Wegen Lohnlücke: Ostdeutsche arbeiten im Vergleich zu Westdeutschen 70 Tage für umsonst
Die Beschäftigten in Ostdeutschland erhalten im Schnitt noch immer deutlich geringere Löhne als Arbeitnehmer im Westen. Rein rechnerisch arbeiten sie deshalb im Vergleich zu ihren westdeutschen Kollegen ab dieser Woche bis zum Jahresende für umsonst. Das passt vielen nicht.
Dresden/Magdeburg/Berlin.Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert, dass zwischen Ost und West im Schnitt noch immer eine Lohnlücke in Höhe von 19 Prozent klafft. Das entspreche dem Durchschnittsverdienst von 70 Tagen und bedeute rein rechnerisch, dass Beschäftigte in Ostdeutschland seit Dienstag bis zum Jahresende ohne Lohn arbeiten würden, sagt die DGB-Landeschefin von Sachsen-Anhalt, Susanne Wiedemeyer. „Beim Lohn ist die Einheit noch immer nicht vollzogen.“ Eine Lohnlücke von etwa 800 Euro im Monat führe unweigerlich zu Verdruss.
800 Euro Unterschied im Schnitt - im Monat
„Ich habe Verständnis dafür, wenn sich Ostdeutsche vereinzelt als Menschen zweiter Klasse empfinden“, sagt Wiedemeyer. Laut Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes 2023 bekamen Vollzeitbeschäftigte in den ostdeutschen Bundesländern durchschnittlich 3563 Euro brutto im Monat, in westdeutschen Ländern dagegen rund 4401 Euro. Der DGB wertete nach eigenen Angaben Daten des Statistischen Bundesamtes zu Durchschnittsverdiensten in Ost- und Westdeutschland aus.
Gewerkschaftsbund: Ostdeutsche profitieren unterdurchschnittlich vom Wachstum
Stefan Körzell aus dem DGB-Bundesvorstand sagte: „Die Wirtschaft im Ostdeutschland ist den letzten Jahren meist stärker gewachsen als in Westdeutschland, aber die Beschäftigten profitieren davon nur unterdurchschnittlich. Das muss sich dringend ändern.“ Der DGB dringt auf mehr Tarifverträge, mit denen höhere Löhne möglich seien.
DGB Sachsen: Mit Tarifvertrag monatlich 960 Euro mehr pro Monat drin
Die Tarifbindung in Sachsen lag laut DGB Sachsen 2023 bei lediglich 43 Prozent der Beschäftigten. Bei den Unternehmen sind es nur 17 Prozent, die einen Tarifvertrag haben. „Ich wundere mich immer wieder über die Klagen der Arbeitgeber, keine Fachkräfte zu finden, wenn sie gleichzeitig nicht bereit sind, den Beschäftigten mit einem Tarifvertrag ordentliche Löhne und Arbeitsbedingungen zu garantieren. Da muss mal über den Tag und das Betriebsgelände hinausgedacht werden“, hatte der sächsische DGB-Chef Markus Schlimbach schon vor einigen Monaten gesagt. „Mit Tarifvertrag ist für die Beschäftigten mehr drin. Monatlich 960 Euro haben Vollzeitbeschäftigte in Sachsen mit Tarifvertrag im Durchschnitt mehr in der Tasche als ohne Tarifvertrag.“
Linkspartei in Sachsen dringt auf neues Vergabegesetz
Der DGB sieht aber genau wie die sächsische Linkspartei aber auch die Landesregierung und den Bund in der Pflicht, für höhere Löhne zu sorgen - und zwar durch eine Reform des Vergabegesetzes. „Steuergeld darf nur an Unternehmen gehen, die ihre Leute anständig bezahlen. Das gehört ins Vergabegesetz“, sagt die sächsische Linksfraktionschefin Susanne Schaper. In den Koalitionsverhandlungen in Sachsen spiele das aber offenbar keine Rolle. Der Lohn müsse allerdings zum Leben reichen, nicht nur zum Überleben. „Sonst droht Armut, auch im Alter - die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung brauchen, hat einen neuen Höchststand erreicht.“
Bundesarbeitsminister für 15 Euro Mindestlohn
Vieles sei deutlich teurer geworden, nicht nur Butter, Brot und Sprit, so Schaper. „Sinkende Inflationsraten bedeuten keineswegs, dass Preise sinken – sie werden nur langsamer erhöht.“ Die Linkspartei fordert daher eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro. Tarifverträge müssten zudem leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. „Und: Gleiches Geld für gleiche Arbeit, also Westlöhne auch im Osten.“ Derzeit wird ein Mindestlohn von 12,41 Euro pro Stunde gezahlt. 2025 werden es 41 Cent mehr sein. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht sich für 15 Euro Mindestlohn aus.
Wirtschaftsinstitut warnt bei 15 Euro Mindestlohn vor Stellenabbau
Hagen Lesch vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt hingegen davor. „Irgendwann ist beim Mindestlohn der Kipppunkt erreicht“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Das kann Jobs in bestimmten Bereichen kosten. Dann gibt es keine Bäckereien mehr, sondern Ketten mit Industrieware.“ Zudem drohten Preiseffekte, weil gerade Dienstleister versuchten, höhere Lohnkosten an die Kunden weiterzureichen. (juerg)