Nach der Party zum Kulturhauptstadt-Start: Ein Podium zurück in der Realität und dem, was vielleicht bleibt
Trotz gewisser Müdigkeit mancher Beteiligter gingen schon am Tag nach der großen Feier die Überlegungen des „Wozu?“ und „Wohin?“ weiter. In der Hartmannfabrik diskutierten internationale Gäste. Es ging auch um die Frage, wie rechte Parteien Erreichtes in ganz Europa gefährden.
Chemnitz.Der Gäste der Podiumsdiskussion waren sicherlich nicht die ganze Nacht in einem der Clubs tanzen. Sie machten einen mehr oder weniger entspannten Eindruck. Der Frage im Titel der Veranstaltung „Und jetzt?“ wird die Antwort gleich hinzugefügt: „Europa!“. Da dies aber eine ziemlich abstrakte Auskunft ist, gab es am Sonntagmittag einiges untereinander und mit dem Publikum zu besprechen.
„Vogelfrei“, antwortet Elisabeth Schweeger auf die Frage des Moderators Eric Marr, wie sie sich jetzt fühle. Sie war die Künstlerische Geschäftsführerin der Kulturhauptstadt Bad Ischl/Salzkammergut im Vorjahr. Erklärend fügt sie hinzu, es sei eine regionale Tradition, Vögel zu fangen, zu prämieren und dann wieder freizulassen. Noch einmal werde sie solch einen Job nicht machen. Doch die neu gewonnene Freiheit ist nicht frei von Sorgen.
Diese Sorgen haben alle, die sich intensiv in das nun seit genau vierzig Jahren existierende Großprojekt Kulturhauptstadt Europas einbringen. Es geht darum, was die gewaltigen Anstrengungen nach dem Event bringen. Legacy nennt sich das Zauberwort, also Vermächtnis. Worin dieses besteht und was man daraus macht, sieht aber sehr unterschiedlich aus. Ein Schema dafür, das wurde im Gespräch schnell klar, kann es nicht geben. Zu unterschiedlich sind die Städte und die Rahmenbedingungen.


Neuer Stellenwert der Kultur
Als Breslau 2016 Kulturhauptstadt wurde, war vier Jahre nach dem EU-Beitritt Polens die Begeisterung für Europa noch groß. Allerdings hatte vier Monate vor der Eröffnung die rechtspopulistische Pis-Partei die Regierung übernommen. Um noch Einfluss auf das Programm zu nehmen, war die Zeit zu kurz.
Dominika Kawalerowicz hat damals aktiv mitgearbeitet und ist heute Direktorin des Wrocław-Instituts für Kultur, eine von drei Einrichtungen, die das Erbe lebendig halten sollen. „Es gab damals in Polen ein schwaches Verständnis von Kultur“, sagt sie. Das habe sich gründlich geändert. „Wir müssen heute die Notwendigkeit von Kultur nicht mehr beweisen.“ Der Oberbürgermeister der Stadt hat noch im Jahr 2016 dafür gesorgt, dass es weitergeht.
Einer der Effekte, nicht übertragbar auf andere Städte, ist für Kawalerowicz, dass jetzt offen über die deutsche Geschichte Breslaus gesprochen wird. „Das ist heute auch unser Erbe.“ Andererseits habe man mehr mit dem ukrainischen Lviv zusammengearbeitet als mit der San Sebastian, der Partner-Kulturhauptstadt 2016.


Kein autonomer Raum
Elisabeth Schweeger sagt, es gehe ihr gerade schlecht, trotz der Vogelfreiheit. Grund ist die Aussicht, dass in Österreich bald die rechte FPÖ regieren könnte. Sie sieht darin nicht nur die Ergebnisse der Kulturhauptstadt Bad Ischl in Gefahr, sondern die Verfasstheit ganz Europas. „Wir müssen uns anders in der Welt positionieren, Europa ist nicht mehr zentral.“ Dazu gehöre aber unbedingt die Bewahrung einer sozialen Demokratie und der Vielfalt.
Kultur existiert nicht im leeren Raum, die Politik setzt Konditionen. In Polen gelang eine Wende wieder hin zu mehr Europa. In Österreich ist das genau andersherum. Und auch hier sind die politischen Verwerfungen bedenklich.
Stefan Schmidtke, Programm-Geschäftsführer in Chemnitz, meint, er müsse auf die Bandbreite der Haltungen Rücksicht nehmen. „Ich kann mich nicht immer hinstellen und sagen, wie politisch das ist.“ Er geht damit auf Kritik ein, dass die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus nicht explizit erkennbar sei. Er sieht das Politische darin, dass in Chemnitz mehr als anderswo das Programm in großen Teilen von den Menschen in Stadt und Region selbst gestaltet worden sei. Darin liegt auch die Hoffnung, dass die Akteure selbst für eine Kontinuität über 2025 hinaus sorgen. Allerdings bewirkt gerade jetzt das politische Vakuum, dass das Fehlen eines Haushaltes kulturelle Substanz infrage stellt.
Bei der folgenden Einbeziehung des Publikums zeigte sich, dass viele Gäste aus anderen Städten oder Ländern kommen. Von den Anwesenden musste aber sicherlich niemand vom Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft überzeugt werden. (kas)