Chemnitz, Nazis und Kulturhauptstadt: Eine Debatte über Sitzblockaden, Demokratie und das, was Aufkleber bewirken könnten
Zum fünften Mal lud die "Freie Presse" zu einer Podiumsdiskussion im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt 2025 ein. Titel: "Chemnitz: Deine Rechten. Wie geht die Kulturhauptstadt mit Störfeuern um?" Es ging um einen Demoaufruf, ein Plädoyer für ein Chaos-Projekt und es wurde auch mal ziemlich laut.
Chemnitz.Eine Frauenstimme schallt durchs Atomino: "Mit Nazis redet man nicht!" Auf der Bühne entgegnet Stefan Schmidtke, Co-Geschäftsführer der Kulturhauptstadt gGmbH: "Man muss mit denen reden." Es wird laut, Leute rufen "Nein!" Zuvor hatte Schmidtke eine Geschichte erzählt, von dem, was jetzt schon in Sachen Kulturhauptstadt geht. Garagenkonzerte. Da komme ein bunter Haufen. Auch stadtbekannte Nazis. Und die Menschen kämen ins Gespräch. "Ich finde, das ist richtig und gut." Dann der Ruf. Und damit sind wir mittendrin in der "Freie Presse"-Podiumsdiskussion "Chemnitz: Deine Rechten".
Sitzblockaden? Schmidtke und Schramm wären dabei, Schulze und Patt nicht
Auf dem Podium stehen neben Schmidtke Oberbürgermeister Sven Schulze, CDU-Stadträtin Almut Patt und Anna Schramm von Verein RAA Sachsen, der sich für Betroffene rechter Gewalt einsetzt. Etwa zwei Stunden werden sie mit den Moderatorinnen Katharina Leuoth, Susanne Kiwitter, Jana Peters und dem Publikum diskutieren. Eins wird schnell klar, OB Schulze kann nicht mit dem Jenaer Ex-OB Albrecht Schröter verglichen werden. Dieser nahm beispielsweise an Sitzblockaden gegen rechte Aufmärsche teil. Schulzes Art ist das nicht. Es sei wichtig, sich zu positionieren. "Es muss aber auch jeder seinen Weg finden, wie das aussieht." Schulze sprach in diesem Zusammenhang über die seit mittlerweile Jahren jeden Montag Demonstrierenden von "kruden und verwirrten Leuten". Aber das sei "weder Chemnitz noch eine ernstzunehmende Größe." Es gebe Gelegenheiten, sich für Menschenwürde, Demokratie und Toleranz auszusprechen. "Aber diesen 250 Leuten müssen wir diese Ehre wirklich nicht zuteilwerden lassen."
Anna Schramm würde sich mehr Positionierung wünschen. Niemand müsse neutral bleiben, wenn verfassungsfeindliche Einstellungen zutage treten. "Wie kann ich mich neutral gegenüber unserer Verfassung, gegenüber den Menschenrechten positionieren?" Applaus.
Reale Drohungen, Aushalten, Dagegenhalten
Es gibt Ankündigungen von Rechtsextremen, das Kulturhauptstadtjahr stören zu wollen. 2025 zu einem zweiten 2018 zu machen, ist eine davon. Die rechtsextreme Kleinstpartei "Freie Sachsen" hat für den Eröffnungstag am 18. Januar eine Demonstration angemeldet. Eine Demonstration, auch an so einem Tag, halte man aus, so Schulze. Und weil das Demonstrationsrecht ein hohes Gut sei, müsse man sie auch aushalten. "Wir gehen aber auch nicht blauäugig ran und lassen sie in die erste Reihe." Es sei wichtig, eine rechtssichere Lösung zu finden. "Nichts wäre schwieriger, als wenn wir dann von Gerichten, die fernab von Sensibilitäten entscheiden, etwas aufdiktiert bekommen." Es wird aber eine Gegenaktion geben. Vertreterinnen des Bündnisses "Aufstehen gegen Rassismus" nutzten die Gelegenheit, um für den 18. Januar zu mobilisieren.
Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Parteien ist in Chemnitz allgegenwärtig. Seit Jahren sitzt die AfD - der sächsische Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft - mit im Saal - ganz zu schweigen von den "Freien Sachsen". Alltagsgeschäft für CDU-Stadträtin Almut Patt. Alle demokratisch gewählt, das müsse man akzeptieren, so Patt. Das gelte aber nicht für deren Inhalte. Zwei Drittel der Stadträte seien sehr demokratisch. Auch scheinbar harmlos klingende Anträge aus der Richtung würden gemeinsam abgelehnt. Denn: "Wo ein Haarriss ist, kommt irgendwann ein Dammbruch."
Was bei der Diskussion deutlich wurde: Es gibt Menschen, die Angst haben. Angst vor Nazis, Angst vor Übergriffen. Begründet, weil schon erlebt. "Wir müssen diese Menschen mitdenken", sagt Anna Schramm. Eine Frau aus dem Publikum, Daniela Di Pinto, hielt es kaum an ihren Stuhl. Sie forderte, keine rechten Aufzüge am 18. Januar zuzulassen. "Ich habe jeden Montagabend Angst."
Ein Aufkleber als Marker für Safe-Spaces
Und nun die Kulturhauptstadt. Was kann sie leisten? Zentral sei, so Schmidtke, dass sich die Zivilgesellschaft mit Leerstellen zu beschäftigen habe. "Wir machen auch keine Demokratieprojekte, sondern arbeiten an unserer Zivilgesellschaft." Den Humus, der das Zusammenleben demokratisch gestalte. "C the unseen" bedeute auch, sich gegenseitig zu sehen.
Da sind die Apfelbäume, einst als blühende Baumparade geplant, irgendwie gescheitert, aber nicht tot. Das "Ober-Chaos-Projekt", wie Schmidtke es bezeichnet, ist jetzt ein Nachbarschaftsprojekt. Ein kleiner Part wie am Ende alles. "Wenn wir in die Einzelbetrachtung gehen, hat nichts Sinn." Aber in der Gesamtschau sei das anders. Und da kommen die Aufkleber ins Spiel. Auf denen soll sinngemäß unter anderem stehen, hier werden keine menschenfeindlichen Kommentare geduldet. Dem zuvor stünden Workshops, Treffen, Menschen, Suche nach Verbündeten. Und dann Safe-Spaces.