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Familie sein, Paar bleiben: Wie ein Chemnitzer Paar versucht, diese Herausforderung zu meistern

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Kann man alle Aufgaben in einer Familie gleichmäßig auf die Eltern aufteilen? Ein Paar aus Chemnitz gibt einen Blick in ihren Alltag und erzählt, wo sie auf Herausforderungen stoßen.

Chemnitz.

Es ist Nachmittag. Beide haben Feierabend und sind am Schlossteich verabredet. Marianne trifft als erstes ein. Sie hat den Weg vom Informatik-Unternehmen, bei dem sie angestellt ist, mit dem Fahrrad zurückgelegt. Trotz des in die Pedaletretens ist sie kaum aus der Puste, kein bisschen wirkt sie gestresst. Ihr Lebensgefährte und Vater ihres Kindes erscheint wenig später am vereinbarten Treffpunkt. Nur eine Stunde haben die beiden füreinander, dann wartet die zweijährige Tochter darauf, von ihrem Papa aus dem Kindergarten abgeholt zu werden. Eine Stunde Zeitvertreib. Dann beginnt die Arbeit nach der Arbeit.

Es ist eine kostbare Stunde, die das Paar miteinander verbringen kann. Zweisamkeit wird mit dem Elternsein immer seltener. Doch auch in diesen 60 Minuten werden sie wenig voneinander haben. Sie haben sich bereit erklärt, am Spielplatz an der Schlossteichinsel mit Journalisten über ihren Alltag und ihre Herausforderungen zu sprechen – einem Ort, den sie hin und wieder mit ihrer Tochter besuchen.

Elternsein ist mit gewissen Herausforderungen, teils Streitthemen verbunden. Wer macht Karriere? Wer kümmert sich um die Wäsche? Wer kocht? Wer bringt das Kind zu Bett? Und wenn all dies geklärt ist bleibt stets die Frage: Wir sind Familie, aber auch noch ein Paar?

„Je nachdem wie es passt“

Die ersten vier Fragen haben sich die 26-jährige Frau und ihr 29-jähriger Partner leicht beantwortet: 50/50. „Ich glaube, für uns ist das die Vorstellung vom Leben. Wir wollen gleichberechtigte Eltern und in gleichem Maße Bezugsperson für das Kind sein. Deshalb finde ich es sehr angenehm, den halben Tag zu arbeiten und die andere Hälfte Kinderzeit oder Freizeit zu haben“, sagt Marianne, die wie ihr Partner teilzeitbeschäftigt ist. 20 Stunden pro Woche ist sie erwerbstätig, anschließend betreut sie die Tochter, verrichtet Hausarbeit oder geht zum Volleyballtraining – mal übernimmt sie die Aufgaben, mal er. „Je nachdem wie es passt“, sagt sie.

„Das Training ist schön, um einfach mal wieder eine andere Rolle, außer die der Arbeitnehmerin und Mutter, einzunehmen und sich nicht darin zu verlieren“, erklärt sie. Manchmal setze sie sich auch einfach mit ihrem Notizheft in ein Café und genieße die Ruhe.

Möglich ist das nur durch die gleiche Aufteilung aller Aufgaben mit ihrem Lebensgefährten. Max, der eigentlich Maximilian heißt, arbeitet 25 Stunden pro Woche in einem Marketingunternehmen. Volleyballtraining hat er nicht, aber am Wochenende übernimmt er freiberuflich einzelne Aufträge im Bereich Social-Media-Marketing, widmet sich zudem seiner ehrenamtlichen Arbeit bei der Linkspartei. Nun wird er für den Stadtrat kandidieren.

Und neben all dem Ganzen wäre ja noch der Haushalt - und die kleine Tochter. „Letztlich hat jeder seine Bereiche, um die er sich ein bisschen mehr kümmert“, sagt Max. Sein Metier sei die Küche, das der Freundin die Wäsche. Während das Wäscheaufhängen für ihn Stress bedeute, mache ihm das Aufräumen in der Küche und das Einräumen des Geschirrspülers großen Spaß.

„Max kann gar nichts dafür“

Jeder hat sein Aufgabengebiet, alles wird gleichmäßig aufgeteilt, sagen beide. In der Vergangenheit hat das allerdings nicht in allen Lebensbereichen funktioniert. Das Thema Mental Load – in simplen Worten die Belastung, die durch das Organisieren von Alltagsaufgaben entsteht - fiel offensichtlich zumeist auf Marianne zurück. „Es ist etwas, bei dem ich mich bewusst zurückziehen muss“, sagt sie heute. Sie könne sich keine Gedanken darüber machen, was der Schwiegermutter zum Geburtstag geschenkt werde. Das sei gar nicht ihre Aufgabe. „Es liegt allerdings auch an meinem eigenen Anspruch. Max kann gar nichts dafür. Das liegt eher an den Aufgaben, die klassischerweise auf die Frau zurückfallen.“ Marianne meint damit beispielsweise das traditionelle Rollenbild, nach welchem die Frau dafür zuständig sei, die Wohnung auf Vordermann zu bringen, wenn Besuch bevorsteht. „Sich da herauszunehmen und zu sagen: ‚Wenn es blöd aussieht, ist es unsere gemeinsame Schuld.‘ Das ist wichtig“, sagt sie. „Bei Mental Load ist es aber schwieriger, denn das sieht man nicht.“

Nichtsdestotrotz: Macht der eine aufgrund besonderer Umstände mal mehr, versucht der andere das in den folgenden Tagen auszugleichen. Das spiegelt sich auch in der Betreuung des Kindes wider. Der eine bringt die Tochter in den Kindergarten, der andere holt sie ab, verbringt schließlich den Nachmittag mit dem Kind. Am Folgetag das umgekehrte Bild. „Uns ist wichtig, dass jeder seinen Hobbys und Interessen nachgehen kann und trotzdem jeweils dieselbe Anzahl an Abenden hinlegt, um mit der Tochter die Einschlafbegleitung zu übernehmen“, sagt Marianne. Max ergänzt: „Das geht bei sieben Tagen natürlich nicht ganz auf, aber man muss einen Abend ja auch mal zusammen verbringen.“

Bewusst sparsam leben

Die beiden, die eng nebeneinander auf einer Parkbank sitzen, beide einen hellgrauen Mantel tragen, äußerst reflektiert und wie ein eingespieltes Team wirken, haben eine feste Vorstellung vom Leben. Stress, insbesondere finanziellen Druck, vermeiden sie durch einen bewusst niedrig gehaltenen Lebensstandard. Heißt: Ein altes Auto, eine kleine, günstige Wohnung und Teilzeitjobs, von denen es sich gut leben lässt. Sie wollen ihrem Kind etwas bieten – und insbesondere für ihre Tochter da sein. „Ich denke oft an meine Eltern, an meine Kindheit. Beide waren selbstständig, hatten eigene Geschäfte und deshalb wenig Zeit für mich. Man merkt es jetzt schon: Unsere Tochter wird bald drei Jahre alt. Es passieren so viele Dinge nahezu jeden Tag, die würde ich mit einem Vollzeitjob gar nicht mitbekommen“, sagt Max, und Marianne fügt hinzu: „Solange das finanziell stemmbar ist, ist das für uns ein attraktives Modell.“

Beide haben es geschafft, sich Zeit für sich selbst zu nehmen, Interessen nachzugehen und sich darüber hinaus und allem voran gleichmäßig die Care-Arbeit aufzuerlegen. Ein eingespieltes Team, eine Familie im wahrsten Sinne des Wortes – aber sind sie auch noch ein Paar?

Familie vs. Paar

Sie schauen sich kurz an, werfen nachdenkliche Blicke. Es wird still. Es ist ein äußerst intimes Thema – eines, das in jeder Familie präsent ist; eines, das mitunter für Probleme und Unzufriedenheit sorgt. „Ehrlicherweise muss ich sagen: Mal mehr, mal weniger“, sagt Max. Marianne ergänzt: „Das ist schon eine Herausforderung. Wenn man es geschafft hat, allein Zeit einzuplanen, die Familie aufzuteilen, dann fragt man sich schon: ‚Okay, und wann sehen wir uns?‘“

Wieder kehrt bei den beiden ein Moment der Ruhe ein. „Manchmal ist es kurz vor WG-Leben“, sagt Marianne. „Wenn einem das bewusst wird und man merkt, dass es manchmal einfach nicht anders geht, ist es wichtig, einfach dranzubleiben.“

Im Umkehrschluss bedeute das reden, reden, reden – und tun. „Perfekt sind wir da nicht“, sagt Marianne. Aber die beiden sind sich einig: Zuletzt habe es geholfen, die Kita-Betreuungszeit des Kindes zu erhöhen, sodass das Paar zumindest nachmittags etwas mehr Zeit miteinander verbringen konnte, um zu kommunizieren.

Dennoch verstehen die beiden unter Zweisamkeit etwas anderes – nämlich mehr als nur eine Stunde am Nachmittag. So nutzen die beiden hin und wieder die Gelegenheit, in der Mittagspause gemeinsam essen zu gehen, oder am Abend die Kinderbetreuung an Mariannes Schwester zu übergeben, damit sie zum Konzert oder ins Restaurant gehen können. Spaß, Ablenkung vom Alltagstrott und Zeit zu zweit sind das große Ziel der beiden, wenigstens einmal in der Woche. Und so kämpfen die beiden dafür, nicht nur eine Familie, sondern auch ein Paar zu sein. „Mal mehr, mal weniger“ eben, wie Max sagte. Oder in anderen Worten, wie das Verhältnis in allen Care-Arbeits- Belangen: 50/50. (past)

Dieser Text ist Teil einer Beitragsreihe. Die Volontäre der „Freien Presse“ haben in einem Projektmonat rund um das Thema „Arbeitsteilung in jungen Familien“ recherchiert. Die Familienporträts, Experten-Interviews, eine Datenanalyse, ein Quiz und die Sicht der jungen Reporter auf das Thema sind auf der Übersichtsseite zu finden. Die Arbeit der Volontäre könnt Ihr auch auf Instagram und Twitter verfolgen.

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