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Bundeskanzlerkanzler Scholz hat am Mittwoch Finanzminister Christian Lindner entlassen.
Bundeskanzlerkanzler Scholz hat am Mittwoch Finanzminister Christian Lindner entlassen. Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa
Deutschland

Olaf Scholz entlässt Christian Lindner: Die Geschichte einer Zerrüttung

Wenn Olaf Scholz und Christian Lindner nicht zusammengekommen wären, hätte es die Ampel nie gegeben. Doch zum Schluss hat der Kanzler nur noch Verachtung für seinen bisherigen Finanzminister übrig. Die Geschichte einer Zerrüttung – und wie es dazu kam.

Es ist eine brutale Abrechnung, wie sie auch in der Politik selten ist. Jedenfalls unter Menschen, die einmal eng zusammengearbeitet haben.

„Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten“, sagt Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend. „Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden“, fügt er hinzu. Er lässt dabei die Mundwinkel so tief sinken, dass die Verachtung klar erkennbar ist.

Gebraucht werde eine handlungsfähige Regierung, sagt der Kanzler. Seine eindeutige Botschaft: Mit Lindner geht das nicht mehr. Dieser, erklärt Scholz, habe alle Angebote ausgeschlagen, wie sich die Haushaltslücke schließen lasse, „ohne unser Land ins Chaos zu stürzen“. Hier betont der Kanzler jedes einzelne Wort. Lindner gleich Chaos – das ist die Gleichung, die Scholz jetzt aufmacht.

Der FDP-Chef wiederum wird kurz darauf beklagen, seine Vorschläge für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel seien von SPD und Grünen nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert worden. Er habe dem Kanzler angeboten, gemeinsam einen geordneten Weg zu Neuwahlen zu gehen, sagt Lindner. „Dieses Angebot hat der Bundeskanzler brüsk in der Sitzung des Koalitionsausschusses zurückgewiesen.“ Brüsk: Das ist das Wort, das Lindner besonders betont. Ist er verletzt, getroffen? Falls nicht, lässt er es jedenfalls gekonnt so aussehen.

Die Freien Demokraten seien unverändert bereit, weiter Verantwortung für das Land zu übernehmen, sagt Lindner. „Und wir werden dafür kämpfen, dies in einer anderen Regierung im nächsten Jahr auch zu tun.“ Kämpfen: das ist das nächste Wort, das Lindner hervorhebt.

Olaf Scholz (66) und Christian Lindner (45): Das ist die Geschichte einer Zerrüttung, die an diesem Mittwochabend ihren Höhepunkt findet. Man könnte auch sagen, das gegenseitige Verhältnis der beiden ist am Tiefpunkt angekommen. Und das, obwohl das alles nach der Bundestagswahl 2021 einmal ganz anders angefangen hatte.

Wer damals unmittelbar nach der Wahl mit führenden FDP-Politikern gesprochen hat, hörte immer wieder dasselbe: Man könne sich einfach nicht vorstellen, wie für die eigene Partei eine Koalition unter Führung der SPD machbar sein solle. Doch dann erwies sich erstens die Union als regierungsunfähig. Zweitens war Scholz sehr geschickt darin, die FDP für die Ampelkoalition zu gewinnen.

Scholz – der sich über die Jahre einen Ruf als harter, aber geschickter Verhandler erworben hatte – machte gegenüber den eigenen Leuten immer wieder klar: Man müsse es akzeptieren, dass Liberale nun einmal Liberale seien – und man könne von ihnen nicht erwarten, Sozialdemokraten zu werden. Jeder brauche in einer solchen Koalition Luft zum Atmen.

Lindner dankte es ihm zum Ende der Koalitionsverhandlungen auf eine Art und Weise, wie es alle Beobachter überraschte. Es war, wenn man so will, ein wenig wie bei einer Geburtstagsfeier im Familienkreis, bei der ein Jüngerer am Tisch aufsteht, um salbungsvolle Worte über einen Älteren zu sagen – auch wenn sie natürlich ohnehin schon alle standen bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.

Der FDP-Chef sagte damals: „Wir haben während der Verhandlungen Olaf Scholz neu kennengelernt.“ Linder sprach von einer „starken Führungspersönlichkeit“, er lobte Erfahrung und Professionalität des künftigen Kanzlers. Lindner drehte sich zu Scholz und attestierte ihm „ein inneres Geländer“, um aus einer klaren Werthaltung heraus das Land nach vorn zu führen. Man wäre fast versucht gewesen, den FDP-Chef einen Schleimer zu nennen. Scholz stand daneben und ließ es sich gefallen.

Das ungleiche Paar aus dem eher spröden Kanzler und dem geschickten Selbstdarsteller im Amt des Finanzministers funktionierte eine Zeit lang passabel. Lindner und Scholz einigten sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gemeinsam auf das Sondervermögen für die Bundeswehr. Sie kamen zeitweise so gut überein, dass die Grünen beklagten, SPD und FDP machten ständig gemeinsame Sache gegen sie. Als die FDP das Heizungsgesetz unter Dauerfeuer nahm, ließ Scholz sie in der Koalition lange gewähren – wohl auch, weil er sich davon erhoffte, die Grünen würden zurechtgestutzt.

Doch dann geschahen zwei Dinge, die das Verhältnis von Scholz und Lindner ins Wanken brachten. Als die Ampel mit der Umwidmung von Coronahilfen an der Schuldenbremse vorbei vor dem Verfassungsgericht scheiterte, verlor Lindner viel von seinem Vertrauen in die Kompetenz des Kanzlers. Der hatte mit dem Haushaltstrick die Ampelkoalition erst möglich gemacht: Es war genug Geld da – und gleichzeitig konnte Lindner zur Einhaltung der Schuldenbremse zurückkehren. Ein fingerfertig gebautes Kartenhaus, das später zusammenkrachte.

Vor allem aber verlor Lindners FDP in ihrer Zeit in der Ampel eine Wahl nach der anderen. In der Folge perfektionierte Lindner den Kurs, einerseits Teil der Regierung zu sein – und andererseits gegen sie zu opponieren. Damit setzte er in der Ampel weit mehr an FDP-Positionen durch, als es seiner Partei ihrer Stärke nach zugestanden hätte. Nur: Es nützte ihm nichts. Die FDP liegt in Umfragen mittlerweile nur noch bei drei Prozent – manchmal an der Grenze zur Messbarkeit. Der Gedanke, dass dies auch am Anzetteln des Dauerstreits liegen könnte, überzeugte Lindner offenbar nie.

Der FDP-Chef und Finanzminister trieb sein Spiel zuletzt auf die Spitze. Der Kanzler hatte zum Industriegipfel eingeladen – und dabei Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen nicht berücksichtigt. Das war nicht die feine Art. Dass Lindner aber am selben Tag einen Wirtschaftsgipfel als eine Art Gegenveranstaltung abhielt, ist eine Aktion, die im Regierungsgeschäft ihresgleichen sucht.

Kurz bevor der Haushalt endgültig glattgezogen werden sollte, eröffnete Lindner – zusätzlich zu fehlenden Milliarden wegen einer ungünstigen Steuerschätzung – ein weiteres Schlachtfeld. Er schrieb ein Papier mit Forderungen nach einer anderen Wirtschaftspolitik – nicht wenige erinnerte das an das Scheidungspapier, mit dem FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff im Jahr 1982 das Ende der sozialliberalen Koalition einläutete.

Das Papier von Christian Lindner las sich wie eine regelrechte Abrechnung mit der Ampel. Er verlangte, die Verwirklichung der Klimaziele um fünf Jahre nach hinten zu schieben – inakzeptabel für die Grünen. Und er wollte eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Besserverdiener mit Kürzungen beim Bürgergeld und Einsparungen bei der Rente finanzieren – unmöglich für die Sozialdemokraten.

Lindner wirkte einerseits wie jemand, der fast um seinen Rauswurf bettelt. Andererseits war er offenbar überrascht von der Konsequenz, mit der Scholz ihn am Ende kurzerhand entließ. Lindner wirft Scholz mehrfach vor, dessen Erklärung zur Entlassung des Finanzministers sei offenbar sehr gut vorbereitet gewesen.

Der FDP-Chef spricht auf der Fraktionsebene des Bundestags. Scholz hat sich zuvor im Kanzleramt geäußert. Zu oft habe Lindner „kleinkariert parteipolitisch“ taktiert. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, so die klare Botschaft des Kanzlers. Das Persönliche ist politisch, heißt es oft. Hier ist auch das Politische längst persönlich geworden. Scholz sieht in Lindner einen Spieler. Ihm ist alles Spielerische zuwider.

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