Ideen für neue Wehrpflicht: „Assessment“ statt Musterung
Für einen neuen Wehrdienst verdichten sich erste Details. Laut Berichten bleibt dieser weit hinter dem zurück, was sich Verteidigungsminister Pistorius einmal gewünscht hatte.
Berlin.Auch zweieinhalb Jahre nach Russlands Überfall auf die Ukraine feilt die Bundesregierung an der "Zeitenwende". Eine der wohl weitgehendsten Forderungen dabei ist, eine neue Wehrpflicht einzuführen. Die alte wurde 2011 ausgesetzt, schon seit einer Weile arbeitet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an einer Reaktivierung. Nun verdichten sich die Hinweise. Wie die "Welt am Sonntag" berichtete, gibt es einen ersten Referentenentwurf zu einem Wehrpflichtgesetz.
Demnach sollen alle jungen Menschen, die das 18. Lebensjahr erreichen, einen Fragebogen zugesandt bekommen. Darin sollen sie beantworten, ob sie bereit sind, den Wehrdienst zu leisten. Außerdem werden sie über Fähigkeiten, Qualifikationen und Interessen befragt. Der Fragebogen soll digital ausgefüllt werden. Für Frauen und Personen anderen Geschlechts soll dies freiwillig sein, für Männer verpflichtend. Beantworten sie den Fragebogen nicht, soll ein Bußgeld drohen.
Die danach folgenden Stufen - also eine Musterung und ein möglicher mehrmonatiger Dienst - sollen auch für Männer freiwillig sein. Die Musterung, so wird es zitiert, soll künftig zudem "Assessment" heißen. In der Wirtschaft steht der englische Begriff für ein Verfahren zur Personalauswahl, bei dem die Kompetenzen und Qualitäten der Bewerberinnen und Bewerber beurteilt werden.
Das Verteidigungsministerium wollte am Montag zu diesen Details keine Stellung nehmen - widerspricht der Darstellung allerdings auch nicht. Lediglich, dass die Erfassung der wehrfähigen Männer ab 1.
Minimallösung für die Wehrpflicht
Sollte der Entwurf in dieser Form kommen, dann wäre das wohl die Minimallösung von dem, was sich Pistorius einmal überlegt hatte. Über Monate hatte er für das "schwedische Modell" der Wehrpflicht geworben. Dort erhalten alle jungen Menschen eines Jahrgangs einen Fragebogen, etwa ein Drittel absolviert die Musterung. Rund neun Prozent eines Jahrgangs leisten schlussendlich den Wehrdienst. Wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, können junge Männer und Frauen auch verpflichtet werden.
Gegen einen so weitreichenden Dienst gibt es allerdings in der Runde von Pistorius' Kabinettskollegen Widerstand, etwa von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP). Auch viele Abgeordnete von SPD, Grünen und Liberalen sehen eine Wehrpflicht skeptisch.
Zu den Unterstützern von weitergehenden Maßnahmen gehört allerdings Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP. "Das Ausfüllen des Fragebogens sollte für alle Geschlechter verpflichtend sein - nicht nur für Männer", sagte Müller. "Wer Interesse an einem Dienst bei der Bundeswehr äußert, für den sollte auch die Musterung verpflichtend sein. Wenn Interessenten einen halben Tag für eine Musterung opfern, dann ist das noch keine Freiheitsberaubung." Müller hofft, dass durch Fragebogen und Musterung sich mehr Menschen für eine Karriere bei der Bundeswehr entscheiden.
Tatsächlich ist das Thema Personal derzeit die wohl größte Herausforderung der Bundeswehr. Aktuell ist geplant, die Truppe von zurzeit rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 anwachsen zu lassen. Die tatsächlich notwendige Größe wird von Experten sogar auf 240.000 geschätzt. Derzeit leisten pro Jahr etwas weniger als 10.000 Menschen ihren freiwilligen Wehrdienst. Pistorius sagte im Sommer, dass zunächst 5000 zusätzliche Freiwillige den "Neuen Wehrdienst" leisten sollen, am besten schon im kommenden Jahr.
Daten aller infrage kommenden Männer werden erfasst
Das Gesetz zur Wehrpflicht hat laut "Welt am Sonntag" einen zweiten Teil. Dieser soll vorsehen, dass die Daten aller Männer erfasst werden, die ab dem kommenden Jahr das 18. Lebensjahr vollenden. Der Deutsche Reservistenverband lobt insbesondere diese Idee. Präsident Patrick Sensburg sagte: "Die Modernisierung wehrersatzrechtlicher Vorschriften geht in die richtige Richtung. Wir müssen an die Daten auch der früheren Jahrgänge kommen, um sie für den Dienst in der Truppe, insbesondere als Reservisten gewinnen zu können." Er wünsche sich, noch größere Teile der Gesellschaft zu erfassen, "um Fachleute und Experten mit ihren zivilen Kompetenzen gewinnen zu können." Dazu zählten auch jene, die noch unter der alten Wehrpflicht vor 2011 gedient haben. (tohe/fp)