Karl Doemens über Bidens Rede zur Nation.
Es war kurz vor 22 Uhr abends und also jene Zeit, zu der "Opa Biden" nach Darstellung seiner politischen Gegner eigentlich längst im Bett liegt, als der US-Präsident so richtig aufdrehte. "Kommt ruhig! Euch putze ich mit links weg!", schien er bei seiner traditionellen Rede zur Lage der Nation vom Rednerpult des Kongresses den Republikanern zu signalisieren. Die tappten tatsächlich in die Falle und präsentierten sich zur besten Sendezeit als pöbelnder Chaotenhaufen.
Das war die erste Botschaft eines bemerkenswerten Abends: "Sleepy Joe" hat noch nicht fertig. Trotz seines Alters und der schlechten Umfragewerte wirkt der 80-Jährige, als wolle er 2024 noch einmal antreten.
Das mag - bei aller Begeisterung über den starken Auftritt - dem einen oder anderen US-Demokraten nicht unbedingt nur Freude bereiten. Für die verbleibenden zwei Jahre dieser Amtsperiode aber setzte Biden einen klaren Schwerpunkt. Seine Rede drehte sich fast ausschließlich um Wirtschaft, Infrastruktur, Sozialpolitik und Steuern.
"Zu viele Menschen sind zurückgelassen worden oder wurden behandelt, als seien sie unsichtbar", sagte er und betonte: "Ich habe es verstanden".
Daraus folgt: Der Fokus des amerikanischen Präsidenten liegt eindeutig auf Pittsburgh, nicht auf Paris. Und auch nicht auf Kiew. Den in der amerikanischen Öffentlichkeit mäßig populären Ukrainekrieg erwähnte er in seiner Rede nur mit wenigen Worten.
Umso ausführlicher pries er seine protektionistische Industriepolitik, die Jobs in den USA schaffen soll. Je näher der Wahltermin rückt, desto entschiedener wird sich Biden darauf konzentrieren, die Demokratie gegen einen möglichen Herausforderer Donald Trump an der Heimatfront zu verteidigen. Darauf sollten sich die Europäer besser einstellen: Die Zeiten des freundlichen Onkels in Amerika sind endgültig vorbei.kado
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