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Mit Wut zur Medaille
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Einhunderteinundsechzig. Nein, das ist nicht meine Startnummer - die bekomme ich erst eine Woche vor dem Marathon. Vor 161 Tagen habe ich mein Projekt begonnen. Mittlerweile bleiben mir also nur noch 64 Tage, um mich marathonfit zu machen. Ich bin beunruhigt. Marathon - das war am Anfang so ein schillerndes Ziel, so ein herausragendes Ereignis in ferner Zukunft. Jetzt sind es nur noch neun Wochen und wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich überhaupt nicht fitter als vor ein paar Monaten. Auch nicht gesünder, klüger oder sportlicher. Meine anfängliche Euphorie ist der diffusen Angst gewichen, dass ich überhaupt nicht ins Ziel komme. Zumindest nicht zu Fuß.
Gut, ich bin schneller geworden. Vor allem, wenn ich wütend bin. Gibt es eigentlich wissenschaftliche Studien darüber, um wieviel Prozent man seine Leistung durch Wut steigern kann? Falls nicht, würde ich mich gern als Testobjekt zur Verfügung stellen.
Ich gebe zu, in meiner Beziehung zum Laufen kriselt es. Während ich es vor ein paar Monaten kaum erwarten konnte, meine Laufschuhe zu schnüren und los zu sprinten, ringt mir der Gedanke an eine Runde im Wald nur noch ein müdes Lächeln ab. Was ist los? Ist die Luft raus? Die Flamme erloschen? Oder befinde ich mich jetzt in der Phase, in der die anfängliche Verliebtheit einem Gefühl der tieferen Verbundenheit weicht? Wenn dem so ist, muss ich wohl an unserer Kommunikation arbeiten. Wir, der Laufsport und ich, müssen reden. Ich schlage einen Deal vor: ich halte mich brav an den Trainingsplan und laufe - auch wenn es noch schwül draußen ist - die vorgegeben Kilometer. Im Gegenzug genieße ich die lauffreie Zeit mit ruhigem Gewissen und verbanne sämtliche Gedanken an meine nächste Einheit oder ein effektiveres Training. Man muss sich auch Freiheiten lassen. Dafür drehe ich ab sofort jedes Wochenende eine besonders große Runde.
Wenn es mit dem Training hakt, sagen Marathonläufer, solle man sich nämlich auf die langen, ruhigen Dauerläufe konzentrieren. Ohne auf die Zeit zu schielen, Intervalle einzuplanen oder Sprints einzuschieben. Einfach mal drei, dreieinhalb Stunden am Stück nur laufen. Was meine Marathonzeit angeht, halte ich alles unter viereinhalb Stunden mittlerweile ohnehin für unrealistisch. Ich bin zufrieden, wenn ich die Ziellinie vor der Kehrmaschine überquere.
Offizieller Zielschluss in München ist übrigens um 16:30 Uhr, sechseinhalb Stunden nach dem Start. Wer es bis dahin nicht ins Olympiastadion geschafft hat, kriegt keine Medaille. So viel Druck muss sein.
Noch 64 Tage bis Tag X
Läufe: 3
Wochenkilometer: 28
Gemütslage: Versöhnlich
Fazit Woche 22: Wer langsam läuft, sieht mehr von der Welt.
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