisa hat sich dafür entschieden zu Hause zu bleiben, bei ihrem Kind. Für einige Jahre möchte sie nur Hausfrau und Mutter sein, ohne zusätzlich auf Arbeit zu gehen. Sie und ihr Mann sind mit der Entscheidung zufrieden, aber sie spüren Druck – von der Gesellschaft und auch aus der eigenen Familie.

Drei Jahre mit dem Kind zu Hause

Lisa ist 28 Jahre alt und Einzelhandelskauffrau. Eric ist 31. Er ist Ausbilder bei einem Maschinenbauunternehmen. Sie leben in einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge: 5000 Einwohner, ein Supermarkt und viel Natur. Als Lisa schwanger wird, ist den beiden klar, dass das Kind nicht in die Krippe gehen soll. Lisa möchte für zwei Jahre aus dem Beruf aussteigen und sich in Vollzeit um den Nachwuchs kümmern. Beide kennen das von ihren Müttern so. Die seien mehrere Jahre mit ihnen daheim gewesen. „Das war nicht die Ursache dafür, dass wir es so gemacht haben, aber das hat uns nochmal bestätigt“, sagt Lisa. Inzwischen haben sie entschieden, dass Lisa noch ein Jahr länger, also drei Jahre, zu Hause bleibt. „Wir denken, dass das für unser Kind besser ist“, sagt sie.

1-zu-1-Betreuung daheim

Der Betreuungsschlüssel in den Krippen sei ihnen zu hoch. „Wo liegt der gerade? Drei kleine Kinder auf eine Erzieherin?“, fragt Lisa eher rhetorisch. Die Betreuer könnten da nicht mehr gut genug auf die Kinder eingehen, finden sie. Der 1-zu-3-Schlüssel ist eine Empfehlung von Experten, in Sachsen liegt er allerdings deutlich darüber. Eine Erzieherin sorgt hier laut Bertelsmann-Studie für 5,4 Kinder – auf dem Papier. In der Realität ist das Verhältnis aufgrund von Krankenstand, Weiterbildungen sowie Vor- und Nachbereitung wohl noch ungleicher. Daheim habe sie hingegen einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 1, sagt Lisa.

Nach der Geburt nimmt Eric zwei Monate bezahlte Elternzeit und sorgt mit für das Kind. Dann geht er wieder arbeiten. Andersrum wäre das nicht gegangen, also dass er zuhause bleibt und Lisa weiterarbeitet. „Das wäre finanziell schwierig gewesen“, sagt Eric. Sein Gehalt ernährt die Familie. Am Wochenende arbeitet er als Selbstständiger: ein zweites Standbein.

Lisa schmeißt den Haushalt. Sie wäscht die Wäsche, putzt und hält Ordnung in der Wohnung. Ihr Mann arbeitet von 6 Uhr bis 14.30 Uhr. In der Zeit betreut sie ihr Kind allein. Wenn er von der Arbeit heimkommt, gehen sie abwechselnd mit dem Kind nach draußen, einen Tag er, den nächsten Tag sie. So hat der andere etwas freie Zeit für sich. Den Abend verbringen sie gemeinsam. Wenn das Kind schläft, räumen sie zusammen auf und haben dann Zeit als Paar.

Irgendwann fällt ihr die Decke auf den Kopf

„Wir, für uns, sind zufrieden“, sagt Lisa. Sie empfinde es nicht als ungerecht, dass sie mehr im Haushalt mache. Ihr Mann verdiene in der Zeit eben Geld auf Arbeit. An manchen Tagen spüre sie aber, dass es „ein gesellschaftliches Ding ist“: „In der Gesellschaft wird das so abgetan, was ich mache. Da werden Frauen, die nicht nebenbei noch einen Beruf haben, als faul angesehen“, sagt sie. Das würden ihr Menschen zwar nicht persönlich sagen, aber über ein paar Ecken erfahre sie es trotzdem. Auch im engeren Familienkreis sei es hin und wieder Thema. Ob sie nicht mal wieder arbeiten gehen will oder ob sie sich nicht langweile daheim.

„Langweilig wird es mit dem Wirbelwind nie“, sagt Lisa, während ihr Kind auf den Tisch klettert. Außerdem habe sie auch Zeit für Hobbys daheim. „Ich koche, backe und nähe viel. Das ist auch ein Vorteil beim zu Hause Bleiben: Wir ernähren uns viel gesünder, weil ich mir dafür Zeit nehmen kann“, sagt die 28-Jährige. „Ich gehe darin auf und finde da auch irgendwie Erfüllung.“

Irgendwann fällt aber auch Lisa die Decke auf den Kopf. Dann will sie raus, Menschen treffen, die eigenen vier Wände verlassen. Erst habe sie sich mit einer Mutter aus der Nachbarschaft verabredet. Die Kinder spielten nebeneinander und die Frauen konnten sich austauschen. Die Nachbarin habe sie dann mit zu einem Eltern-Kind-Kreis genommen, der alle zwei Wochen stattfindet. Ein paar Eltern organisieren ihn in Eigeninitiative. Mittlerweile geht sie noch in einen weiteren Eltern-Kind-Kreis. Den veranstaltet eine Kirchgemeinde im Nachbarort – auch alle zwei Wochen, aber versetzt zu dem anderen Treffen.

Hat Lisa nicht den Eindruck, dass sie in ihrer Karriere Abstriche machen muss, während ihr Mann aufsteigt? „Das spielt für mich keine Rolle“, sagt sie. Ihre Ambitionen auf Arbeit seien gering. Viel wichtiger ist ihr, dass sie ihr Kind aufwachsen sieht. „Wenn ich mir vorstelle, dass mir eine Erzieherin von den ersten Schritten oder den ersten Worten meines Kindes berichtet, wäre das was anderes. Ich bin selbst dabei, erlebe es und kann Fotos für den Papa machen.“

Anderen Frauen möge es da anders gehen, sagt Lisa. „Die wären vielleicht unzufrieden damit, nur zu Hause zu sein und die ganze Zeit den Haushalt zu machen.“ Aber das treffe auf sie nicht zu. „Bei uns passt das eben so.“

Den Social-Media-Trend „Stay-at-home-wives“ kann sie jedoch nicht verstehen. Dabei leben junge Frauen vor, wie sie – wohlgemerkt meist ohne Kinder – daheimbleiben und sich nur um den Haushalt und das Wohlergehen ihres Mannes kümmern. Lisa runzelt bei der Vorstellung die Stirn. „Wird der Mann da nicht irgendwie in eine Kinderrolle gedrängt?“ fragt sie. Es klinge für sie, als werde den Männern unterstellt, dass sie jemanden brauchen, der sich so um sie kümmert. Das sei nichts für sie. Sie sei wegen ihres Kindes daheim.

Betreuungsschlüssel im Kindergarten

Wenn ihr Sohn drei ist und sich besser verständigen kann – sagen kann, was er mag und was er nicht mag oder was ihm fehlt – soll er in den Kindergarten gehen. Lisa will dann wieder im Supermarkt arbeiten. Weil sie an diese Zeit denkt, möchte sie lieber nicht mit Namen und Bild in der Zeitung erscheinen. Sie hat Angst, dass eine Kita-Erzieherin den Beitrag vielleicht falsch versteht: „Wir wollen ihnen ja nichts Böses“, sagt Lisa am Telefon. Von den Erziehern, von denen sie spricht, gibt es in Sachsen viel zu wenige. Schon heute kommen in einem Kindergarten im Freistaat durchschnittlich 11,2 Kinder auf einen Betreuer. Das sind schon auf dem Papier mehr als doppelt so viele wie in der Krippe. (eran)

Dieser Text ist Teil einer Beitragsreihe. Die Volontäre der „Freien Presse“ haben in einem Projektmonat rund um das Thema „Arbeitsteilung in jungen Familien“ recherchiert. Die Familienporträts, Experten-Interviews, eine Datenanalyse, ein Quiz und die Sicht der jungen Reporter auf das Thema sind auf der Übersichtsseite zu finden. Die Arbeit der Volontäre könnt Ihr auch auf Instagram und Twitter verfolgen.

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