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Chemnitz
11.04.2023

Nach Kohleausstieg: Wie lange kann die Chemnitzer Esse stehen bleiben?

Ab Anfang nächsten Jahres soll kein Rauch mehr aus dem Schornstein des Versorgers Eins in den Himmel aufsteigen. Immerhin soll der "Lulatsch" ab Mitte April nachts wieder leuchten. Doch unklar ist, wie lange er überhaupt noch durchhält. Gibt es ein Verfallsdatum?

Chemnitz.

Noch wenige Tage, dann ist nachts wieder mehr Lametta über Chemnitz: Der 302 Meter hohe Schornstein, umgangssprachlich "Lulatsch" genannt, wird in sechs verschiedenen Farben leuchten. Die Energie-Einsparverordnung der Bundesregierung läuft am 15. April aus, seit September verhinderte diese Vorschrift die bunte Beleuchtung des wohl größten Gesamtkunstwerkes Europas.

Ob zu diesem Kunstwerk der herausqualmende Rauch an der Spitze gehört, müssen Kunstexperten beantworten. Jedenfalls wird die Esse in einem Jahr nicht mehr qualmen. Der Energie-Versorger Eins steigt Ende dieses Jahres aus der Kohleverstromung aus und wird in den ersten Wochen des Jahres 2024 nur noch die letzten Kohlevorräte verheizen, dann ist Ruhe am Chemnitzer Himmel.

Die Esse soll jedoch stehen bleiben, bis mindestens 2030, versicherte Eins-Chef Roland Warner zuletzt. "Die Esse ist für die Chemnitzer zu einem Wahrzeichen geworden."

Gibt es einen Essen-Tüv?

Aber gibt es für die Zeit danach ein Datum, an dem die Esse fallen muss oder der Tüv ausläuft? "Der Schornstein hat keinen Tüv, sondern unterliegt regelmäßigen Untersuchungen der äußeren Hülle und der Einbauten im Inneren des Schornsteins", erklärt eine Sprecherin von Eins-Energie. Als Einbauten nennt sie den Fahrstuhl im Schornstein, die Rauchgasröhre sowie weitere technische Anlagen zur Emissionsmessung sowie Anlagen zur Bindung der Feuchtigkeit aus dem Rauchgas.

Auf die Frage, was genau am "Lulatsch" untersucht wird, erklärt die Sprecherin: "Der bauliche Zustand wird jährlich überprüft, dies sind Eigenkontrollen und diese erfolgen durch Inaugenscheinnahme oder Drohnen als Hilfsmitteln. Die innere Prüfung erfolgt alle fünf Jahre und ab Stilllegung nur noch punktuell."

Eine Entscheidung über den Fortbestand des Schornsteins werde getroffen, wenn eine vergleichbar umfangreiche Sanierung wie im Jahr 2010 erfolgen müsse. "Der Schornstein ist dann für den Betrieb unserer Erzeugungsanlagen nicht mehr nötig. Also stehen hier auch wirtschaftliche Erwägungen im Raum", so die Sprecherin weiter. Bisher seien allerdings keinerlei Probleme am Schornstein zu erkennen, die Handlungsbedarf erfordern. "Nach derzeitiger Einschätzung wurde die letzte Sanierung 2010 sehr nachhaltig durchgeführt."

Planer kommt aus Chemnitz

Einer, der den "Lulatsch" bestens kennen dürfte, ist Wolfram Auerbach. In den 1970er-Jahren arbeitete der Chemnitzer beim Projektierungsbüro Schornsteine Karl-Marx-Stadt, ein Betriebsteil des Spezialbaukombinats Magdeburg. Auerbachs Aufgabe damals: Die Planung der 302 Meter hohen Esse für das Heizkraftwerk Nord II, die von 1979 bis 1980 mit einer Gleitschalung errichtet wurde. Der promovierte Ingenieur erklärt, abhängig vom baulichen Zustand könne der Schornstein noch lange stehen bleiben. "Dieser muss gemäß den geltenden Vorschriften regelmäßig geprüft werden, dazu zählt die Schiefstellungsmessung. Liegt die Schiefstellung über dem zulässigen Wert, muss die Standsicherheit des Schornsteins nachgewiesen werden", sagt der Planer der Esse. Zum Kohle-Aus sagt er: "Bei Außerbetriebnahme des Schornsteins ist zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit der Bausubstanz ein Lüftungskonzept einschließlich Mündungsabdeckhaube zu erstellen und umzusetzen."

Was Bauexperten zur Haltbarkeit sagen

Nach der Kohle wird es der Esse offenbar besser gehen. Die Eins-Sprecherin erklärt: "Mit der Außerbetriebnahme des Kraftwerkes wird die Belastung durch die Rauchgase entfallen und somit ein wesentlicher Fakt der inneren Abnutzung. Die Kontrollen werden weiter notwendig sein, um Belastungen durch die Umgebung, zum Beispiel Regen auf Schädlichkeit zu prüfen."

Feuchtigkeit ist ein Problem, das auch Harald Michler vom Institut für Massivbau der TU Dresden anspricht. Stahlbeton könne, abhängig von der Qualität der Herstellung und Beanspruchung ein hohes Alter erreichen. Auf der anderen Seite könne die Stahlkorrosion der Bewehrung zu einem relativ raschen "Versagen" führen.

Ein anderes Problem könne die Ermüdungsbelastung des Schornsteines sein, sagt Marko Butler, Arbeitsgruppenleiter Baustofftechnik der TU Dresden "Durch Wind wird dieser stets zum Schwingen angeregt und das ganze Bauwerk erfährt damit eine zyklische Belastung."

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