Kulturhauptstadt Chemnitz 2025: Programm wird tanzend präsentiert
Lange wurde die Veröffentlichung des offiziellen Programms für 2025 angekündigt. Für die Presse, aber auch andere Gäste, wurde die Schrift vom Format eines Ziegelsteins am Freitag präsentiert.
Chemnitz.Eine nicht mehr ganz junge Frau versucht, sich Gehör zu verschaffen. „Hallo!“ Und noch einmal: „Hallo! Ich bin Conni.“ Es dauert ein bisschen, bis Ruhe in das Gewühl in der ehemaligen Fabrikhalle kommt. Conni steht auf der Querseite der umlaufenden Galerie hoch über den Köpfen der Besucher. Sie ist fast 72 Jahre alt, seit 45 Jahren wohnt sie in Karl-Marx-Stadt bzw. Chemnitz. Conni ist das Gesicht der Kulturhauptstadt, das erste, eines von vielen.
Bevor die Offiziellen zum Vorstellen der Inhalte kommen, wird das große Ereignis eingetanzt. Die rund zwanzig Frauen und zwei Männer sind Freiwillige aus der Stadt. Vor drei Wochen haben sie sich zum ersten Mal getroffen, um die Choreografie von Nir de Volff einzustudieren. Doch zunächst bittet Conni die Gäste, alle auf die Galerie hochzukommen, der Übersicht wegen. Bewegung ist offenbar ein Grundthema des Tages.
Die schwarzgekleideten Tänzerinnen und Tänzer kriechen in die Halle, lernen das Aufrechtstehen, finden zusammen. Es werden gelbe T-Shirts mit pinken Herzen oder dem großen C sichtbar. „C the unseen“ - das Motto als Performance. Schließlich erhalten auch die Akteure, in der einheitlichen Kleidung zunächst als Masse erscheinend, Gesicht und Namen. Monika, Ulrike, Martin und so weiter erzählen ganz knapp aus ihrem Leben. Manche sind hier geboren, andere gerade erst zum Studium hergekommen. Warum die positive Beziehung zur Stadt musikalisch gerade durch die Klage eines einsamen Kaliforniers ausgedrückt werden muss, ist nicht ganz verständlich.
Klar aber ist die Aussage von Batul al Aidi. Die junge Frau ist mit drei Jahren vom Libanon nach Chemnitz gekommen und musste um die Verwirklichung ihres Traums, das Tanzen zum Beruf zu machen, hart kämpfen. „Ich wünsche mir, dass alle Chemnitzer einmal tanzen werden!“, ruft sie. „Vor allem die Politiker.“
Ruf in die Welt
110 Journalisten haben sich für die Veranstaltung akkreditiert, sie kommen aus 12 Ländern bis hin nach China. Das Angebot, Stadt und Region kennenzulernen, begann schon am Mittwoch und ist mit der Programmvorstellung in der Hartmannfabrik nicht zu Ende. Manche der Vertreter großer Medien oder freie Journalisten, die verschiedene Zeitungen beliefern, sind zum ersten Mal in Chemnitz. Ein Blick in die Programmschrift kann darum nicht reichen, um „C the unseen“ wenigstens in Ansätzen umzusetzen.
Etwas Aufregung gab es im Vorfeld, dass es eine Veranstaltung für einen auserwählten Kreis sei. Doch auch viele Chemnitzer, die im Kulturhauptstadtjahr und dem Umfeld aktive Parts übernehmen, sind gekommen. Das betrifft nicht nur Vertreter etablierter Einrichtungen wie den Geschäftsführer des Kraftwerks, Holm Krieger, oder Mathias Lindner, Chef der Neuen Sächsischen Galerie. Zwei Frauen und ein Mann fallen durch ihre traditionelle Kluft der Zimmerleute auf. Thomas Heidenreich organisiert mit seinen Mitstreitern eine große Sommerwerkstatt fahrender Gesellen verschiedener Gewerke in Chemnitz und Umland.
Eine Mischung mit Bodenhaftung
„Es ist ein Moment der Vorfreude“, sagt Oberbürgermeister Sven Schulze. Jede andere Aussage würde man ihm auch übelnehmen. Wichtig aber ist, dass er auf die Breite des Kulturbegriffs hinweist. Denn wer erwartet hat, jetzt ein Reigen internationaler Stars vorgestellt zu bekommen, wird enttäuscht. Im Programm steckt viel Kleinteiligkeit, auch viel Basisarbeit, die nicht immer bunt schillert.
Barbara Klepsch, die sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, ist nach Chemnitz gekommen. Sie erhofft sich einen Aufschwung der Besucherzahlen in der Region weit über 2025 hinaus.
Aus Berlin ist Barbara Gessler angereist, die Vertreterin der Europäischen Kommission in Deutschland. Das Ergebnis des laufenden dritten Evaluationsverfahrens nimmt sie nicht vorweg. Durch ihre zehnjährige Arbeit mit Kulturhauptstädten möchte sie aber bestätigen, dass in Chemnitz das Mitnehmen der Menschen funktioniere. „Das ist ganz toll angelegt.“
Zur Vorstellung einer Programmschrift von mehr als 400 Seiten gehört unvermeidlich, auf ausgewählte Punkte näher einzugehen. Bei der Präsentation dieses „Best of“ von immerhin 23 einzelnen Position den Spannungsbogen zu halten, ist eine Herausforderung. Trotz Videoschnipseln und einem Mini-Theaterstück gelingt dies nicht durchgängig.
Direktorinnen und Direktoren von Museen, der Theaterintendant oder der Chef der städtischen Veranstaltungszentren geben das Mikrofon von Hand zu Hand. Die Aktivitäten der großen Institutionen mögen es sein, die von außen am besten wahrgenommen werden. Doch es stellen sich auch viele kleine Vereine vor, darunter Taupunkt, Bordsteinlobby oder Asa-FF. Bei ihnen steckt viel Ehrenamt in der Bewältigung der Aufgaben. Gerade hier ist das Potenzial am größten, unterschiedliche Schichten der Bevölkerung nicht nur als Konsumenten zu erreichen, sondern zu motivieren. Daran, nicht allein an Gästezahlen, wird sich der Erfolg der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz messen müssen.
Die Bescherung
Am Ende rieseln verschiedene Aufkleber wie Lametta von der Galerie. Es ist ein bisschen wie Silvester und Weihnachten zugleich. Denn als große Bescherung steht endlich eine Palette mit den schwergewichtigen Programmbüchern in der Mitte - der Augenblick, auf den alle gewartet haben.
Für die Vertreter der regionalen Medien, die sich seit der Bewerbungsphase intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, ist die große Überraschung ausgeblieben. Manche Details waren bisher kaum bekannt, darunter das Textilfestival Fashion Tex, das in Schneeberg und Chemnitz stattfinden wird. Doch viele der großen Veranstaltungen wie Kosmos oder European Peace Ride standen schon lange auf dem Plan.
Die Präsentation richtet sich in erster Linie an die überregionalen Medien, die Chemnitz und die Region überhaupt noch entdecken müssen. Wie gut dieses „C the unseen“ gelungen ist, wird das Echo in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.
Der Traum von Batul al Aidi, dass alle, auch die Politiker, zusammen tanzen mögen, wurde am Abschluss der künstlerischen Performance übrigens wahr. Für einen Augenblick begaben sich Kunstorganisatoren und Würdenträger, Journalisten und Projektverantwortliche in die Mitte des Saals. Der Philosoph, nach dem die Stadt bis 1990 hieß, hatte den Traum, die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt. Das Programm der Kulturhauptstadt enthält einige dieser Melodien, doch es wird eine Menge von Mitmusizierenden brauchen. (kas)